StartBusinessSuccessMehr IT-Girls statt It-Girls

Mehr IT-Girls statt It-Girls

Sie ist eine der engagiertesten Kämpferinnen, wenn es darum geht, Frauen für Technikberufe zu begeistern. Therese Niss, Aufsichtsrätin beim Technologiekonzern Miba, Nationalratsabgeordnete und eine der einflussreichsten Frauen in der österreichischen Wirtschaft, über Technik-Buddies und neue Bildungswege, selbst auferlegte Quoten und den heilenden Sprung ins kalte Wasser.

Interview: Michaela Ernst

Warum interessieren sich Mädchen für die neuesten Smartphones, für Streaming und Plattformen wie Tik-Tok, die ein hohes Maß an gestalterischen technischen Möglichkeiten bieten, aber nicht dafür, wie diese Dinge funktionieren?

Therese Niss: Das Wesentliche ist, dass sie sich sehr stark mit den Inhalten identifizieren. Die Technik wird zwar verwendet, ganz intuitiv teilweise, aber man beschäftigt sich nicht wirklich damit. Das ist schade! Ich frage mich dann immer: Wo liegen die Chancen? Und ich glaube, sie liegen darin, dass wir Influencerinnen dafür gewinnen, Werbung für Technik und Nachhaltigkeit zu machen. Der Slogan muss hier sein: Vom It-Girl zum IT-Girl. Meine Idee wäre, dass wir durch solche Role Models Mädchen darauf aufmerksam machen, welche Chancen für sie in der Technologie und Innovation liegen.

Als ich ein Kind war, konnte man alles zerlegen; man hat gesehen, wie Technik funktioniert. Heute kann man ein iPhone zwar zerstören, aber nicht zerlegen. Was wäre, wenn man Modellhandys für Kinder herstellt, damit sie mal sehen, was da so alles drinnen steckt? Das Digitale bietet uns viel, aber eben wenig Haptisches. Die Kombination zwischen dem Digitalen und dem Analogen macht es aus! Ich bin mittlerweile ein Freund von digitalen Lernspielen geworden, wahrscheinlich auch durch unser eigenes Lernspiel „Robitopia“, welches einen speziellen MINT-Fokus hat und geschlechtsspezifische Stereotype abbaut. Ein Beispiel dafür, wie Digitales und Analoges kombiniert werden können, sind „Bee-Bots“. Kinder programmieren einen kleinen Roboter in Form einer Bienenfigur, die sich auf einer Matte bewegt, wie auf einem Schifferlversenken-Feld. Sie steuern dann, dass sich die Biene beispielsweise zu einer Palme bewegen soll, drei Felder nach vorne und eines nach rechts. Sie haben das Analoge in der Hand, können es aber nur über das Digitale, das sie selbst programmieren, verwenden. Gerade diese spielerische Art bringt hoffentlich auch mehr Mädchen dazu, sich schon in jungem Alter für Technik zu interessieren.

„Mädchen sind davon überzeugt, dass sie in Mathe gut sind –
bis sie sechs Jahre alt werden. Mit Schuleintritt baut sich ihr Selbstbewusstsein plötzlich ab.“

Gehen die Mädchen in der Pubertät der Technik verloren? Laut der MINT*-Studie, die Sie mitinitiiert haben, dürfte es anfänglich gar nicht so große Interessensunterschiede zwischen Jungen und Mädchen geben!

Ich glaube schon, dass die Pubertät eine kritische Zeit ist. Generell gibt es drei Gruppen, die Mädchen beeinflussen. Das sind Eltern, Lehrer und Peers. Und leider ist es noch so, dass die technische Peer-Gruppe zu klein ist. Da gibt es keine Crew, die am Nachmittag irgendetwas zerlegt oder Innovatives, Technisches unternimmt.

Der andere Punkt ist, dass die Stereotype schon sehr früh in den Köpfen wirken. Es gibt Studien, nach denen ein Großteil der Mädchen, bis sie sechs Jahre alt werden, davon überzeugt ist, dass sie in Mathe gut sind. Mit Schuleintritt baut sich ihr Selbstbewusst- sein plötzlich ab. Daher brauchen wir einen Prozess, bei dem man diese Mädchen nicht mehr verliert. Wenn wir es schaffen, dazu eine Strategie aufzustellen, wird das der Turning Point sein. Und genau daran arbeite ich.

In Frankreich werden Wissenschaftlerinnen an Schulen geschickt, um im letzten Schuljahr den Mädchen Mathe näherzubringen. Diese Maßnahme, die dort sehr erfolgreich läuft, wäre auch leicht in unseren Schulen anwendbar – woran scheitert es?

Zu diesem Thema bin ich in Kontakt mit Bildungsminister Faßmann, um Frauen aus der Wirtschaft und Wissenschaft als Botschafter in die Schulen zu bringen. Zudem denke ich aber, dass es sinnvoll ist, auch beispielsweise Mädchen aus der Oberstufe, die technikbegeistert sind, zu Buddies von Mädchen aus der Unterstufe oder Studentinnen zu Buddies von Mädchen aus der Oberstufe zu machen. Man traut sich bei solchen Konstellationen als junges Mädchen viel eher, nachzufragen und lässt sich begeistern, weil man sieht: Die schafft das auch. In diesen gut aufgesetzten Buddy-Systemen sehe ich viel Potenzial. Für das französische Modell alleine haben wir zu wenige Top-Forscherinnen auf den Universitäten, als dass wir damit Schulen füllen und 1-zu-1-Beziehungen herstellen könnten. Wobei es auch in Betrieben erfolgreiche Frauen gibt, die bereit sind, in die Schulen zu gehen. Ich sehe es bei uns selbst im Unternehmen: Bei der Miba haben wir mit Katrin Zorn, unserer Entwicklerin für Future Products, eine Forscherin, die dieses Jahr – das hat uns sehr gefreut – den Frauenpreis der TU bekommen hat. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Mädchen und Frauen für Technik zu begeistern. Wir brauchen mehr solcher Botschafterinnen.

„Es ist noch sehr viel Bewusstseinsbildung notwendig. Da sind noch viele verkrustete Bilder.“

Wie sehr kännte die Pandemie, die das Digitale zwangsweise ins allgemeine Bewusstsein gerückt hat, hier eine Art dauerhaften Gesinnungswechsel einläuten? So nach dem Motto: Wir wissen zwar alle nicht, wie es weitergeht, wir wissen aber, dass es nicht ohne Technologie möglich sein wird.

Natürlich sind das Thema Digitalisierung und ihre Vorteile einer breiteren Öffentlichkeit bewusst geworden. Die große Aufgabe muss sein, das Berufsbild des Technikers, der Technikerin zu relativieren. Denn wenn man Technik denkt, hat man entweder den Arbeiter hinterm Hochofen bei der Voest vor Augen oder den KFZ-Mechaniker, der unterm Auto liegt. Beides ist für Mädchen nicht sonderlich ansprechend. Aber gerade im Bereich der Umwelttechnologie liegen die Berufe, die für junge Frauen attraktiv sind: Mädchen könnten in Zukunft daran mitarbeiten, wie man Hochöfen durch Elektrolyseverfahren umweltfreundlicher macht. Und jetzt komme ich auf Ihre Frage zurück: Es ist noch sehr, sehr viel Bewusstseinsbildung notwendig. Da sind noch viele verkrustete Bilder, die wir aufbrechen müssen.

In Ihrer Studie wird festgehalten, dass Stereotype in Österreich besonders ausgeprägt seien – woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Das sitzt bei uns tief in der Psyche. Deswegen ist es auch so eine Mammutaufgabe, das Gesellschaftsbild hier aufzulockern. Auch hier wieder die Frage: Wo setze ich an? Einerseits geht es um Bewusstseinsmachung. Die Leute tragen diese Stereotype nicht von sich aus im Kopf. Diese werden weitergegeben, von den Eltern, aber auch von den Lehrern, denen auch nicht immer bewusst ist, wie notwendig Gender-Sensibilität ist. Ich will hier niemanden kritisieren oder einen Vorwurf machen, aber man sieht schon sehr oft, dass in Mathematik besonders die Burschen gefördert werden – oft auch unbewusst. Auf der anderen Seite muss man natürlich bei den Eltern ansetzen, denn auch hier fehlt oft das Bewusstsein. Ich merke das auch bei mir selbst, obwohl ich darüber Bescheid weiß, neige ich manchmal dazu, eher meinen Sohn mit Technik zu konfrontieren. Da hilft nichts anderes, als sich dessen bewusst zu werden und regelmäßig die eigenen Handlungen zu reflektieren.

Wahrscheinlich wäre es auch notwendig, eine staatliche MINT*-Kampagne zu initiieren, um diese Klischeebilder aufzubrechen.

Es braucht eine Empowerment-Kampagne! MINT ist natürlich einer der Hauptpfeiler. Aber auch das ganze Thema finanzielle Unabhängigkeit, financial literacy – ist genauso wichtig für junge Frauen. Sie müssen wissen, was es für sie bedeutet, wenn sie nichts verdienen. Es ist auch schade, wenn sie nicht wissen, was eine Aktie ist. Wahrscheinlich müsste man in diese Richtung auch einmal alle Schulbücher durchforsten. Hierzu bin ich auch mit den Ministerinnen Schramböck und Raab sowie Minister Faßmann im Austausch, denen das wirklich ein starkes Anliegen ist.

Könnten Sie sich vorstellen, dass die Einführung von Quoten den zusätzlichen positiven Effekt erzeugt, dass es mehr Frauen in traditionell männlich besetzten Berufen gibt – weil sie dann eben wissen, dass sie die gleichen Aufstiegschancen haben wie Männer?

Ich bin prinzipiell kein großer Fan von gesetzlichen Quoten in Privatunternehmen, weil das zu stark in die Unternehmensautonomie eingreift. Ich befürworte, dass sich Unternehmen selbst Quoten setzen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es für Technologieunternehmen nicht einfach ist, Mitarbeiterinnen zu bekommen. Deswegen bin ich skeptisch, ob eine Quote hier wirklich sinnvoll wäre. Die Gefahr ist, dass Frauen auch in Technologiebranchen wieder im Finanz-, Controlling-, HR-Bereich landen. Daher ist es ganz entscheidend, was die Unternehmen tun, um junge Mädchen und Frauen für Technik, für MINT zu begeistern. Von Universitäten bekommen wir die Rückmeldungen, dass Mädchen, die ein technisches Fach studieren, dies nicht tun, um später mehr zu verdienen, sondern es geht bei ihnen – wie bei den Burschen – um das Interesse und die Entfaltungsmöglichkeiten.

Bei Recherchen rund um das Thema Industrie 4.0 ist mir aufgefallen, dass viel Weiterbildungsarbeit von Unternehmen ausgeht. Ist das ein Österreich-Spezifikum, um wettbewerbsfähig zu bleiben – oder überhaupt ein europäisches Thema?

Auch die Miba macht extrem viel. Wir haben einige Programme für die Lehrlinge, durch die wir sie arbeitsfit, aber auch lebensfit machen, indem sie zum Beispiel Sprachen lernen. Wir haben einen Miba-Campus gegründet, der alle Schienen vom Management bis zum Lehrling berücksichtigt. Den betreiben wir natürlich nicht nur in Österreich, sondern auch in anderen Ländern. Zum Beispiel waren wir maßgeblich daran beteiligt, dass das österreichische Lehrlingssystem jetzt in der Slowakei ausgerollt wird. Es ist gut, immer wieder zu betonen, welchen Bildungsauftrag die Unternehmen leisten, weil es Nachahmungseffekte erzeugt. Am Ende tun sie das natürlich auch gerne, weil sie die Vorteile spüren. Ich halte dies allerdings für ein globales Phänomen. Wenn ich mir unsere Standorte in Brasilien und China anschaue, ist es dort ähnlich.

Ich habe Ihnen vorher die Frage nach der Miba, also Ihrem eigenen Familienunternehmen, gestellt. Glauben Sie, dass junge Arbeitnehmerinnen stärker motiviert sind, wenn im Technikkonzern auch eine Frau sitzt, die mitredet und mitentscheidet?

Ich bin ja nicht direkt im operativen Unternehmen, ich bin Aufsichtsrätin. Aber mir ist das Thema sehr, sehr wichtig und ich versuche, mich hier stark einzubringen. Ich glaube schon, dass es für junge Mädchen wichtig ist zu sehen – da ist ein diverses Team. Es ist auch für die Firma gut. Wichtig ist aber auch da wieder die Kompatibilität. Ich bin mittlerweile ein Freund von Frauennetzwerken. Noch besser finde ich jedoch gute, gemischte Netzwerke.

Gibt es Ihrer Meinung und Erfahrung nach Maßnahmen, die beim Förderthema Frauen und Technik rasch positiv wirken?

Man müsste Frauen in die Sache mehr hineinstoßen. Das ist etwas sehr Wichtiges. Sie dabei zu bestärken: Du machst das jetzt einfach, weil du das schaffst. Dann merken sie meistens, dass es so ist, dass sie es können. Eine Maßnahme, die im Schulbereich diskussionswürdig wäre, ist die Frage eines monoedukativen Unterrichts. Mir hat einmal eine Bekannte, die in einer Mädchenschule war, erzählt, dass ein Großteil der Klasse danach ein technisches Studium ergriffen hat, weil sie ganz anders als gemeinhin üblich von den Lehrern angesprochen wurden. Aber so etwas ist eine längerfristige Maßnahme. Wenn ich über kurzfristige Maßnahmen nachdenke, ist es definitiv: Mädchen zu ermutigen und sie dabei zu unterstützen, die Herausforderung anzunehmen.

Man müsste wahrscheinlich technische Unternehmen dazu bringen, dass sie jedes Jahr eine fixe Anzahl von Ferialjobs an Mädchen vergeben.

Das ist richtig. Ehrlich gesagt, glaube ich, dass so etwas kommen wird.

Eine Frauenquote bei Ferialjobs?

Auch hier, die Unternehmen müssen und werden sich selbst Ziele setzen und sie sind ja jetzt schon stark auf der Suche nach Frauen. Wichtig ist, dass wir das gegebene Interesse von Mädchen für Technik langfristig aufrechterhalten und Begeisterung wecken, sodass Mädchen in einem technischen Fach eine Lehre machen oder ein Studium samt Praktikum ergreifen.

Können Sie sich noch an Ihre technologische „Initialzündung“ erinnern?

Nein, ich habe darüber schon nachgedacht. Mir ist das Thema im Laufe der Zeit zunehmend wichtiger geworden. Insofern tu ich mir da schwer, mich an die eine technologische „Initialzündung“ zu erinnern. Ich war oft in der Fabrik, bin aber nicht ständig bei den Maschinen gestanden. Ich war auch viel auf Betriebsrundgängen und habe meinen Vater auf Reisen begleitet. Das war immer wieder sehr spannend.

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Fotomaterial© Martin Pabis

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