Produktionsstätten besuchen, das gehörte zum vorherigen Job von Pia Egelkraut und Marlene Marx. Die Designerin und die Expertin für nachhaltige Mode trafen dabei immer wieder auf das Deadstock-Problem: Hallen voller fertig produzierter, neuwertiger Stoffe, die trotzdem vernichtet werden, weil z.B. wegen Farbabweichungen oder falsch eingeschätzter Bedarfe Überproduktion entsteht. Die beiden Gründerinnen wollen das ändern und schneidern heute daraus unter der Marke avonté Loungewear – von Pyjamas und Shirts über Hausmäntel bis zu Schlafbrillen. Dabei drehen die Kölnerinnen den herkömmlichen Prozess um: Statt in Kollektionen, Farbkonzepten und Trends zu denken, entwickeln die beiden zeitlose und flexible Schnitte und starten die Produktentwicklung mit der Auswahl von Reststoffen der Branche. Nächstes Ziel ist die höhere Skalierung.
Was war der größte Gamechanging-Moment in eurer Karriere?
Pia Egelkraut: Der Moment, in dem mir klar wurde, dass ich nicht nur in der Modebranche arbeiten, sondern aktiv mitgestalten will, wie Mode produziert wird. Ich habe jahrelang erlebt, wie Entscheidungen in der Produktentwicklung dazu geführt haben, dass Ressourcen verschwendet werden – sei es Manpower, hochwertige Materialien oder Wasser. Das war für mich der Auslöser, Design und Produktion neu zu denken.
Marlene Marx: Für mich war es der Schritt aus einer sicheren Position in einem großen Unternehmen hin zum eigenen Business. Ich habe lange in Strukturen gearbeitet, in denen vieles festgelegt war – avonté bedeutet, all das selbst zu entscheiden. Das war eine Mischung aus Befreiung und Herausforderung. Gleichzeitig habe ich in meiner früheren Anstellung ein unglaublich breites Aufgabenfeld abgedeckt, was mich teilweise überfordert hat. Heute zahlt sich genau das aus: Ich bin dadurch zur Generalistin geworden, was mir jetzt als Selbstständige extrem hilft.
Was hatte den größten Impact auf eure Laufbahn, und was war euer größter Karriere-Boost?
Pia Egelkraut: Der größte Impact auf meine Laufbahn war die Erkenntnis, dass all meine bisherigen Erfahrungen – sei es in Design, Vertrieb oder Fotografie – nicht isoliert nebeneinanderstehen müssen, sondern sich zu einem einzigartigen Gesamtbild fügen dürfen. Lange dachte ich, mein nicht unbedingt geradliniger Lebenslauf könnte als Nachteil gesehen werden, doch genau das Gegenteil war der Fall.
Besonders im Modebereich geht es nicht nur um Produkte, sondern um Emotionen, Werte und Identität. Diese Einsicht war mein größter Karriere-Boost. Ich habe verstanden, wie entscheidend es ist, Geschichten rund um ein Produkt zu erzählen – nicht nur Fakten zu präsentieren. Diese Perspektive hat mir maßgeblich geholfen, als wir avonté aufgebaut haben.
Marlene Marx: Der größte Boost war definitiv meine Zeit in der nachhaltigen Modebranche. Ich habe gelernt, dass eine Marke nicht nur ästhetisch ansprechend sein muss, sondern auch eine klare Haltung braucht. Nachhaltigkeit und Qualität sind für mich keine Kompromisse, sondern die Basis für langfristigen Erfolg.
Welche Rahmenbedingungen sind aus eurer Sicht notwendig, damit Frauen ähnliche Wege einschlagen können?
Pia Egelkraut: Netzwerke! Es ist so wertvoll, mit anderen Frauen in der Branche zu sprechen, sich auszutauschen, Unterstützung zu bekommen. Ich hätte mir gewünscht, früher ein starkes Netzwerk zu haben, in dem offen über Herausforderungen gesprochen wird – und genau das wollen wir jetzt auch aktiv weitergeben.
Marlene Marx: Sichtbarkeit ist extrem wichtig. Es braucht mehr Rolemodels, die zeigen, dass es machbar ist, ein Unternehmen zu gründen, auch ohne riesiges Startkapital oder perfekte Bedingungen. Und vor allem: Du musst kein Mann sein, um erfolgreich zu gründen, und du musst auch nicht schon immer vorgehabt haben, selbstständig zu sein. Dass man sich die Selbstständigkeit so gestalten kann, wie es zu einem passt, wird oft vergessen. Ich hatte nie den konkreten Plan, ein eigenes Unternehmen zu gründen, und dachte daher lange, dass es ohne diesen starken Wunsch nicht funktionieren kann. Aber das ist ein Trugschluss – vieles entwickelt sich einfach auf dem Weg.
Gibt es etwas, bei dem ihr denkt: „Hätte ich das bloß früher gewusst?“
Pia Egelkraut: Wie wichtig es ist, sich selbst treu zu bleiben. Am Anfang habe ich oft versucht, es allen recht zu machen – den Produzenten, dem Markt, den Erwartungen. Aber letztlich macht uns genau das erfolgreich, was uns selbst am meisten am Herzen liegt. Und: Arbeit darf auch Spaß machen! Ich hatte lange den Glaubenssatz, dass Arbeit schwer sein muss, damit sie „richtig“ ist. Aber gerade als Gründerin habe ich gelernt, dass Leidenschaft und Freude keine Gegensätze zu Erfolg sind – sie sind die Basis dafür.
Marlene Marx: Dass Perfektion überbewertet wird. Gerade als Gründerin hatte ich oft das Gefühl, alles bis ins letzte Detail durchdenken zu müssen, bevor ich loslege. Aber vieles lernt man erst unterwegs – und das ist völlig okay.
Was hättet ihr zu Beginn eurer Karriere gebraucht, was damals noch nicht verfügbar war, heute aber selbstverständlich ist?
Pia Egelkraut: Zugang zu Wissen über nachhaltige Produktion. Heute gibt es viel mehr Plattformen, Austauschmöglichkeiten und Ressourcen zu diesem Thema – damals musste man sich alles mühsam selbst zusammensuchen.
Marlene Marx: Mehr Offenheit für alternative Geschäftsmodelle. Upcycling und Kreislaufwirtschaft sind heute etablierter, aber vor ein paar Jahren musste man noch viel mehr erklären und Überzeugungsarbeit leisten, warum diese Ansätze nicht nur sinnvoll, sondern auch wirtschaftlich tragfähig sind.