StartBusinessUnterschätzte Führungskräfte: Introvertierte im Rampenlicht

Unterschätzte Führungskräfte: Introvertierte im Rampenlicht

In der lauten Arbeitswelt werden Introvertierte häufig missverstanden und übersehen. Doch hinter ihrer ruhigen Art verbirgt sich ein beeindruckendes Führungspotenzial, das es zu entdecken und zu fördern gilt. Gründerin und Podcasterin Hannah Schmidt beleuchtet, wie Introvertierte in Unternehmen ihre Präsenz stärken und ihre Arbeit sichtbar machen können.

Overlooked: Warum Introvertierte oft unterschätzt werden

Die Wahrnehmung von Introvertierten im Berufsleben ist häufig das Resultat ihrer ruhigen und introspektiven Art. Eine HR-Managerin, die Small Talk am Kaffeeautomaten meidet, wird als distanziert wahrgenommen. Ein Young Professional, der sich in einem Meeting nicht äußert, gilt schnell als desinteressiert. Die Brand Managerin, die Kopfhörer und Deep Work einem Company Gathering vorzieht, könnte den Eindruck erwecken, als sei ihr Karrierewachstum weniger wichtig. Diese Fehleinschätzungen führen dazu, dass Introvertierte oft übersehen und ihre Beiträge nicht bemerkt, gesehen oder anerkannt werden. Sie beschränken aktiv den Zugang zu Karrieremöglichkeiten, die sie anstreben.

Dabei verbirgt sich hinter introvertierten Persönlichkeiten ein beeindruckendes Führungspotential. Während extrovertierte Individuen ihre Energie und Inspiration aus externen Einflüssen und sozialen Interaktionen schöpfen, beziehen introvertierte Persönlichkeiten ihre Kraft aus ihrem Inneren. Wo extrovertierte Personen oft eine Leere füllen möchten, entdecken introvertierte Menschen eine Welt voller Ideen, Perspektiven und kreativer Gedankenspiele. Genau hier entstehen Ideen, die gut durchdacht und originell sind, neue Perspektiven, die vielleicht etwas unkonventioneller sind als bisher besprochen, sowie kreative Ansätze, für die es noch keinen vorformulierten Corporate Jargon gibt.

Mythos: Introvertierte ungeeignet in der Führung

Warum werden diese Qualitäten in Unternehmen oft übersehen? Unsere zwischenmenschlichen Interaktionen und die Meeting-Kultur, sowohl in Großkonzernen als auch in jungen Unternehmen, sind weiterhin stark von extrovertierten Merkmalen geprägt. Es gilt nach wie vor, die Stimme zu erheben, um gehört zu werden, Visibilität zu fördern, um für Beförderungen in Betracht gezogen zu werden, und Kontakte zu knüpfen – möglichst viele. Der Fokus liegt oft mehr auf dem eigenen Ego, der individuellen Wahrnehmung und Personal Brand als auf der tatsächlichen Arbeitsleistung.

Es könnte den Anschein haben, dass die „Corporate World“ einfach nicht für Introvertierte geeignet ist – ein lautes Haifischbecken, in dem leise Persönlichkeiten am besten mit Kopfhörern hinter Analysetätigkeiten und Sachbearbeitung verschwinden. Diese Feststellung ist keineswegs übertrieben, denn eine Studie von The Hustle ergab im Jahr 2021, dass 65 % der Führungskräfte glauben, Introversion sei eine Barriere für effektive Führung. Daneben gibt es weitere Mythen, die sich hartnäckig halten. Introvertierte seien wenig teamorientiert und grundsätzlich wenig interessiert, ihre Karriere voranzutreiben. 

Beim Entkräften dieser Mythen geht es nicht darum, den Vergleich zwischen introvertiert und extrovertiert anzustellen oder festzulegen, welche Ausprägung besser oder erfolgreicher ist. Am Ende gilt: Die besten Teams und Vorstände entstehen aus der Zusammenkunft unterschiedlicher Persönlichkeiten und Stärkenprofile.

Introvert‘s Dream: Im Unternehmen sichtbar werden, ohne laut oder aufdringlich zu sein

Wie steht es nun um die Karriereambitionen von Introvertierten? Wenn wir uns in unserer eigenen Welt so viel wohler fühlen, sollten wir nicht besser den extrovertierten Persönlichkeiten die Führungspositionen überlassen? Keineswegs! 

Introvertierte stehen oft vor diesem Dilemma: die Ambition, sich zu entwickeln, bedeutungsvolle Arbeit zu leisten, mit inspirierenden Menschen zusammenzuarbeiten, und gleichzeitig nach einem langen Tag in die Couch zu sinken und maximal dem Hund beim Schnarchen zuzuhören – fernab von Networking-Dinners und Canapés.

Wie schaffen wir es, unsere Ambitionen ins Rampenlicht zu rücken, sie sichtbar zu machen, aber uns gleichzeitig die Freiheit zu bewahren, sorgsam mit unserer Energie umzugehen und uns nicht zu verstellen? Hier sind drei Schritte, die Introvertierten helfen, ihre eigenen Stärken besser zu verstehen, ihre Karriereambitionen zu teilen und aktiv Unterstützung einzufordern:

  • Embrace your Introversion: Stärken der Introversion in den Vordergrund stellen

Die einzigartige Stärke introvertierter Persönlichkeiten am Arbeitsplatz liegt in dem Merkmal, das oft missverstanden wird: ihrer ruhigen Natur. Introspektion birgt eine Vielzahl von Fertigkeiten, die für effektives Selbstmanagement und Mitarbeiterführung entscheidend sind, darunter aktives Zuhören, Empathie, kreatives Denken, strategischer Weitblick und Selbstreflexion. Diese Qualitäten zu entdecken und ins Rampenlicht zu stellen, erfordert keine lauten Verkaufstaktiken, sondern vielmehr das Anerkennen dieser Fähigkeiten als Stärken. Häufig übersehene Soft Skills, wie Empathie und aktives Zuhören, rücken mehr und mehr in den Fokus der Führungsqualitäten, die unerlässlich sind. Hier haben Introvertierte einen deutlichen Vorsprung.

Sobald die eigene Aufmerksamkeit auf diese Fertigkeiten gerichtet ist, können sie aktiv gefördert, betont und hervorgehoben werden. Zum Beispiel könnte man sagen: „Meine Empathie ermöglicht es mir, die Bedürfnisse meiner Kunden zu antizipieren und proaktive Lösungen vorzuschlagen, die häufig auf Begeisterung stoßen.“ – sei es in einem Job-Interview oder im Gespräch mit dem Senior Management.

  • Tell me what you *really really* want: Klare Ambitionen äußern

Berufliche Ambitionen, insbesondere bei Frauen, tragen oft einen negativen Ruf, sind jedoch entscheidend, um persönliche Karriereträume zu verwirklichen und eine berufliche Laufbahn aufzubauen, die auf individuellen Stärken und Persönlichkeit abgestimmt ist. Dies erfordert zunächst eine klare Vision darüber, wie man sich die berufliche Karriere vorstellt. Dabei geht es weniger darum, einen detaillierten Karriereplan zu erstellen, der die nächsten fünf Jahre in Stein gemeißelt hat, sondern vielmehr darum, die grobe Richtung vorzugeben. Wichtige Fragen auf diesem Weg sind: „Wie stelle ich mir meine berufliche Tätigkeit in fünf bis zehn Jahren vor?“ „Mit wem verbringe ich die meiste Zeit?“ „In welcher Arbeitsumgebung befinde ich mich?“ „Wie ist mein Tag strukturiert?“

Diese Reflexion ermöglicht nicht nur eine klare Vision, sondern dient auch als Kompass für wichtige Karriereentscheidungen. Die Vision im Kopf zu haben, ist die eine Seite der Medaille. Die andere besteht darin, diese mit anderen zu teilen.

  • Surrounded by Winners: Fürsprecher finden und mobilisieren

Nachdem persönliche Stärken identifiziert und Karriereambitionen klar definiert wurden, ist es entscheidend, einen engen Kreis von Stakeholder*innen und Unterstützer*innen aufzubauen, die bei der Verwirklichung helfen können. „Word-of-Mouth“ ist eine besonders für Introvertierte geeignete Taktik, um die Sichtbarkeit im Unternehmen zu fördern. Introvertierte versäumen es oft, ihr Management um Unterstützung zu bitten, klare Ambitionen zu äußern und gezielt nach Entwicklungsmöglichkeiten zu fragen.

Die Devise lautet: „Ask for it“. In großen Unternehmensstrukturen können wir uns nicht immer darauf verlassen, dass gute Arbeit für sich spricht. Oft geschieht dies nur im eigenen Team und gegenüber den direkten Vorgesetzten. Wer jedoch über die Grenzen seines Teams und in andere Funktionsbereiche und Teams hinauswachsen möchte, steht vor der Herausforderung, sich immer wieder neu beweisen zu müssen. Ein kleiner Kreis einflussreicher Stakeholder kann dabei helfen, die bereits gesehene Leistung zu teilen und mit wichtigen Entscheidungsträgern zu platzieren.

Subtle is the new bold

Im Zusammenspiel mit extrovertierten Persönlichkeiten empfinden Introvertierte oft, dass ihnen bestimmte Eigenschaften fehlen, um erfolgreich zu sein. Doch statt diese Lücken zu schließen und extrovertierter zu wirken, geht es darum, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen und diese in den Vordergrund zu stellen – und das muss nicht immer laut, bold und auffällig sein.


Über die Autorin:

Hannah Schmidt ist Corporate Brand Marketerin, Gründerin von Subtle Careers und Hostin des Awfully Quiet Podcasts. Sie engagiert sich dafür, introvertierten Personen zu helfen, ihre Karriere entsprechend ihrer Persönlichkeit und Stärken aufzubauen. Mit fundiertem Verständnis für die Unternehmenswelt verfolgt Hannah das Ziel, wertvolle Erkenntnisse, Strategien und Ressourcen bereitzustellen, um Introvertierte auf ihrem Weg zum beruflichen Erfolg zu unterstützen.

Subtile Careers ist aus der Ambition entstanden, Introvertierte zu ermutigen, ihre individuellen Karriereziele zu verfolgen, und stellt dafür Ressourcen bereit, die unkonventionell und „introvert-friendly“ sind.

Der begleitende internationale Podcast Awfully Quiet beleuchtet in wöchentlichen Episoden die berufliche Stärke der Introversion. Dabei präsentiert er inspirierende Gäste, die ihre introvertierte Persönlichkeit erfolgreich eingesetzt haben, um Unternehmen aufzubauen und faszinierende Karrierewege zu gestalten. Bereits geführte Interviews behandeln Themen wie Public Speaking, Kommunikation, das Imposter-Syndrom, Networking und vieles mehr.

Fotomaterial(c) Hannah Schmidt

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