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„Pflegeberufe brauchen ein neues Branding“

Das Thema Pflege und damit auch der Fachkräftemangel in diesem Bereich begegnet immer mehr Menschen im privaten Umfeld. Sabine Kraus, Inhaberin und Geschäftsführerin der Münchner Markenagentur BECC Agency stellt im Interview fest: Die Pflegebranche sollte stärker auf Employer Branding setzen.

Warum sollte sich die Pflegebranche ein anderes Branding zulegen?

Pflege ist nicht nur eine Branche, sondern eine tragende gesellschaftliche Säule, für deren Stabilität die Attraktivität des Berufes essenziell ist. Leider spiegelt ein aktuell klischeehaftes oder unsichtbares öffentliches Bild ihren bedeutenden Stellenwert kaum wider. Ein durchdachtes Branding hat großes Potential diese Diskrepanz zu verringern: nicht als Kosmetik, sondern als Ausdruck von Haltung. Es schafft Sichtbarkeit, stärkt die Identifikation und vermittelt den Wert des Berufsbilds – nach innen wie nach außen

Wie haben Sie das Thema für sich und die Agentur entdeckt?

Pflege ist uns persönlich begegnet – in der Familie, im Freundeskreis. Daraus wurde ein Thema, das wir beruflich nicht ignorieren konnten und wollten. Im direkten Austausch mit Pflegekräften, auf Kongressen und kreativen Plattformen entstand der Wunsch, unsere Expertise für mehr Sichtbarkeit einzusetzen. Nicht belehrend, sondern verbindend. Pflege hat viel zu sagen – wir wollen helfen, es zu formulieren.

Branding kostet – sollte man nicht eher in Menschen investieren?

Branding ist genau das – eine Investition in Menschen. Wer Fachkräfte gewinnen will, muss sichtbar sein, Haltung zeigen und eine Arbeitgebermarke aufbauen, die berührt. Gerade junge Menschen sind gutes Design gewohnt – von Social Media, Tech Companies, modernen Consumer Brands. Es ist kein Beiwerk, vielmehr ein bedeutender Bestandteil der Recruiting-Praxis und deshalb auch für soziale Berufe kein Luxus, sondern notwendige Voraussetzung, um Menschen emotional zu erreichen.

Employer Branding ist doch längst erkannt?

Der Begriff ist präsent, die Wirkung oft nicht. Viele reagieren kurzfristig. Aber Employer Branding ist ein strategischer Prozess, der Kultur sichtbar macht und Vertrauen schafft. Pflege braucht Haltung – und Marken, die sie zeigen.

Was ist realistisch machbar?

Beliebte Marken kommunizieren klare Botschaften – und genau das braucht auch die Pflege. Bedeutsame Berufsbilder wie Feuerwehr oder THW machen es vor: Sie nutzen starke Narrative und emotionales Design, um Menschen zu erreichen. Pflege kann und sollte sich das zunutze machen. Ein ansprechendes Markendesign, das Haltung zeigt und Nähe schafft, ist realistisch – auch mit kleinem Budget. Schon erste Schritte wie authentische Bildsprache, modernes Wording und klare digitale Präsenz machen einen Unterschied. Entscheidend ist: Mut zur Marke.

An welchen Beispielen können sich Pflegeunternehmen orientieren?

Marken mit hoher Arbeitgeberattraktivität – wie Biontech, Google oder McKinsey – setzen auf emotionale Markenbotschaften: „gemeinsam etwas bewegen“, „große Herausforderungen bewältigen“ oder „Teil von etwas Größerem sein“. Das wirkt. Pflege ist genau das – nur wird es selten so kommuniziert. Pflegeeinrichtungen sollten sich trauen, ähnliche Narrative zu entwickeln: authentisch, sinnstiftend und nahbar. Denn was gesellschaftlich bedeutsam ist, darf sich auch genauso zeigen.

Gibt es schon Best Practices?

Vereinzelt – ja. Doch um der eigenen Bedeutung gerecht zu werden, muss das Berufsbild Pflege emotional aufgeladen werden. Das sehen wir bislang nur selten. Was wir hingegen häufig sehen: Kommunikation, die sich an die falsche Zielgruppe richtet. Statt Pflegebedürftige zu adressieren, sollte der Fokus auf potenzielle Fachkräfte liegen. Diese wollen sich für einen Arbeitgeber begeistern – mit Haltung, Sinn und einem starken Wir-Gefühl. Pflegeeinrichtungen, die diesen Perspektivwechsel schaffen, können echte Identifikation erzeugen. Das ist der Weg.

Wie geht das Ausland mit dem Thema um?

In Skandinavien, den Niederlanden, USA oder Australien ist Pflege preiswürdig und sichtbar kommuniziert. Menschen und Sinn stehen im Zentrum – mit professionellem Design und ehrlicher Haltung. Deutschland hat Potenzial, aufzuholen – mit Haltung und Strategie.

Wer sollte das Thema künftig mehr vorantreiben?

Es braucht ein gemeinsames Vorangehen von Einrichtungen, Trägern, Arbeitnehmenden und der Politik – aber auch kreativen Partnern – um den Fokus in der Kommunikation in Richtung der Pflegefachkräfte selbst zu verändern. Wandel entsteht dort, wo Perspektiven sich ergänzen. Unsere Rolle sehen wir darin, Prozesse mitzugestalten und Impulse zu geben. Sichtbarkeit ist kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug für Veränderung – und diese gelingt nur im Miteinander.

Über BECC 

Sabine Kraus ist Teil der vierköpfigen Führungsspitze der Münchner Markenagentur BECC Agency, sie ist Gründerin der Agentur mit mehr als 40 Jahren Berufserfahrung in den Bereichen Werbung, Event und Marke. BECC hat 40 Mitarbeitende und zählt laut Rankings von W&V zu den Top Ten CI-/CD-Markenagenturen in Deutschland mit Kunden wie BMW, MINI, Fiege, Personio, Škoda und Vodafone.

Fotomaterial@ BECC

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