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Warum Girls‘ Day und Töchtertag nicht reichen

Politik und Unternehmen schmücken sich alljährlich mit Girls‘ Day und Boys‘ Day. Dabei braucht es dringend strukturelle und nachhaltige Veränderungen, um mehr Talente für technische Berufe zu gewinnen.

Jedes Jahr an diesem Tag habe ich das Gefühl, Politiker:innen und Unternehmer:innen verstecken sich ein bisschen hinter dem Girls‘ Day. Auch am diesjährigen Girls‘ und Boys‘ Day eröffnete der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz die bundesweite Aktion, Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger und Bundesjugendministerin Lisa Paus sehen den Tag, der berufliche Stereotype sichtbar machen und überwinden soll, als wichtiges Signal, um Jugendliche zu ermutigen.

Das ist es auch. Seit 2001 (und 2002 mit dem Töchtertag in Österreich) können Mädchen Berufe ausprobieren, die bislang eher männlich geprägt sind. 2011 kamen die Aktionen für die „Boys“ dazu. Rund 20.000 Aktionen und mehr als 160.000 Plätze bieten Unternehmen und Institutionen für Schülerinnen und Schüler der Klassen 5 bis 10 bundesweit an, das ist Rekord. Ob Löten, Schaltkreise bauen oder Spiele programmieren, das Angebot ist groß. Einen Rekord konnte auch Österreich verzeichnen. Allein beim Wiener Töchtertag haben sich mehr als 4.000 Schülerinnen für einen Schnuppertag in einem der rund 250 teilnehmenden Unternehmen angemeldet.

Die Ergebnisse sind ebenfalls ermutigend: „Schülerinnen und Schüler haben dank der Aktionstage die Möglichkeit, sich Berufen anzunähern, die sie sonst eher selten für sich in Erwägung ziehen. Unsere aktuelle Befragung zeigt: Es gibt einen Klebeeffekt. 42 Prozent der Girls‘ Day-Teilnehmenden und 36 Prozent der Boys‘ Day-Teilnehmenden können sich vorstellen, in das Unternehmen für ein Praktikum oder eine Ausbildung zurückzukehren“, sagt Barbara Schwarze, Vorsitzende des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V., wo Girls‘ Day und Boys‘ Day in Deutschland angesiedelt sind.

Ich kenne selbst Ingenieurinnen in der Wasserstofftechnik oder aus der Hochspannungs-Branche, die über den Girls‘ Day tatsächlich ihre Berufung gefunden haben und wertvolle Kontakte knüpfen konnten. Allerdings: Das ist nicht genug. Denn der grundsätzlich richtige Ansatz der Veranstaltung sollte dringend nachhaltig ausweitet werden.

Was wir wirklich brauchen, sind strukturelle Veränderungen. Wir brauchen ein Bildungsangebot, das mehr Mädchen in den Schulen für MINT-Fächer begeistert. Schon im Kindergarten sollte darauf geachtet werden, dass sich Geschlechter-Stereotype nicht früh verfestigen. Dazu gehört aus meiner Sicht auch das Gendern in Kinder- und Schulbüchern sowie eine diverse Bildsprache denn nur so wissen schon die Jüngsten, dass es eben auch Ingenieurinnen gibt.

Die Informationen über die möglichen Studienfelder und Ausbildungschancen sollten darüber hinaus dringend transparenter werden und den Jugendlichen dann vorliegen, wenn sie tatsächlich die Entscheidung über ihre ersten beruflichen Weichenstellungen treffen – vielfach wird der Girls‘ Day nur in den jüngeren Jahrgängen von den Schulen ermöglicht.

Auch Eltern benötigen deutlich mehr Informationen, da sie als Ansprechpartner:innen und Ratgeber:innen bei der aktuellen Vielfalt der Berufsbilder und Studiengänge nicht mehr „up to date“ sind. Laut der aktuellen Befragung durch das Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit „Eltern und die berufliche Orientierung ihrer Kinder“ können sich bei einem Sohn mit guter Informatik-Note 82 % der befragten Eltern einen Job in diesem Bereich vorstellen – bei Töchtern mit gleichen Schulleistungen sind es nur 53 %. In Deutschland gibt es zudem beispielsweise mehr als 330 duale Ausbildungsberufe. Doch mehr als die Hälfte der Mädchen begrenzt sich bei der Berufswahl auf lediglich zehn dieser Ausbildungsberufe, darunter kein einziger gewerblich-technischer. Bei Jungen ist es ähnlich: Mehr als die Hälfte der männlichen Jugendlichen wählt unter nur 20 Ausbildungsberufen.

Dafür sollten regelmäßig Rolemodels in die Schulen kommen, um an konkreten Beispielen zu zeigen, welche Laufbahnen möglich sind. An den Schulen sollten Bücher wie die von KI-Expertin Kenza Ait Si Abbou („Keine Angst, ist nur Technik“) zur Pflichtlektüre werden. Wir können es uns nicht leisten, die absolut lobenswerte Initiative des Girls‘ und Boys‘ Day allein wirken zu lassen. Die Veranstaltung sollte eingebunden sein in einen breiten Fächer von Initiativen. Zwar gibt es auch hier schon eine Fülle von Angeboten etwa zur Förderung der MINT-Fächer – die strukturellen Mankos im Bildungswesen können diese jedoch ebenfalls nicht auffangen.

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Fotomaterial© kompetenzz.de

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