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Was bin ich wert?

„Sie hätte schön sein können, hätte es ihr jemand gesagt.“ - dieses Zitat hat sich Transformationsarchitektin Sabine Gromer vor Jahren in ein Notizbuch geschrieben – und es bringt das Dilemma vieler ambitionierter Frauen auf den Punkt: Viele kommen nicht weiter, weil sie ihren Wert falsch einsetzen. Das ist schade und muss nicht sein. So umgehen Sie die Falle der Selbstunterschätzung.

„Sie hätte schön sein können, hätte es ihr jemand gesagt.“ Dieses Zitat unbekannten Ursprungs, das ich vor Jahren in Großbuchstaben in mein Notizbuch eingetragen habe, sagt in seiner Kürze so vieles über das Thema Selbstwert. Gleichzeitig könnte es auch der Titel eines Buches über Sonja Knips sein. Die im 19. Jahrhundert geborene Frau war mit einem wohlhabenden österreichischen Industriellen verheiratet, und ist bis heute vor allem dadurch bekannt, dass sie 1898 von Gustav Klimt porträtiert wurde. Er fertigte das Gemälde anhand einer Fotografie an, da Sonja Knips während des Entstehungsprozesses nicht anwesend sein konnte.

Der Klimt Effekt für mehr Selbstwert

Die Fotografie aus dem Jahr 1898 zeigt eine 24-jährige Frau, die müde, kraftlos und um Jahre älter wirkt. Was Klimt im selben Jahr aus der in Ölfarben festgehaltenen Sonja macht, widerspricht diesem Bild gänzlich. Er schafft die Abbildung einer aufmerksamen, klugen und jungen Frau, die in ein rosa Tüllkleid gehüllt Leichtigkeit und Schönheit ver- körpert. Jahrelang sieht Sonja dieses Bild vor sich und wandelt sich mit der Zeit zu einer charakterstarken, in sich ruhenden Persönlichkeit, die in der Zeit der Wiener Sezession zur Kunstmäzenin wird.

Zehn Jahre später lässt sie sich erneut fotografieren und setzt einen starken Kontrast zum Porträtfoto aus dem Jahr 1898. Trotzdem sie gealtert ist, wirkt sie jünger als auf dem ersten Foto und ist ganz offensichtlich zu der Person geworden, deren innerstes Wesen Klimt in seinem Ölbild zum Leben erweckt hat. Sie wurde schön, weil es ihr jemand gesagt hat.

Über unseren Selbstwert am Arbeitsplatz 

Diese Anekdote veranschaulicht nur zu gut, wie wichtig es ist, seinen Wert zu erkennen, um sein Potenzial zur Gänze auszuschöpfen. Das betrifft auch unseren Wert am Arbeitsplatz. Wir kennen die Zahlen nur zu gut. Österreich zählt nach wie vor zu den EU-Ländern mit dem größten Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern. Dabei beginnen Frauen wie Männer nachgewiesenerweise ihre Karrieren mit derselben Zuversicht.

Allerdings nimmt diese bei den Frauen im Lauf der Jahre und mit steigender Erfahrung ab. Das grundlegende Problem besteht darin, dass institutionelle und strukturelle Ungleichheit und Ungerechtigkeit in individuellen Begriffen formuliert wird. Die Schuld und Verantwortung für die Ungleichheit der Geschlechter am Arbeitsmarkt wird auf vermeintliche „Defizite“ der Frauen verlagert. Es ist die Umkehrung des eingangs erwähnten Zitats: Sie stagniert, weil man ihr gesagt hat, sie könne nicht erfolgreich sein.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will nicht in schwarz-weißes Schubladendenken verfallen: Frauen haben einen niedrigen Selbstwert und schöpfen ihr Potenzial nicht zur Gänze aus, Männer haben einen überzogenen Selbstwert, überschätzen sich, und sind damit erfolgreich(er). Es gibt beides. Das weiß ich aus meiner Arbeit mit Führungskräften beider Geschlechter. Unrealistische Selbstwertvorstellungen – überhöht und zu niedrig – betreffen beide Geschlechter, wenngleich das Klischee tendenziell und statistisch gesehen zutrifft.

Seinen wahren Wert zu erkennen, ist unerlässlich, um seinen Platz zu finden. Dabei gilt es zum einen anzuerkennen, dass wir alle ersetzbar sind. Kein Laden bricht ohne uns zusammen. Zum anderen gilt es, unsere Stärken und Fähigkeiten und deren Wert zu erkennen. In der Mitte findet sich ein ausgewogenes, realistisches Selbstbild, das sich zeigt, wenn wir wissen, was wir können und was wir nicht können.

Was uns dabei hilft, einen realistischen Selbstwert zu erkennen

1. Weg mit limitierenden Glaubenssätzen

Setzen Sie sich mit ihren limitierenden Glaubenssätzen auseinander. Ein limitierender Glaubenssatz ist eine negative Einstellung oder Überzeugung von sich selbst, die Sie in ihrem Leben einschränkt: „Ich bin nicht gut genug“, „Ich bin nicht liebenswert“, „Ich bin nicht gewollt“, „Ich genüge nicht“. Diese kurzen Sätze haben einen nachhaltigen Einfluss darauf, wie wir im Selbst wahrnehmen und im Außen wahrgenommen werden.

Menschen nehmen ihre Umgebung selektiv wahr und suchen in ihrer Umwelt nach einer Bestätigung dieser Glaubenssätze. Gehen wir davon aus, dass Ihr limitierender Glaubenssatz „Ich bin nicht liebenswert“ ist. In Ihrem Alltag werden Sie vor allem jene Handlungen und Aussagen anderer wahrnehmen, die diese Annahme stützen. Psycholog:innen sprechen von dieser selektiven Wahrnehmung als „confirmation bias“, anhand derer Sie Ihre eigene Realität kreieren und die Ihr Handeln maßgeblich beeinflusst. Erkennen Sie diese Glaubenssätze, finden Sie Ihren Ursprung und überschreiben Sie diese mit positiven Glaubenssätzen. Das ist keine einfache Aufgabe, und nur wenige Menschen schaffen das von alleine. Die meisten werden dafür Hilfe von außen – durch Coaching oder Psychotherapie – brauchen.

2. Mit Mythen über sich selbst auseinandersetzen

Genauso wichtig ist auch die Auseinandersetzung mit Mythen über sich. Sie verleiten uns ebenfalls dazu, ein falsches Selbstbild zu schaffen. Diese Mythen sind nicht unähnlich zu Glaubenssätzen, verleiten uns jedoch meist zur Selbstüberschätzung. „Ich bin stark“, „Ich kann alles“, „Ich bin unersetzlich“ sind nur einige Beispiele.

Positive Affirmation heißt nicht, Märchen über sich selbst zu schaffen. Bleiben Sie realistisch und dekonstruieren Sie Ihre Mythen. Ja, Sie sind stark, Sie sind aber nicht unverwundbar. Ja, Sie können vieles, aber niemand kann alles. Ja, Sie sind wichtig, aber nicht unersetzlich.

3. Stärken finden

Finden Sie Ihre Stärken und Talente. Für mich gibt es dafür kein besseres Tool als den Clifton Strengths Finder. Es handelt sich dabei um ein von Gallup Education entwickeltes Beurteilungsinstrument, das die „Top 5“-Stärken einer Person aufzeigt. 34 verschiedene Stärkethemen sind in vier Bereiche unterteilt: Strategisches Denken, Aufbau von Beziehungen, Einflussnahme und Ausführung. Der Strengths Finder ist nicht kostenlos, aber auch nicht umsonst. Die Investition lohnt sich.

4. Erfolge bewusst machen

Machen Sie sich Ihre Erfolge bewusst. Um zu erkennen, wo Ihre Stärken liegen, hilft es immens, sich bewusst zu machen, was die großen Erfolge Ihres Lebens sind. Bedienen Sie sich dabei einer Lebenslinie und zeichnen Sie die für Sie wichtigsten Errungenschaften ein. Dieses Sichtbarmachen von Meilensteinen ermöglicht es Ihnen, zu erkennen, worin Ihre Talente bestehen.

5. Lebenslanges Lernen

Hören Sie nicht auf zu lernen. Damit meine ich vor allem ein Lernen über sich selbst. Selbsterfahrung in Form von Coaching und Therapie ist ein gutes Werkzeug, um ein realistisches Selbstbild zu trainieren und zu manifestieren. Achten Sie jedoch darauf, nicht auf absolute Erfolgsversprechen reinzufallen und halten Sie sich fern von Berater:innen, die Ihnen versprechen, Sie reich zu machen oder in zehn Schritten ein Millionen-Business aufzubauen. Das sind unlautere Angebote. Ehrliche Angebote bedienen sich einer anderen Tonspur und versprechen realistischere Ziele, helfen dabei Ihre Situation besser zu bewältigen, sich selbst kennenzulernen oder Ihre Lebensqualität zu steigern.

Im Tal der Angst oder am Berg der Dummheit?

Erfolg stellt sich ein oder beschleunigt sich, wenn wir unseren Selbstwert erkennen. Der Grund ist einleuchtend. Ohne Selbstvertrauen verfallen wir in Angst, die uns davon abhält, aktiv zu werden. Wir zögern und zaudern. Daher müssen wir unsere Angst loslassen. Damit wir das können, müssen wir selbstbewusster werden – was wir wiederum nur dann umsetzen können, wenn wir kompetenter werden.

Je besser wir eine Aufgabe beherrschen, desto geringer wird unsere Angst und desto größer wird unser Selbstvertrauen. Das ist der Kern der (Selbst-)Vertrauens-/Kompetenzschleife. Wenn das Vertrauen in uns selbst wächst, werden wir besser und kompetenter. Diese beiden kritischen Faktoren für unseren Erfolg sind in allen Lebensbereichen miteinander verbunden. Es ist wie mit dem Huhn und dem Ei.

Ein Beispiel

Nehmen wir eine Aufgabe, die Sie wahrscheinlich gut beherrschen: schwimmen. Wahrscheinlich haben Sie keine Angst davor, in einen Pool zu hüpfen und zu schwimmen. Immerhin wissen Sie, wie es geht. Wenn Sie den Auftrag erhalten, eine Runde zu schwimmen, werden Sie ihn ohne Angst zu haben ausführen. Wenn Sie allerdings den Auftrag erhalten, ein Einrad zu fahren, ohne es jemals getan zu haben, würde in Ihnen vermutlich Angst hochkommen. Sie würden den Auftrag mit großer Wahrscheinlichkeit ablehnen. Was aber sollten Sie tun?

Die Antwort ist einfach: sich auf das Einrad setzen. Handeln überwindet Angst, und mit dem Handeln haben wir den Ausgangspunkt der Kompetenz. Wir können in nichts gut werden, wenn wir es nicht ausprobieren, frei nach dem Motto „Feel the fear and do it anyway“. Das ist der Beginn der (Selbst-) Vertrauens-/Kompetenzschleife.

So weit, so einfach. Aber der Zusammenhang zwischen Kompetenz und Selbstvertrauen hat auch eine Schattenseite. Im Modell des Dunning-Kruger-Effekts wird beschrieben, wie die Unfähigkeit, die eigene Inkompetenz zu erkennen, zu einer überhöhten Selbsteinschätzung führen kann.

Das Modell zeigt deutlich, dass jemand, dessen Kompetenz extrem niedrig ist und der sich dessen nicht bewusst ist, ein sehr hohes Selbstvertrauen haben kann. Diese Spitze
im Diagramm wird auch als Berg der Dummheit bezeichnet. Menschen, die auf diesem Gipfel stehen, glauben, alles zu wissen und die Besten zu sein. Je mehr sie sich jedoch ihrer Inkompetenz bewusst werden, desto mehr sinkt ihr Selbstvertrauen. Wenn diese Personen aber damit beginnen, ihre Kompetenz durch Übung zu steigern, wächst das Selbstvertrauen wieder.

Was will ich Ihnen damit sagen? Ja, wir brauchen Selbstvertrauen, um unseren Wert zu sehen und erfolgreich zu sein. Aber dieses Selbstvertrauen muss auf einem Fundament aus realistischem Selbstbewusstsein beruhen. Ohne dieses Bewusstsein werden Sie zu einer Karikatur Ihres Selbst.

Und genau darin besteht die Kunst der richtigen Einschätzung des Selbstwerts. Sich einerseits bewusst zu werden, was wir tatsächlich können und wo unsere Stärken liegen, andererseits sich auch dessen klar zu werden, wo unsere Grenzen liegen und es einer Kompetenzsteigerung bedarf. 

Lassen Sie mich noch einmal auf das Zitat vom Anfang des Artikels zurückgehen und es final umformulieren: „Sie hätte erfolgreich sein können, hätte sie ihren wahren Wert erkannt.“


Über die Autorin: Sabine Gromer hat 20 Jahre ihrer Karriere in der Finanzwelt verbracht, in dieser Zeit verschiedenste Führungsrollen übernommen und in London, New York, Hongkong und Tokio gelebt. Zuletzt war sie als Managing Director die Global Head of Organisational Effectiveness bei der Rating- Agentur S&P Global Ratings (ehemals Standard & Poor’s Ratings) in London. Vor zweieinhalb Jahren ist sie nach Wien gezogen und hat sich mit der Gründung ihres Unternehmens MagnoliaTree einen Lebenstraum erfüllt. Heute wirkt sie als Executive Coach für Strategieentscheider:innen und als Transformationsarchitektin für Change Leadership und erforscht die Essenz von Würde.


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