In Ihrem aktuellen Buch „Wir können auch anders“ laden Sie Menschen ein, „Wirke!“ – in dem Sinn, dass jeder etwas Positives bewirken könne – für eine nachhaltige Zukunft zu sein. Sie sind Wissenschafterin, Autorin, Keynote-Speakerin und Beraterin – in welcher Ihrer Rollen fühlen Sie sich am wirksamsten?
Maja Göpel: Mich fasziniert es, Muster der Veränderung zu entdecken, quer zu unterschiedlichen Disziplinen. Deshalb habe ich auch schon immer zwischen den Sektoren gearbeitet. Dieser Fokus auf musterhafte Veränderungen hat mich zum systemischen Denken gebracht, das ich in allen Rollen liebe: In Moderationsrunden oder in der Beratung, weil ich damit Brücken sehen und diese aufzeigen kann. Und ich liebe die direkte Interaktion, gerade in Gruppen. Mein Ziel auf der Bühne ist immer, dass eine gemeinsame Reise der Personen im Raum entsteht. Gelingt dies, bekomme ich nach den Events die Rückmeldungen, dass viele sich bewegt und motiviert fühlen, inspiriert oder mit neuem Mut versorgt.
In meinen Büchern geht es darum, unhinterfragte Deutungen und Muster aufzuknacken und damit neue Möglichkeitsräume zu öffnen. In der wissenschaftlichen Politikberatung geht es um konkrete Vorschläge für neue Gesetze, Initiativen, Forschungsfragen, aber da hängt die Wirkung dann auch vom Engagement einzelner Personen für diese Ideen ab.
Sie appellieren, jetzt sei „Crunchtime“ – also die kritische Phase, in der ökologisch noch etwas verändert werden könne. Wo sind aus Ihrer Sicht dafür private Stellschrauben, was kann nur politisch funktionieren?
Das Zusammenspiel ist wichtig. In der Transformationsforschung denken wir die Kausalität immer in beide Richtungen, sowohl bottom-up als auch top-down. Ganz häufig sehen wir genau das in der Realität: Wenn eine ausreichende Masse an Konsument*innen nachfragt, können sich nachhaltige Produkte leichter im Markt halten. Wenn Investor*innen zugunsten von Impact in den ersten Jahren geringere finanzielle Renditeanforderungen stellen, dann kann ein Geschäftsmodell am Markt länger durchhalten.
Aber insgesamt wird es immer Nische bleiben, wenn wir nicht ein Besteuerungssystem, ein Anreizsystem, Förderprogramme oder Standards haben, die das Nachhaltige vorrangig behandeln. Das ist im Moment nirgendwo gegeben.
Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die CO2-Bepreisung als Instrument?
Es ziehen alle mit, wenn gesagt wird, der CO2-Preis sei ein sehr wichtiges Instrument. Einige meinen sogar, es sei das einzige Instrument, das wir brauchen – was nicht stimmt. Deshalb habe ich heute oft das Gefühl, dass dieses Argument missbraucht wird. Denn dann, wenn der CO2-Preis eigentlich anziehen müsste, um die gewünschte Lenkungswirkung erzielen zu können, wird mit der sozialen Frage dagegen argumentiert.
So wird aber verhindert, dass das Instrument seine Wirkung entfalten kann. Sozial gerechter und sicherer für Investitionsentscheidungen können daher für alle verbindliche neue Standards oder Normen gelten, so wie es beim Aus für Verbrenner oder reine Gasheizungen gemacht wird. Soziale Absicherung braucht es bei beiden Ansätzen, aber wenn alle gleich mitziehen, wird es als fair und in der Summe effektiv empfunden.
Sie werben für eine ökonomische Innovations- und Fortschrittsagenda und den Aufbau von ökologischem Vermögen, statt weiter in die Überproduktion zu gehen. Wie weit sind speziell die Unternehmen?
Zunächst einmal wünschen sich die meisten Unternehmen – vom Konzern bis zur Landwirtschaft – Entscheidungen mit Lenkungswirkung und Richtungssicherheit. Der Zick-Zack-Kurs durch Kurzfristigkeit in der Politik macht einen konsequenten Umbau von Geschäftsmodellen sehr schwer. Bei privaten Gesprächen sagen viele Unternehmen heute ganz ehrlich: Wir wissen, dass die Überproduktion ein riesiges Problem ist, und wir wissen, dass wir die Qualität mindern, damit wir im Preiskampf noch bestehen können und die steigenden Absatzerwartungen überhaupt bedienen können.
Sie sind sich dessen bewusst, dass wir gerade in lang etablierten Produktlinien aus der Ingenieurperspektive überhaupt weniger ein Fortschritts-, und mehr ein Finanz-Akkumulations-Modell betreiben. Trotzdem ist der Ausstieg nur einzelnen Nischenanbietern möglich, die Mehrheit ist in den Marktstrukturen des „weiter so“ gefangen.
„In meinen Büchern geht es darum, unhinterfragte Deutungen und Muster aufzuknacken und damit neue Möglichkeitsräume zu schaffen.“
Wie können Menschen stärker dafür begeistert werden, sich für ein gesundes Ökosystem einzusetzen?
Für mich liegt ein wichtiger Schlüssel darin, die direkte Verbindung zwischen dem Menschen und der Natur wieder viel bewusster anzuerkennen. Wir leben als biologische Wesen, und unsere Gesundheit hängt direkt von einem stabilen Klima, ausreichend Wasserversorgung, wenig Verschmutzung unserer Luft, Meere und Böden, gesicherten Nahrungsketten etc. ab.
Planetare Gesundheit umfasst daher das Wohlergehen der Ökosysteme wie das der Menschen. Das ist doch eine super Challenge für so kreative und anpassungsfähige Wesen wie uns! Weg vom abstrakten „Wachstum“ gemessen in Geldwerten, hin zum „Wellbeing“-Ansatz, der ja in unseren Verfassungen sogar schon verankert ist.
Was braucht es jetzt?
Wir müssen weg davon, Ordnungspolitik als Verbotspolitik zu diffamieren. Es wird so getan, als hätte sich jemand hingesetzt und sich plötzlich vorgenommen: Jetzt verbiete ich alles. Dabei haben wir 40 Jahre lang alle möglichen Ansätze probiert, von Aufklärung, Anreizen, Selbstverpflichtung zu niedrigen Steuersätzen – wenn auch nicht konsequent. Schlaue, verantwortungsvolle und lernende Politik muss ja Maßnahmen entsprechend anpassen, wenn bereits gesetzte Ziele nicht erreicht werden.
Und diejenigen, die sofort Verbotspolitik und Diktatur schreien, legen in aller Regel keine alternativen Vorschläge vor, wie es denn sonst gehen könnte. Zumindest keine Vorschläge, die aus den empirischen Erfahrungen der Vergangenheit als erfolgversprechend gelten können. So wird Vertrauen zerstört und der Blick vom Verständnis für Wirkungszusammenhänge auf parteitaktisches Wahlkalkül gelenkt. Dabei brauchen wir die Fähigkeit, insbesondere Verteilungsfragen transparent und gemeinwohlorientiert zu diskutieren.
„Wir müssen uns wieder stärker als Gemeinschaft wahrnehmen, um die drängenden strukturellen Probleme lösen zu können.“
Warum ist dafür der systemische Ansatz wichtig?
Wir werden die drängenden strukturellen Fragen nur in den Griff bekommen, wenn wir uns wieder als Gemeinschaft wahrnehmen. Die Frage: „Was ist die Gemeinschaft?“, müssen wir offensiv stellen. Wenn sich diejenigen, die es können, aus der Rückvergütung herausziehen – also ganz viel aus dem System herausholen, ohne zurückgeben zu müssen – kann dieses nicht funktionieren.
Deshalb ist es wichtig, immer wieder auf die Struktur- und Systemfrage zu kommen. Für unsere Demokratien und ein ökologisches Gleichgewicht. Systemisches Denken ist nicht rechts oder links oder maskulin versus feminin – sondern es geht um die Frage: Wollen wir, dass Gefüge funktionieren können?
Wie müde sind Sie manchmal, wenn es nur im Schneckentempo vorangeht oder sogar Fortschritte wieder zurückgedreht werden?
Ganz ehrlich? Sehr müde. Dann bin ich froh, in der Natur wieder aufzutanken. Mein Lieblingsökonom Antonio Gramsci hat gesagt: „Es ist der Pessimismus des Intellekts und der Optimismus des Willens, die uns antreiben.“ Das heißt, ich sehe, es geht einen Schritt vor und zwei zurück – aber immer hin gibt es eine Richtung. Ich habe das Privileg, als Forscherin Studien zu lesen und zu sehen, welche Technologien es gibt, welche Freiheiten wir eigentlich haben und was möglich ist. Das macht mich immer wieder auch optimistisch.
Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht Frauen in der Entwicklung von Strategien zur Bewältigung des Klimawandels und zur Förderung nachhaltiger Lebensweisen?
Eine sehr wichtige Rolle. Es gibt zum Beispiel die Wellbeing Governments Alliance (WeGov) und das gesamte Netzwerk der Wellbeing-Economies. Das sind Staaten und Organisationen, die nach einer anderen Idee als Ergebnis erfolgreicher Politik suchen als ein steigendes Bruttoinlandsprodukt. Die Länder, die sich da zusammengetan haben, wurden initial größtenteils von Frauen geführt. Oder: Wir haben für „Wir können auch anders“ auch Beispiele für systemisches Denken gesucht. Erst zum Schluss haben wir bemerkt, dass wir nur Frauen gesammelt haben. Das war Zufall, kein Filter im Kopf.
Vielleicht wissen wir Frauen durch die biologischen Voraussetzungen, dass wir in Phasen wie der Schwangerschaft vulnerabel sind oder dass Babys zu 100 Prozent von uns abhängig sind? Das systemische Denken scheint Frauen tatsächlich leichter zu fallen. Und dieses Denken brauchen wir, um etwas zu verändern.
„Das systemische Denken scheint Frauen leichter zu fallen. Und dieses Denken brauchen wir, um etwas zu verändern.“
Zur Person
Prof. Dr. Maja Göpel ist Politökonomin, Expertin für Nachhaltigkeitspolitik und Transformationsforschung. Sie zählt zu den einflussreichsten Denkerinnen unserer Zeit für Nachhaltigkeit und globale Gerechtigkeit, hält Vorträge und berät Unternehmen sowie politische Entscheidungsträger*innen. In ihren Büchern „Unsere Welt neu denken“ (Ullstein, 2021) und „Wir können auch anders“ (Ullstein, 2022) zeigt die Bestseller-Autorin neue Ansätze zur Lösung der globalen Herausforderungen auf.
„Wir können auch anders – Aufbruch in die Welt von morgen“ von Maja Göpel, Ullstein (2022), 368 Seiten, 19,99 Euro / E-Book 16,99 Euro