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Von einer die auszog, das italienische Handwerk zu retten

Elena Berton und ihr Kampf für das unverfälschte „Made in Italy“ – Auf den Spuren der letzten „Maestri Artigiani“.

In Florenz lebte einst ein Schuhmacher, der Schuhe selbst entwarf und herstellte. Sein Name war Lorenzo Pucci. Wenn ich zurückdenke, dann waren es Menschen wie er, die mein weiteres Leben maßgeblich beeinflusst haben. Denn Lorenzo Pucci schuf nach meinem Empfinden zweifelsohne die schönsten Schuhe der Welt. Ich erinnere mich noch daran als wäre es gestern gewesen, wie er die Lederhäute aus einem Regal herausnahm und sie mit glänzenden Augen und voller Begeisterung vor mir und meiner Mutter ausrollte. Er hat sein ganzes Können, seine ganze Energie und seine Leidenschaft in sein Handwerk gelegt. Schuhe zu fertigen war nicht nur sein Beruf, es war sein Leben Ein Mensch wie Lorenzo Pucci war ebenso wie seine von ihm erschaffenen Schuhe ein unverwechselbares Unikat. Alles, was von seinen Händen geschaffen worden war, hatte eine ganz eigene Ausstrahlung, hatten eine Seele. Und wir als seine Kunden haben uns glücklich geschätzt, so etwas Besonderes besitzen zu dürfen.

In den 1980er Jahren lebten in jeder italienischen Stadt viele solcher „Maestri Artigiani“. Handwerksmeister oder vielleicht besser Handwerkskünstler, stolze Frauen und Männer, die übrigens auch eine ungeheuer wichtige Rolle in der lokalen und nationalen ökonomischen Infrastruktur des Landes gespielt haben. Sie waren das gesunde Rückgrat der italienischen Wirtschaft. Heute – knapp 40 Jahre später – sind die traditionellen Betriebe, die sogenannten ,,Bottege Artigiane", fast ausgestorben.  Diese wunderbaren Manufakturen sind fast alle verschwunden – die Hersteller von hochwertig produzierten Taschen, Schuhen, Pelzen, Seidenstoffen oder Wollwaren sind aus dem Straßenbild verschwunden. Statt dieser einzigartigen Werkstätten, in denen Produkte entstanden sind, die nicht nur schön, nachhaltig und ehrlich produziert worden waren, dominieren heute billige und billig hergestellte Waren die prächtigen Flaniermeilen von Florenz.

Was ist aus den Werkstätten und den Meistern ihres Handwerks geworden? Was ist passiert in diesen Jahren? Die 1980er Jahre waren zweifellos der Höhepunkt für das Made in Italy und markierten gleichzeitig bereits den Untergang des italienisches Handwerks. Modedesigner und Models sind Anfang der 1990er Jahre zu Superstars geworden und jeder wollte Teil dieser märchenhaft erfolgreichen Welt sein. Der Fokus lag nicht mehr in erster Linie auf der Qualität und Herkunft des Produkts, sondern auf der Art und Weise, wie das Produkt angepriesen wurde. Das Marketing, der Verkauf und die Werbung wurden wichtiger als alles andere. Viele traditionelle Modehäuser mutierten innerhalb von 20 Jahren zu gigantischen Konzernen, die durch den globalen Markt nun weltweit verkauften und jetzt auch weltweit produzieren mussten. Sie suchten Produktionsstätten, wo Materialien und Arbeitskräfte billiger waren als in Italien. Und diese fanden sie vor allem in Asien. Die italienischen Produzenten konnten mit den Billiglöhnen in China nicht mithalten und bekamen keine Aufträge mehr, und nach und nach mussten sie schließen. Allein in Venetien haben zwischen 2016 und 2018 über 20.000 Firmen kapituliert. Denn wer kann eine Familie in Europa ernähren, wenn dieser/e für das Nähen eines Gürtels drei Euro bekommt oder etwa 12 Euro für eine ganze Tasche?

Mit der Globalisierung des Marktes hat nicht nur das Produkt seine Identität verloren, sondern auch derjenige, der das Produkt konsumiert. Auf der ganzen Welt sieht man die gleichen Produkte, die überall platziert und in exorbitanten Mengen produziert werden, egal ob im billigen oder hochpreisigen Segment. Die Menschen werden heutzutage tagtäglich auf sämtlichen Kommunikationskanälen dazu getrieben, ständig zu kaufen. Wir konsumieren schnell und entsorgen viel, aber wo landen die ganze Stücke die wir oft nur ein- oder zweimal getragen haben? Auf einem Müllberg, der immer grösser wird… Früher hat man gespart um sich etwas Gutes leisten zu können. Diese von Hand gefertigten Schuhen und Taschen waren so qualitätsvoll, das sie heute noch in Vintage Läden hohe Preise erzielen. Es waren Unikate, und sie hatten einen angemessenen Preis, obwohl und gerade weil sie nicht billig waren. Man hat sie ein Leben lang getragen – und geliebt. Sie wurden nicht schnell konsumiert und dann wieder nach einer Saison sofort entsorgt. Diese
Objekte haben zu uns gehört. Sie haben unsere Persönlichkeit definiert und unseren Alltag bereichert. Diese kostbaren Materialien anzufassen, war ein täglicher Genuss. Produkte wie diese wurden vererbt, in Schachteln aufbewahrt, liebevoll gepflegt, und sie waren Träger einer individuellen Geschichte. Die Menschen wiederum, die diese Gegenstände herstellten, konnten von ihrer Arbeit leben. Heute gibt noch einige wenige, die dies können. Aber ich sehe, wie schwer es für sie geworden ist.

Was ich als besonders dramatisch empfinde: mit dem Verschwinden der „Maestri Artigiani“ gerät auch das Wissen um ein Handwerk in Vergessenheit. Es ist wie ein Artensterben – alle Informationen gehen verloren und wird nicht mehr an die nächste Generation weiter gegeben. Selbst wenn die nachfolgende Generation versuchen würde ihr eigenes Geschäft zu gründen, so könnten sie sich den Mietpreis in den Innenstädten nicht mehr leisten und würden keine Finanzierung von den Banken und keine Förderung vom Staat bekommen, obwohl die Arbeitslosigkeit der jungen Italiener bei derzeit 40 Prozent liegt. Ich habe im Alter von 19 Jahren in Venetien begonnen mit Firmen zu kooperieren, die für die italienische Haute Couture produzierten. Noch heute habe ich Bilder vor Augen, die mir unvergesslich sind. Männer und Frauen nähten hochkonzentriert ungeheuer aufwändige Kleider, Mäntel, Pelze, die allesamt manuell hergestellt wurden. Stolze und erfüllte Menschen waren das, die respektvoll von ihren Auftraggebern behandelt worden sind. Ohne deren Leidenschaft und Energie das Magische in den Kollektionen nicht hätte entstehen können.

Diese Firmen sind Geschichte. Und die, die noch übrig sind, sind jetzt reine Logistikzentren geworden. Hier erfahren die Waren aus dem fernen Osten den letzten Arbeitsschritt vor dem Verkauf/Versand: sie werden gewaschen, getrocknet und mit den Etiketten „Made in Italy“ versehen. Nachdem ich diesen Verfall miterlebt habe wuchs in mir der Wille, etwas dagegen zu unternehmen. Meine Vision war es, eine kleine Kollektion zu entwerfen, die vollständig in Italien hergestellt wird und organische Materialien und komplizierten Arbeitsverfahren nutzt. Um diese traditionelle Welt der italienischen Manufakturen zu unterstützen und vielleicht die eine oder andere von ihnen gar zu retten.

Und so arbeite ich heute mit Gloria Trevisani zusammen. Eine clevere Unternehmerin in Carpi Modena, die mit Ihren Team meine ganze Seidenkollektion anfertigt. Mit Rosanna Capriotti und ihrer Familie produziere ich meine feinste Lederbekleidungskollektion. Diese kleine und feine Firma sitzt in Rimini. Roberto Dovico ist ein Herr mit stolzen 73 Jahren. Als einer der renommiertesten Ledermeister Italiens produziert er in Calenzano nahe Florenz mit seinen fünf treuen Mitarbeitern seit 50 Jahren hervorragend genähte Gürtel und Taschen in Calenzano. Loredana Petriccione aus Empoli ist mein „Wikipedia“ in Sachen Lederhäute. Sie hat darüber hinaus auch die beste Expertise in der Färbung und Bemalung von Leder. Diese Namen sind repräsentativ für die italienische Exzellenz. Mit diesen Meistern arbeite ich umweltfreundlich zusammen und wir haben ein gemeinsames Ziel: Produkte herzustellen, die der Perfektion so nah wie möglich sind. Ich werde von Ihnen mit ungeheurem Enthusiasmus und Lebenskraft beschenkt. Wir teilen Momente der Kreativität und der Erschöpfung – und diese Momente machen uns glücklich. Dieses Gefühl ist kostbarer als der reine Profit und verleiht dem Produkt einen unbezahlbaren Mehrwert. Das ist für mich die Definition von wahrem Luxus.

 

 

Elena Berton
Designerin Collection Privé
Showrooms in D-München und I-Pietrasanta

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