StartBusinessKarriereStolz & Vorurteil: Gender Equity im EU-Vergleich

Stolz & Vorurteil: Gender Equity im EU-Vergleich

Ganz schön woke, wenn queere Führungskräfte die Diversity in ihren Unternehmen pushen? Im Gegenteil. Die Vielfalt zu fördern, sollte längst state of the art sein. Während das Bewusstsein rund um Diskriminierung, Sexismus, Rassismus und Klassismus in Europa  zwar wächst, kämpfen Frauen immer noch mit dem Trio „Kind, Karenz, Karriereknick“. Von welchen Ländern wir lernen können.

Skandinavien hat einmal mehr die Nase vorn. Und zwar gewaltig. Während es in Österreich einige, teils recht komplexe Karenzmodelle gibt, die nur wenige Männer zum Daheimbleiben verlocken, gehen in Island gut 90 Prozent der Männer in Väterkarenz. Ganz selbstverständlich. Denn dort ist sie für beide Geschlechter relativ gut bezahlt und mit insgesamt neun Monaten, die sich die Eltern aufteilen, von überschaubarer Dauer. Damit fördert die Politik die ausgewogene Verteilung der Karenz in traditionellen Kernfamilien. Denn sie soll dem Erwerbsleben, vor allem von Frauen, in Island nicht schaden.

In Österreich hingegen unterbrechen Frauen ihre Jobs nach wie vor weitaus länger als Männer, sobald es um die Sorge um den Nachwuchs geht. Bei acht von zehn Paaren gehen Männer weder in Karenz, noch beziehen sie Kinderbetreuungsgeld. Wer überhaupt in „Baby-Auszeit“ geht, nimmt sich meist weniger als drei Monate Zeit dafür.

Auch von Schweden lässt sich viel lernen, wenn es um das Aufbrechen traditioneller Rollenbilder geht. Bereits vor gut einem halben Jahrhundert war ein Arbeitskräftemangel Grund dafür, Kinderbetreuungsplätze rapide auszubauen. Auch ganztags. Für die Eltern blieb das in den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten erschwinglich. Stehen Eltern in Österreich insgesamt zwei Karenzjahre zu, so sind es in Schweden nur 480 Tage und damit etwa 16 Monate. Das Karenzgeld wird zu etwa 70 Prozent an die Mütter ausbezahlt. Und: Teilzeitjobs sind in Schweden generell wenig gefragt – einfach deshalb, um niedrige Pensionen im Alter zu vermeiden. Ebenfalls ganz selbstverständlich.

Spanien, Frankreich und Belgien machen es einfach

Hoffnungsvoll geht es auch im vermeintlich katholisch-konservativen Südwesten Europas zu. Mit konkreten Vorstößen hat Spanien in diesem Frühsommer aufhorchen lassen. Ein Gesetzesentwurf soll Frauen mit Perioden-Schmerzen erlauben, jeden Monat bis zu fünf Tage lang zu Hause zu bleiben. Ärztliche Bestätigung vorausgesetzt.

Dieses Ansinnen sorgte für teils heftige Diskussionen. Und auch die Regierung ist sich weiter uneinig. Sie befürchtet, dass Arbeitnehmerinnen durch diese Extra-Krankentage stigmatisiert werden könnten. Bereits in Gesetze gegossen sind weitere feministische Forderungen, die andere Länder als „utopisch“ abtun: die sichere Abtreibung für alle ab 16, Konsens beim Sex, Verbot von „Catcalling“ (verbale sexuelle Belästigung).

Mit seiner großen Vielfalt an geförderten Betreuungsmöglichkeiten ist Frankreich ein echtes Vorreiterland. Beispiele gefällig? Staatliche Familienkassen liefern Beihilfen zur Beschäftigung einer Tagesmutter im Haushalt. Krippen und Vorschulen sind ganztägig geöffnet – manche haben sogar rund um die Uhr offen, was Frauen in Jobs wie der Flug- oder der Gesundheitsbranche massiv entgegenkommt.
Diese familienpolitischen Maßnahmen haben zur Folge, dass mehr Frauen in Frankreich Karriere machen können. Mit 45 Prozent hat Frankreich den höchsten Anteil an Aufsichtsrätinnen in der EU.

Kein Problem mit der „Fremdbetreuung“ von Babys haben Eltern in Belgien. Bereits mit zwei, drei Monaten kommen die Kleinen in eine Krippe – wenn notwendig bis zu zehn Stunden. Es ist gesellschaftlicher Konsens, dass Kinder zu einem guten Teil außerhalb der Familie erzogen werden. Der Gendergerechtigkeit kommt das zugute.

Chancengleichheit: Viel Luft nach oben

Schauplatzwechsel in die litauische Hauptstadt Vilnius. Dort hat das European Institute for Gender Equality (EIGE) seinen Sitz, dort entsteht der jährliche Gleichstellungs-Index. Die Ergebnisse für 2022 zeigen: Wenn es um die Chancengleichheit von Frauen und Männern geht, dann haben auch hier die nordeuropäischen Länder die Nase vorn.
Laut diesem Index hat die Spitzenposition in diesem Jahr unbestritten Schweden mit 83,9 von 100 möglichen Punkten inne. Es folgen Dänemark (77,8) und die Niederlande (77,3). Österreich hat im Vergleich zum Vorjahr um 1,5 Punkte zugelegt, hält bei insgesamt 68 Punkten und belegt EU-weit Platz 11.

Der Index zeigt für alle EU-Staaten, dass Frauen mit Beeinträchtigungen, ältere Frauen und Migrantinnen während der Covid-19-Krise merkbare Rückschritte in der Gleichstellung hinnehmen mussten und müssen. Die Pandemie hat vor allem bei Ausbruch und Höhepunkt Frauen in vielen Ländern zurück in alte Rollenbilder katapultiert.

Halbe-halbe: Frauen und Tech-Berufe in Osteuropa

Ob in den baltischen Staaten, in Rumänien oder Bulgarien – die Frauenquote in naturwissenschaftlichen sowie technischen (und damit tendenziell gut bezahlten) Berufen liegt heute bei rund 50 Prozent. Vergleicht man die Leistungen der Geschlechter in Mathematik, so ist der Gender Gap gering oder nicht sichtbar.
Ausschlaggebend dafür dürfte der Sozialismus sein, der vor der Wende die Gleichstellung von Frauen und Männern jedenfalls vorangetrieben hat. Selbstverständlich sind die Gräueltaten dieser Zeit schärfstens zu verurteilen. Fakt ist, dass Krippen und Kindergärten Frauen ermöglichten, früh nach der Geburt ihrer Kinder wieder zu arbeiten. Selbst in Algerien, Tunesien und den Vereinigten Arabischen Emiraten schließen mit 40 Prozent Frauen erfreulich viele Studentinnen an den Universitäten in den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik ab.

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