Neueste Technologien können gerade im Zusammenspiel neue Lern- und Weiterbildungsmöglichkeiten bieten. Drei Expertinnen zeigen, wohin die Reise geht.
Auf dem Kopf sitzt ein bunter Haarreif, ihr Markenzeichen. In ihrer Präsentation zeigt sie die neuesten Technologie-Trends, begeistert erzählt sie auch von digitaler Kunst und Games. Anna Graf, Innovation Lead Emerging Tech bei Arvato Systems, ist eine echte Bekanntheit in der digitalen „Bubble“. Doch diese Perspektive allein wäre ihr zu wenig. Auf dem Weg zur Arbeit hört sie Wissensradio, und auch das Lesen – ganz analog – gehört zu ihren täglichen Gewohnheiten. Für Technologien wie Web3, Generative KI und das Metaverse steht für sie die Business-Perspektive im Vordergrund. „Mir ist die gesellschaftliche Transformation wichtig, deshalb habe ich den Schritt von der Galerie in einen großen Konzern gemacht, der etwas bewegen kann.“
Nutzerfreundlichkeit an erster Stelle
Arvato Systems gehört zum Medienriesen Bertelsmann mit Hauptsitz im westfälischen Gütersloh und unterstützt als IT-Dienstleister Kunden im digitalen Wandel. Auch hier geht Innovatorin Anna Graf mit Bedacht vor. „Wir bleiben bei unseren Diensten so lange wie möglich in der Logik des Web2, denn Apps oder QR-Codes sind gelernt – Wallets zu verknüpfen ist dann der nächste Schritt.“ Mit diesem Ansatz baut Arvato Systems beispielsweise Treue-Programme für Handelsunternehmen. Bilder sammeln, spielerische Interaktion schaffen, Verweildauer auf Portalen und in Applikationen erhöhen, dafür braucht es nicht immer komplizierte Begrifflichkeiten – Nutzerfreundlichkeit stehe an erster Stelle. „Die User müssen nicht immer wissen, ob Generative AI oder Web3 dahintersteckt. Ich höre ja auch Musik – und nicht MP3.“
Mit Blick auf die Kundschaft von Arvato steht in der Arbeit von Anna Graf zudem das Thema Training im Fokus. „Über die MetaQuest3 lässt sich für Education, Weiterbildung und in industriellen Anwendungen bereits sehr viel machen“, erläutert Graf. So trainiere etwa ein führender Maschinenhersteller die Mitarbeitenden über VR und AR, erzählt die Technologie-Expertin.
Ebenfalls mit Hilfe von virtuellen Werkzeugen ist das Start-up StellDirVor aus München beim Thema Weiterbildung weit vorn. Gründerin und CIO Petra Dahm sieht immersive Schulungen mit xR-Technologien „als interaktive und geschützte Möglichkeit, um Lerninhalte realitäts- und praxisnah zu vermitteln oder Gelerntes zu trainieren. Dies eignet sich insbesondere für Berufsgruppen, bei denen Gefahrsituationen vorkommen oder bei denen es um Leib und Leben geht.“ Proben etwa Pflegekräfte oder Ärzt:innen neue Abläufe, können sie das realitätsnah über die VR-Brillen tun. Auch die Darstellung komplexer anatomischer Strukturen ist hier möglich, sowie das Training einer besseren Kommunikation mit den Patient:innen.
Speakertraining im virtuellen Raum
Doch es muss nicht gleich um Leib und Leben gehen. Auch für den persönlichen Erfolg können die neuen technischen Möglichkeiten künftig einiges beitragen, weiß Anna Graf. „Die Apple Vision Pro hat bereits die Möglichkeit integriert, Speaker-Auftritte für den eigenen Erfolg zu proben. Via KI kann ein Saal mit Menschen befüllt werden, und der Live-Auftritt verliert seinen Schrecken. Auch Diversity-Trainings machen Sinn – etwa Situationen durchzuspielen, in denen Frauen in der Minderheit sind und von Männern unterbrochen werden. Das zeigt, wie wichtig ‚Allies‘, also Unterstützer, in diesem Moment sind.“ Der größte Treiber der Web3-Technologien ist aus Grafs Sicht der Fachkräftemangel. „Zum einen wollen wir das Wissen in den Organisationen halten, zum anderen arbeiten die kommenden Generationen anders.“
Insgesamt werde sich im Bereich Education künftig eine Menge verändern, erwartet Dozentin, Autorin und Unternehmerin Annette Doms aus München: „Im Web3 und im Metaverse können wir erweiterte Bildungsmöglichkeiten und einen neuen Wirtschaftsraum entwickeln, basierend auf Belohnungsmodellen.“ Die Pakistani Information Technology University of Lahore unterrichtet bereits mit Partnern in Dänemark im Metaverse. „Die traditionelle Erfahrung in Vorlesungssälen wird via VR-Headset und Motion Tracking in den digitalen Raum erweitert“, erklärt Doms. Gamifizierte Anwendungen wie tokenisierte Belohnungen könnten Lerninhalte zudem attraktiver machen. „In der Bildung lassen sich künftig Skills und Kompetenzen ganz anders aufbauen und durch Zertifikate transparent und vertrauenswürdig nachweisen“, prognostiziert Anna Graf mit Blick auf die Möglichkeiten, die die Blockchain-Technologie bietet. Hyperpersonalisierte Lernerfahrungen, die sich ganz gezielt an die individuellen Bedürfnisse und Lernstile der Nutzer:innen anpassen, sieht Petra Dahm.
Viele Chancen zur Mitgestaltung
Bis die neue Bildungswelt ganz selbstverständlich in Unternehmen und Hörsäle einzieht, ist allerdings noch viel zu tun. „Neue Technologien können nicht ohne das Zutun der Nutzer:innen eingeführt werden, schon gar nicht top-down“, mahnt Petra Dahm. Nicht alle überstehen die Sessions zudem ohne Übelkeit, die sogenannte Motion Sickness ist weit verbreitet. Und: „Noch ist der Zugang zur Apple Vision Pro ein Problem. Auch arbeitsrechtlich ist hier noch vieles ungeklärt. Sollten die Brillen künftig für bestimmte Tätigkeiten vorausgesetzt werden, dürfte es neue Regelungen geben“, so Anna Graf.
„Das alles funktioniert nur, wenn die Nutzer-Erfahrung für die Kund:innen gut umgesetzt und das Equipment bezahlbar wird“, ergänzt Annette Doms. Zudem müsse der Zugang über die Infrastruktur für alle geschaffen werden, um Ungleichheiten zu vermeiden. Denn diese könnte auch das beste VR-Training nicht ausbalancieren. Aber, so Doms Appell: „Jetzt ist die Zeit, das Web3 und das Metaverse mitzugestalten. Hier haben auch Frauen unzählige neue Möglichkeiten.“
Virtuelle Welten
- xR
x steht hier als Platzhalter für die verschiedenen Realitäten. - Augmented Reality (AR)
Informationen und Objekte der physischen Welt werden mit virtuellen Elementen überlagert. Das funktioniert mit entsprechenden Brillen, aber auch mit dem Tablet oder Smartphone. - Virtual Reality (VR)
VR bietet die Möglichkeit, sich in einem imaginären Raum zu bewegen – also in einer simulierten Umgebung. Über Datenbrillen wie MetaQuest3 oder Apple Vision Pro könne User:innen immersiv ein- tauchen. Diese aktuellen Modelle erlauben auch
AR-Anwendungen.