Herrscht in Familienbetrieben eine grundsätzliche Erwartung, dass die Kinder später einmal ins Unternehmen einsteigen?
B. R.-G. Was ich sehe, wenn ich es historisch betrachte: Der Druck – du musst das einmal alles übernehmen – ist geringer geworden. Allerdings versteckt sich hinter den Aussagen „Du kannst frei wählen“ fast immer auch die Botschaft „… aber übernimm das Geschäft“. Die andere Seite ist die: Primär denkt man nach wie vor an die Söhne, wenn es um Betriebsübergabe geht. Die Söhne sind die Unternehmer, und die Frauen sollen gut heiraten oder dürfen beruflich ihren Interessen nachgehen. Wenn man Glück hat, werden die Mädchen bei der Übergabe von Unternehmen zumindest finanziell mitbedacht.
Macht es einen Unterschied, wenn die Gründerinnen weiblich sind?
Wir müssen, wenn wir die Genderforschung miteinbeziehen, immer noch sagen: Frauendenken ist fast immer ein Denken für andere, ein Denken an das Wohl der anderen. Deshalb sind Frauen auch oft nebenberuflich Gründerinnen. Und indem ich für andere denke, denke ich auch für das Unternehmen und meine Kinder – und weniger an mich selbst. Das Ego bei Frauen ist anders entwickelt als bei den meisten Männern. Frauen erleben auch Ablösungsprozesse – etwa die ihrer Kinder in der Pubertät – massiver als Männer. Dadurch haben sie ein Wissen erworben, dass Veränderungen emotional gefärbt, jedoch notwendig sind: Da gibt es eine Veränderung, da gibt es einen Weg hin, da gibt es eine Übernahme.
Kann man also sagen: Gründerinnen haben gegenüber ihren Nachfahren eine gewisse Gelassenheit?
Jedenfalls öfter als Gründer. Gründerinnen sind – wenn ich an die Gespräche mit meinen Klient:innen denke – oft weniger identifiziert mit ihrer Firma. Sie können besser unterscheiden: Da gibt es die Firma, und da gibt es mich. Ich beeinflusse die Firma. Aber die Firma kann sich auch verändern, fließen, woanders hinfließen.
Eine ganz grundsätzliche Frage: Gibt es eine Art psychologisches Grundmuster bei Unternehmerfamilien?
Absolut. So bin ich als Familientherapeutin überhaupt in diesem Bereich gelandet. Wenn ich abseits der üblichen Wege geschaut habe – welchen Hintergrund haben die Menschen, die einen Leidenszustand haben? Was verbindet sie? – bin ich draufgekommen, dass fast alle Klient:innen zu diesem Zeitpunkt aus einem unternehmerischen Bereich stammen. Bei Lehrerinnen waren die Eltern oft aus dem Kleingewerbe, indem sie etwa ein Kaufhaus gemeinsam betrieben haben. Ich selbst habe einen bäuerlichen Hintergrund – und bin wie die meisten meiner Generation mit ähnlicher Geschichte in einen völlig anderen Bildungs- und Arbeitsbereich hineingegangen. Natürlich musste man sich irgendwann damit auseinandersetzen, was mit dem Unternehmen daheim passiert. Als Systemikerin gehe ich aber davon aus: Familie ist ein eigenes System aus Liebe, Zuwendung, Sorge, Zurückweisung und Emotionen. Weil du hineingeboren bist, gehörst du dazu. So funktioniert es, du kannst nicht gekündigt werden. Wenn dieselben Leute dann auch noch gemeinsam ein Unternehmen führen, existiert parallel dazu ein Universum, das nach wirtschaftlichen Wertigkeiten geführt werden muss und in dem ganz andere Fragen im Mittelpunkt stehen, etwa: Was hast du gelernt, wie viel kannst du? In der Wirklichkeit aber läuft es anders. Wenn ich mir als Expertin näher ansehe, nach welchen Grundsätzen die Entscheidungen erfolgen – zum Beispiel, ob jemand einfach nur mitarbeitet oder eine Leitungsfunktion bekommt –, merke ich, dass es fast nur um emotionale, familienorientierte Zugehörigkeitswerte geht. Und nicht um Leistungswerte.
Warum haben die wenigsten Gründer:innen den Mut, zu sagen: Es ist mir wichtig, dass mein Unternehmen von meinen Nachfahren weitergeführt wird, deshalb machen wir das zur Not in Begleitung eines Coaches?
Hier müssen wir unterscheiden, ob es sich um größere Familienunternehmen handelt oder um eine Firma mit zehn oder weniger Mitarbeitenden. Je größer das Unternehmen ist, desto eher zeigen sich die Beteiligten bereit, sich von den entwickelten Führungsmodellen der Betriebswirtschaft abzugrenzen, weil diese für Familienunternehmen oft nicht übertragbar sind. In den 1980ern lautete etwa das Credo bei Unternehmensberatern: Alles, was Familie betrifft, soll hier nicht besprochen werden, schließlich geht es nur um den Betrieb. Aus heutiger Sicht kann man da nur sagen: Da wird sich nicht viel ausgegangen sein … Wichtig ist, zu sehen, dass die derzeitige Gründergeneration, die jetzt oder in den nächsten Jahren übergibt, ebenfalls autoritär geprägt ist: Da gab es eine Gründerpersönlichkeit, die alles entscheidet, und die anderen haben sich angepasst oder untergeordnet. In diesem System steckt eine ziemliche Gefahr für die „zweite“ Generation. Denn wer über 20, 25 Jahre nur gelernt hat, sich anzupassen – woher soll dieser Mensch eine Fähigkeit zum Überblick, zum zukunftsorientierten Denken entwickeln? Vielen der zweiten Generationen fehlt genau diese Stärken, außer sie bekamen die Möglichkeit, in anderen Teilen der Welt zu studieren, in andere Betriebe zu gehen und dort Funktionen zu übernehmen. Mit den Fertigkeiten, die sie erwerben konnten, haben sie automatisch ein neues Selbstverständnis bekommen. Damit war die Abkoppelung zum traditionell agierenden Papa oder zu den traditionell agierenden Eltern wesentlich leichter. Diesen Weg empfehle ich auch heute.
Dann gibt es noch die Gründer-Eltern, die sofort kontern, wenn die Kinder mit neuen Ideen kommen: Das war schon immer so, deine neuen Ideen kannst du dir aufzeichnen …
Leider ist das oft so. Um Übergabe überhaupt in irgendeiner Weise erfolgreich zu gestalten, muss ich zuerst einmal evaluieren: Wie ist der Status quo? Was ist mein Anteil? Wo bin ich bereit, zurückzutreten und wo nicht? Kann ich überhaupt Abschied nehmen? Alles Fragen, die mit Abschied, Freigeben, Loslassen, also mit einem Trauerprozess zusammenhängen. Das ist eine große Herausforderung und dauert oft ein, zwei Jahre, bis Gründer:innen überhaupt einmal zwischen sich und dem Betrieb unterscheiden können. Und lernen, dass es nicht als Kränkung gemeint ist, wenn junge Erwachsene kommen und sagen, „Ich hätte eine ganz andere Idee.“
Was ist eigentlich so schlimm an den „Ideen“ der nachfolgenden Generation?
Es wird oft als Infragestellung aufgefasst und übernommen. Gründer:innen quälen sich auf einmal mit Fragen herum, wie: Wer bin ich denn dann? Was ist mein anderes Leben? Dazu kommt die Angst: Was wird sein, wenn ich loslasse? An diesem Punkt geht es ganz stark um Kontrollverlust, um die Angst, dass das Geschaffene verschwindet, um Inhaltsverlust – überhaupt Zugehörigkeitsverlust.
Liegt daher der Vorschlag, sich bei Übergabeprozessen professionell begleiten zu lassen, eher bei den Jüngeren?
Ich erlebe, dass die Jüngeren für ein Sich-Öffnen und das Zutrauen in die Forschung offener sind. Wobei die Frage ist: Was ist jünger? Jünger im Geiste! Das ist heute nicht mehr altersabhängig. Insgesamt muss ich aber sagen: Die meisten Anfragen oder leicht über die Hälfte der Anfragen kommen in der Zwischenzeit von Frauen. Von Töchtern beziehungsweise von Ehefrauen, die sehen, dass eine Übergabe notwendig sein wird. Fast immer sind die Frauen in Familienunternehmen für den emotionalen Zusammenhang, die Entwicklung und die Ausbildung – auch der Angestellten – zuständig. Männer treffen die großen strukturellen Entscheidungen und haben die „wunderbaren“ Ideen. Frauen schaffen das Familien- und Firmenklima und damit eine Entscheidungsgrundlage.
Ist es wirklich immer das Familiäre, an dem Übergaben scheitern? Oder sind es zum Beispiel auch die unterschiedlichen Arbeitsvorstellungen der Generationen?
Ich glaube, dass Übergaben dann scheitern, wenn die Vorbereitung der Familie nicht so war, dass das Unternehmen attraktiv erscheint. Die Jungen stellen sich dann nämlich die Frage: Warum soll ich übernehmen? Das vergessen die Eigentümer:innen oft. Die schildern oft mehr die Aspekte Belastung, Herausforderung sowie Existenzangst, und kaum die Vorteile. Das liegt möglicherweise an der Fähigkeit zu kommunizieren. Vielleicht auch an der Zeit, der Verzweiflung, der Überlastung. Oder der Angst: Um Gottes Willen, wenn mein Unternehmen so voller Vorteile ist, dann weine ich doch nur mehr, wenn ich das aus der Hand gebe!
Zum Abschluss: Welche guten Tipps bringen Sie immer am schwierigsten durch? Und gibt es andere, die sofort funktionieren, weil sie in ihrer Klarheit so bestechlich sind?
Neben den guten Tipps, die oft als Vorgabe verstanden werden, gibt es die Möglichkeit, zusätzliche hilfreiche Sichtweisen in ein Denkkonstrukt einzubringen. Das Erste, was ich immer wieder einbringe, ist die Aufforderung: Schafft eine gemeinsame Wirklichkeit und einen zu verfolgenden Fokus! Eine Wirklichkeit, von der in der Familie beide Seiten sagen: Gut, so ist es. Sollte es vorher ein Scheitern gegeben haben, so ist es wichtig, dieses zu überwinden, die Lernerfahrungen für die Zukunft zu nützen. Das bedeutet auch eine Veränderung der Selbstwahrnehmung, eben ein Lernen zuzulassen. Es sollte ein Plan vorhanden sein, auf diesen sollte dann auch gesetzt werden. Unvorhergesehene Hindernisse werden auftauchen: Nachjustierung ist dann gefragt – am Ball bleiben, aktiv bleiben und gleichzeitig Veränderungen der Umwelt erkennen. Manchmal ist auch der Wert von Netzwerken noch nicht voll ausgeschöpft. Auch hier erweitern; manchmal muss das Profil der eigenen Marke gestärkt, manchmal falsch verstandene Bescheidenheit abgelegt werden …
Zur Person:
Dr.in. Billie Rauscher-Gföhler, MEd ist Psychotherapeutin und Coach mit einem Schwerpunkt auf Führungskräfte-Consulting, Konfliktlösung, Organisationsentwicklung und Gesprächsführung. Sie ist Mediatorin, unterstützt in Teamentwicklungsfragen und betreibt in 1090 Wien ein Institut für systemische Kompetenz. Sie hält regelmäßig Vorträge und Seminare zu den Themen: „Meine Familie, meine Erfahrungen und ich“, „Meine Familie, Potenziale und Entwicklungsfelder“ sowie „Meine Familie, Perspektiven der Liebe“ und viele andere Themen der Persönlichkeits- und Führungskräfteentwicklung.