Nur wenige Gehminuten von meinem Wohnort in Wien entfernt, liegt eines der bekanntesten Bonbon-Geschäfte der Stadt, das 111 Jahre alte „zum süßen Eck“. Ausgewählte Süßigkeiten, das ist in der Naschkatzen-Metropole Wien eine ziemlich sichere Bank. Millionär*in wird man keine*r damit, aber gut leben lässt es sich allemal. Dennoch hat dieser erfolgreiche, kleine Familienbetrieb ein Problem: Die Eigentümer*innen, beide Mitte 60, wollen in Kürze aufhören und ihre Kinder haben kein Interesse, zu übernehmen. Das ist die eine Seite.
Die andere Seite wird von den etwas größeren Familienunternehmen bespielt, jene KMUs, die bis 50 (= „K“ wie Klein) oder 51 bis max. 250 Mitarbeiter*innen (= „M“ wie Mittel) haben. Bei ihnen läuft es oft umgekehrt: Die Kinder zeigen zwar Interesse, aber die Gründer*innen wollen nicht, jedenfalls nicht wirklich. Erst recht nicht, wenn das Kind eine Tochter ist – „Die Töchter sollen gut heiraten oder dürfen ihren beruflichen Interessen nachgehen“, weiß etwa die systemische Familientherapeutin und Unternehmensberaterin Billie Rauscher.
Töchter können den Patriarchen mit Humor nehmen
Die Gründe dafür sind weniger geheimnisvoll, als man annehmen möchte: die autoritäre Prägung des Patriarchen, die Angst vor Inhalts- und Bedeutungsverlust, vor Veränderung und auch, dass das Geschaffene verschwindet. Alles Punkte, auf die junge Frauen im Allgemeinen besser reagieren als junge Männer. Töchter können den Patriarchen leichter mit Humor nehmen und damit auch seine Angst vor „Bedeutungsverlust“ abfedern. Bei Söhnen hingegen gilt jeder launige, den Vater betreffenden Kommentar als Majestätsbeleidigung. Frauen sind weniger risikoaffin, bedachter und teamorientierter in ihren Entscheidungen, wodurch das Geschaffene eher einer „sanften“ Transformation unterliegen würde. Der Nachfahre, der sich freut, endlich zum Zug zu kommen, geht vermutlich mit anderem Tempo vor. Trotz dieser Argumente, die durch Studien belegbar sind, haben Töchter meist das Nachsehen im Unternehmen.
Das müsste so nicht sein. Denn von ihrer Ausbildung, Qualifikation und Zuverlässigkeit her hängen Mädchen die Brüder häufig ab. Auch das lässt sich statistisch belegen. Doch (noch) haben Töchter (zu) selten Fürsprecher*innen. Das könnten familienexterne Beobachter*innen, Geschäftspartner*innen oder Ausbildner*innen sein – und vor allem die Mütter. Gerade Letztere sind sich, wenn sie im Unternehmen nicht operativ tätig sind, ihrer Machtstellung viel zu selten klar. Denn Frauen schaffen das Familienklima und damit eine Entscheidungsgrundlage in der Firma. So wie Väter häufig vermeinen, in ihren Söhnen das Unternehmer-Gen zu erkennen, sollten die Mütter die Stärken ihrer Töchter lauter promoten.
KMUs sind das Herz der deutschen und österreichischen Wirtschaft**. Es wäre doch besorgniserregend und traurig, wenn dieses ausgerechnet an so einem Unsinn wie veralteten Geschlechterbildern vertrocknete.
*Zahlen für Österreich: In Österreich sind mehr als 50 Prozent der Unternehmen familiengeführt, ihnen sind 55 % der österreichweiten Umsätze zuzurechnen. Aktuell steht jedem zehnten dieser Unternehmen ein Übergabeprozess bevor. In Österreich sind laut jüngsten Zahlen erstmals 50 % aller Unternehmensnachfolger*innen weiblich.
**Erfolgreiche Betriebsübergaben sind ein Schwerpunkt dieser Ausgabe. Lesen Sie von 33 Unternehmen in Deutschland und Österreich, die es auf vorbildliche Weise geschafft haben, ihre Töchter in die Unternehmensführung miteinzubeziehen. Im Interview mit der systemischen Psychologin Billie Rauscher erfahren Sie, warum so viele Betriebsübergaben scheitern und wie man es besser macht. Gleich im Anschluss darauf präsentieren wir drei erfolgreiche Beispiele aus der Nähe. Und auch Banken und Vermögensberatungen haben die Kraft von KMUs längst entdeckt. Mit ihren „Family Offices“ leisten sie wertvolle Unterstützung bei der Weitergabe des „Familiensilbers“.
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