Im vergangenen Herbst war es schließlich so weit – und für Sabine Haider wurde ein Traum wahr. Zum ersten Mal konnte sie dabei sein, wie aus ihren eigenen Oliven leuchtend grünes Öl gepresst wurde. „Es waren zwar nur 20 Liter, dennoch war der Moment berührend und befriedigend zugleich“, sagt die österreichische Olivenproduzentin.
Einige Monate später, an einem heißen Vormittag im Juli, steht die 51-jährige im leichten Sommerkleid und mit breitkrempigem Strohhut zwischen den Bäumen ihres Hains nahe der Ortschaft Mörbisch am Neusiedlersee. Die Lage mit Namen Martinsplatzl ist spektakulär. Von der sanften Anhöhe reicht der Blick über Weinberge bis zum Neusiedlersee, der, im Unterschied zum Vorjahr, heuer mit Wasser wieder gut gefüllt ist. Zu sehen ist auch Big Ben – eine Nachbildung des Londoner Uhrturms, die anlässlich der Seefestspiele für die Aufführung von My Fair Lady errichtet wurde. Dass in einer derartigen Prachtlage auch Wein gut gedeiht, ist vorstellbar.
„In Wien hatten wir nicht einmal einen Balkon. Aber dann wollten wir dem Klimawandel etwas Positives entgegensetzen.“
„Und dennoch wollte diesen Weingarten niemand kaufen. Also erwarben mein Mann und ich ihn, rissen die Reben aus und pflanzten unsere ersten Olivenbäume“, erzählt Haider. Das war 2017, also ausgerechnet in jenem Jahr, in dem der Winter besonders hart war und der anhaltende Februarfrost den mediterranen Bäumen zu schaffen machte. Doch Haider ließ sich nicht unterkriegen, pflanzte zusätzlich und in verschiedenen Lagen und hoffte weiter.
Heute bewirtschaftet sie unter dem Namen Olivia die stolze Zahl von 800 Bäumen, die auf den Anhöhen rund um Mörbisch und den See stehen. Sie alle stammen aus Italien, sind zwischen drei und zehn Jahre alt und tragen unterschiedliche Sorten Oliven. „Wir haben 18 verschiedene Sorten ausgepflanzt und beobachten sie, um zu sehen, welche davon sich am besten an die örtlichen Gegebenheiten anpassen“, sagt Haider. Denn Erfahrung gibt es mit dem Olivenanbau in Österreich naturgemäß wenig bis gar keine.
Das Ziel: Olivenanbau als Haupterwerb
Dass man überhaupt in Betracht ziehen kann, diesen für das Mittelmeer symbolischen, ja, geradezu emblematischen Baum so weit nördlich anzubauen, liegt freilich am Klimawandel. Erst die zunehmend steigenden Temperaturen brachten Haider und ihren Mann auf die Idee, sich auf das Abenteuer einzulassen.
„Von Landwirtschaft hatten wir beide keine Ahnung, in Wien hatten wir nicht einmal einen Balkon“, betont die heutige Plantagenbesitzerin mit einem Lächeln. Dennoch habe man dem Klimawandel etwas entgegensetzen, ihm mit einer guten und gewagten Idee sogar etwas Positives abgewinnen wollen, sagt Haider, die an der Hotelfachschule in Innsbruck studiert hat, danach im Fremdenverkehr tätig war und seit nun schon über 20 Jahren als Flugbegleiterin arbeitet.
Außerdem hat sie ein Studium der Kommunikationswissenschaften und eine Ausbildung als Facharbeiterin im Bereich Obstbau absolviert. Denn ihr ausgesprochenes Ziel sei es sehr wohl, den Olivenanbau eines Tages als Haupterwerb zu betreiben. „Doch das wird noch einige Jahren brauchen“, sagt sie, während sie durch ihren Olivenhain streift und den Zustand nahezu jedes Baums und jedes Bäumchens einzeln kommentiert.
„Für unsere jungen Bäume ist die Trockenheit im Moment das größte Problem.“
Im Moment ist das größte Problem die Trockenheit“, sagt sie, „im vorigen und im heurigen Jahr hat es zwar genug geregnet, doch in den Jahren zuvor viel zu wenig, was auch den Niedrigstand des Neusiedlersees im Vorjahr erklärt.“ An sich sei der Olivenbaum ja sehr genügsam, sein Wasserbedarf eher bescheiden. Doch täten sich bei anhaltender Trockenheit vor allem die jungen Bäume mit ihren vergleichsweise kurzen Wurzeln schwer, genügend Feuchtigkeit aus dem Boden zu ziehen, weswegen man sie mit Bewässerung unterstützen müsse. Außerdem sollte man auf möglichst selbstbestäubende Sorten zurückgreifen. Auf solche also, die für ihre Befruchtung keinen Partnerbaum benötigen, der dafür ja zur selben Zeit blühen müsste.
Der Traum vom österreichischen Olivenöl
Abwerfen würde das Projekt bislang leider kaum etwas, betont Haider. „Allerdings verkaufen wir einige Bäume weiter“, sagt sie, „zum Großteil an Private, aber auch an einige Landwirte, die sich für den Olivenanbau interessieren und experimentieren wollen“. Davon scheint es in der Tat genügend zu geben. Manche sprechen sogar von einem regelrechten Olivenanbau-Boom, der den gesamten Osten des Landes ergriffen habe.
So gibt es heute allein im Burgenland gleich mehrere Produzenten, darunter, um nur einige zu nennen, „Olivae Pannoniae Superioris“ von Reini und Angi Pieretti-Eder in Rust; das „Bio-Weingut Oberkofler“ der Südtiroler David und Patrizia Oberkofler in Maria Bild; die „Olivenbuam“ in Gols oder auch die Olivengenossenschaft „Pannolio“. Im niederösterreichischen Mostviertel betreiben Rosemarie Zechmeister und Franz Bräuer den „Olivenhof“, und in der Wachau setzte die Familie Zizala ihre Oliven- zwischen Marillenbäume.
Zudem besteht ein im Jahr 2019 als Verein gegründetes Start-Up namens Agro Rebels, das sich in Zusammenarbeit mit der Universität für Bodenkultur zur Aufgabe gesetzt hat, Interessierte beim Olivenanbau zu beraten und zu unterstützen (siehe unten). Sie alle hoffen, dem Klimawandel ein Schnippchen zu schlagen und darauf, dass heimisches Olivenöl in Österreich eines Tages seinen Markt finden wird. Davon ist freilich auszugehen, wenn man einerseits, die Vorzüge der als besonders gesund geltenden und auf pflanzliche Ernährung setzenden Mittelmeerdiät in Betracht zieht. Und andererseits die ausgeprägte Anziehungskraft von lokalen Lebensmitteln bedenkt.
Ausbaufähig ist der Markt obendrein. Denn im Vergleich zu den „echten“ Mittelmeerländern wie Spanien, Griechenland und Italien, in denen allesamt weit über zehn Liter Öl pro Kopf und Jahr konsumiert werden, ist der Jahresverbrauch in Österreich mit 1,3 Litern pro Einwohner:in noch ziemlich überschau- und ausbaubar.
Doch bis es tatsächlich einmal so weit ist, dass man hierzulande sein Schnitzel nicht mehr in Schweine- oder Butterschmalz beziehungsweise Sonnenblumenöl frittiert, müssen vermutlich noch einige warme Winter ins Land ziehen. Damit allein wird es wohl auch nicht getan sein. Zusätzlich fehlt es nämlich auch an Infrastruktur, wie beispielsweise an Ölmühlen. Zwar nutzen einige Produzenten altmodische Steinpressen und Filtermatten, doch wird hochwertiges Öl heutzutage eher in Zentrifugen erzeugt, sodass der Kontakt der Früchte mit Matten und Steinen weitestgehend vermieden wird und sich auch keine Fremdkörper im Öl wiederfinden. Doch solche Einrichtungen gibt es bislang in Österreich nicht.
Die Herausforderungen bleiben
„Für unsere 20 Liter Öl aus dem Vorjahr haben wir uns mit den Rustern Reini und Angi Pieretti-Eder zusammengetan und die Oliven bis zu einer Mühle nahe der Stadt Pergola in der italienischen Region Marche gebracht“, erzählt Haider. Was freilich nicht nur ein ungeheurer Aufwand ist, sondern auch nicht gerade zur Qualität beiträgt, wenn man bedenkt, dass eines der wichtigsten Kriterien für die Erzeugung von hochwertigem Olivenöl darin besteht, die Früchte so bald wie möglich nach der Ernte zu pressen.
Deswegen wird man sich erneut mit den Ruster Kollegen zusammentun, um im kommenden Jahr eine moderne Ölpresse anzuschaffen. Wie viel Öl dann gepresst wird, kann Haider allerdings noch nicht sagen. Denn selbst wenn der Olivenanbau in Österreich von den steigenden Temperaturen profitiert, so bringt doch der Klimawandel auch noch weitere Phänomene mit sich. Wie zum Beispiel Unwetter, Trockenheit und Spätfrost, die sich seit einigen Jahren häufen und die in unseren Breiten noch sehr junge Kultur bedrohen könnten.
Die Agro-Rebellen
Wie ein Agrar-Start-up dem Klimawandel mit Innovation begegnen will
Im Jahr 2019 taten sich der Physiker und Pflanzenbauer Markus Fink, der Soziologe Daniel Rössler und der Betriebswirt Lukas Hecke zusammen, um den Verein Agro Rebels zu gründen. Dieser hat sich zur Aufgabe gemacht, dem „Klimawandel mit Innovation zu begegnen“, wie es heißt. Und dazu Hobbygärtnernde und Landwirtinnen und Landwirte zu unterstützen, die sich für den Anbau von Obst- und Gemüsearten interessieren, die bislang in wärmeren Gebieten beheimatet waren und dank Klimaveränderung und steigender Temperaturen auch in unseren Breiten angebaut werden können – also mitunter Oliven. Angeboten werden neben der Beratung auch Standortanalyse, Bäume, Anleitungen zum Anbau, Materialien und Planung des Hains.
Text: Georges Desrues