Die kollektive Modewelt hat sich auf eine Konfektionsgröße bis 42, manchmal 44, geeinigt. Alles darüber hinaus entspricht nicht dem Idealbild. Die Models auf den Laufstegen tragen maximal Größe 36. Dadurch wird ein verzerrtes Bild der Realität wiedergegeben. Die Unterwäschemarke Victoria‘s Secret präsentierte bis 2019 bei ihrer jährlichen Modenschau besonders schlanke und durchtrainierte weiße Models und vermittelte ein überholtes und diskriminierendes Frauenbild. Als Marketingchef Ed Razek 2018 noch dazu erklärte, dass eine Trans-Frau niemals ein Victoria‘s-Secret-Engel werden könne, war das der Anfang vom Ende der Show. Nach heftiger Kritik stellte der Konzern 2019 seine legendäre Laufsteg-Show ein. Im Oktober 2024 kam die Show zurück, diesmal diverser sowohl bei der Hautfarbe als auch bei den Konfektionsgrößen. Curvy Models wie Ashley Graham oder Paloma Elsesser präsentierten sich ebenso in Unterwäsche wie die Transgender-Models Valentina Sampaio und Alex Consani. Ein Schritt in die richtige Richtung, dennoch blieben große Größen weitgehend unterrepräsentiert.

Welche ist die meistgekaufte Größe bei Damenbekleidung?
Die Deutsche Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) erhebt jedes Jahr die meistgekaufte Größe bei Damenkleidung. Die ist seit Jahren gleich: Größe 40. Dies deckt sich aber nicht mit der Größe der Durchschnittsfrau. Diese wird von der GfK mit 42,3 angegeben. Kaufen Frauen ab Größe 44 weniger Kleidung oder wird diese von Modehäusern schlicht gar nicht angeboten? Fakt ist, dass die Konfektionsgröße bei 42 aufhört. Alles darüber hinaus sind sogenannte „Übergrößen“ und nur bei speziellen Marken erhältlich.
Dass bei fast allen Modemarken größere Größen nicht im Sortiment sind, musste auch Gabriele Wally feststellen: “Wenn man Größe 44 oder 46 trägt, wird es schwierig, in modischen Läden einzukaufen. Bei Größe 42 ist Schluss“, erzählte sie sheconomy im Interview. Die Schneidermeisterin aus Wien hat selbst lange an der Wiener Staatsoper gearbeitet, bis sie sich 2013 mit ihrem eigenen Laden in der Wiener Josefstadt selbständig machte. Das fehlende Angebot modischer Kleidung ab Größe 42 nutzte Wally, um die Lücke zu schließen. In ihrem Geschäft Stor> führt sie Kleidung bis Größe 54, sowohl eigene Entwürfe als auch Marken in großen Größen. Für ihre eigenen Designs verwendet Wally ausschließlich Jersey-Stoff aus Deutschland und lässt die Entwürfe in der Werkstatt von Wienwork nähen.
„Wenn man Größe 44 oder 46 trägt, wird es schwierig, in modischen Läden einzukaufen. Bei Größe 42 ist Schluss.“
Gabriele Wally, Inhaberin des Geschäfts Stor> in Wien
Dass die Durchschnittsfrau nicht in die Konfektionsgrößen passt, legt nahe, dass Unternehmen das Marktpotenzial nicht erkannt haben oder nicht erkennen wollen. Ein veraltetes, verzerrtes Schönheitsideal lässt große und kleine Modemarken an den Größen 34 bis 42 festhalten.
Durch ihre Tätigkeit als Schneiderin hat Wally viel Erfahrung mit unterschiedlichen Figuren und kann ihre Kundinnen optimal beraten. Bei privaten Shopping-Terminen nimmt sie sich Zeit für jede Einzelne, den richtigen Schnitt und das richtige Modell zu finden. Unter dem Titel „Style up your Wednesday“ zeigt sie auf ihrem Blog www.storstore.at jeden Mittwoch neue Outfits und Inspirationen zu bereits vorhandener Kleidung.

Sieht man sich die Durchschnittsgröße der Frau im historischen Vergleich an, so trugen 1982 noch 48,9 Prozent Größe 42 und größer, 1994 waren es bereits 54,2 Prozent. Tendenz steigend. Die Zahlen werden regelmäßig vom Hohenstein-Institut in Deutschland erhoben und an interessierte Modefirmen verkauft. Das sind die letzten verfügbaren Daten. Unternehmen orientieren sich also an den am meisten verkauften Größen, und nicht an der tatsächlichen Durchschnittsgröße der Frau. Der Körperbau von Männern und Frauen hat sich aber in den letzten Jahrzehnten verändert, Menschen sind heute größer und kräftiger gebaut als in den 1960er Jahren. Trotzdem werden diese Maßstäbe für heutige Größen herangezogen.
Es gibt einen Markt jenseits von Größe 42
Größere Kleidung zu produzieren ist teurer, argumentiert die Modeindustrie oft. Tatsächlich bieten Modehäuser wie Miu Miu auch Größen bis 50 an, allerdings nur online, und da sind sie meist ausverkauft. Der stationäre Handel beschränkt sich weiterhin auf herkömmliche Größen.
Diese Erfahrung machte auch Georg Preiner, Inhaber von Grandios, der Curvy Fashion Store. „Der Bedarf wird vom Markt durch die herkömmlichen Modeketten nicht gedeckt“, erzählt er im Interview. Er scheiterte beim Geschenkekauf für seine Mutter an dem eingeschränkten Angebot bis Größe 42. Das bewog ihn 2016, einen eigenen Laden in der Otto- Bauer-Gasse im sechsten Wiener Gemeindebezirk zu eröffnen. Das modische Sortiment reicht von Größe 40 bis 54 zu leistbaren Preisen.
„Der Bedarf wird vom Markt durch die herkömmlichen Modeketten nicht gedeckt.“
Georg Preiner, Inhaber des Geschäfts Grandios in Wien
Die Größen nach unten und oben erweitert hat Sophie Pollak mit ihrem Label We Bandits. Ihre Entwürfe gibt es von XXS bis XXL, das ungefähr einer Größe 46 entspricht. „Bei Plus Size ist es vor allem wichtig, die Größen weiter zu gradieren (Anm.: Schnittanpassung). Wir legen sehr viel Wert darauf, dass unsere Schnitte auch bei größeren Größen wirklich passen. Wir beschäftigen uns sehr viel mit der Schnittentwicklung für die ganz kleinen und großen Größen, weil man die Größensprünge nicht einfach umlegen kann auf Randgrößen. Figuren sind unterschiedlich“, erzählt Pollak im Interview mit sheconomy.

In ihren Entwürfen arbeitet Pollak mit Gummizügen am Hosenbund, damit das Lieblingsstück auch noch passt, wenn sich der Körper verändert. Seit 2020 führt sie ausschließlich ihre eigene Kollektion, bei der sie besonderen Wert auf Nachhaltigkeit legt. Alles wird in kleinen Betrieben in Bulgarien und Portugal hergestellt.
„Fashion Reloaded“
Eine weitere Zielgruppe, die immer mehr an Bedeutung gewinnt, sind die sogenannten Best Ager, also Frauen ab 60. Bereits 2022 haben an der Model-Castingshow Germany’s Next Topmodel Kandidatinnen jenseits der 50 teilgenommen – und sind heute gefragte Models. Frauen in dieser Alterskategorie haben ihren Stil längst gefunden und legen Wert auf Qualität. Dass sie nicht im Omi-Look herumlaufen wollen, hat die Industrie spätestens entdeckt, als die 90er-Ikonen Kate Moss, Cindy Crawford und Claudia Schiffer die 50 überschritten hatten. Seitdem werden die Kult-Models gerne von großen Modehäusern wie Versace als Runway-Höhepunkt gebucht.

Auch bei der Vienna Fashion Week haben sich im September 2024 erstmals Seniorinnen unter dem Motto „Fashion Reloaded“ auf den Laufsteg gewagt. Und das in ihren eigenen Kreationen. Im Rahmen der Pensionist:innen-Klubs in Wien trafen sich modebegeisterte Seniorinnen zum Designen, Nähen und zur Anprobe. Alles begann mit dem textilen Nachlass eines geliebten Menschen. In dem Kasten der Frau fand sich fein geordnet der textile Schatz eines langen, erfüllten Lebens: Kleider, Jacken, Mäntel, Hosenanzüge aus feinstem Kaschmir, Leinen, Chiffon, feiner Wolle, bester Baumwolle und edler Seide. Kaum getragen und top-gepflegt, denn die besonderen Stücke wurden ja oft nur einmal zu ganz besonderen Anlässen getragen. Diesen Kleidungsstücken neues Leben einzuhauchen und sie einem jungen Publikum zu präsentieren, war das Ziel der Mitglieder der Pensionist:innen-Klubs.
Alle Damen sind zwischen 60 und 80 Jahre alt und arbeiteten ein Jahr lang am Upcycling der Kleidungsstücke. Neben dem Aspekt der Nachhaltigkeit, nur bereits vorhandene Kleidungsstücke zu verwenden, war auch der Aspekt der Akzeptanz älterer Menschen in der Gesellschaft ein wesentlicher. Die kreative Selbstverwirklichung der Damen war dann am Laufsteg zu bewundern. „Ich war bei den Klubs eigentlich bei einer Schreibwerkstatt für Senior:innen, aber als ich von diesem Projekt hörte, wollte ich sofort dabei sein. Mir gefällt besonders der Aspekt der Nachhaltigkeit. Aus Stücken, die schon ewig sinnlos im Kasten lagen, von denen ich mich aber nicht trennen wollte, entstehen großartige neue Kreationen. Der Jeansrock, den ich bei der Show vorführe, wurde etwa aus vier Paar alten Jeans gemacht. Aus einem biederen Plisseekleid entstanden gleich zwei neue Outfits, die ich mit Kunstleder aufgepeppt habe“, erzählt Angelika Högn, 68, Mitglied der Pensionist:innen-Klubs.

„Als ich gefragt wurde, bei ,Fashion Reloaded‘ dabei zu sein, war ich spontan begeistert. Denn meine Lebenseinstellung ist, dass ich aus den Jahren, die ich noch habe, das Beste herausholen will. Dass ich jetzt diesen Lebenstraum auch noch mit einer so sinnvollen, nachhaltigen Initiative verbinden kann, freut mich wirklich sehr“, erzählt Brigitte Zellermayer, 73, Mitglied der Pensionist:innen-Klubs, begeistert.
Ob es das Projekt bei der nächsten Fashion Show wieder geben wird, entscheiden die Mitglieder selbst. Die Begeisterung war jedenfalls sowohl am Laufsteg als auch im Publikum grenzenlos.
Shops
DEUTSCHLAND
Les Soeurs Berlin
Grolmanstraße 16, 10623 Berlin Der Curvy Concept Store führt Mode in den Größen 42 bis 56. les-soeurs-shop.de
Ludwig Beck München
Marienplatz 11, 80331 München Die Curvy-Abteilung bietet von Alltagskleidung bis Tracht alles bis Größe 56, online und offline. www.ludwigbeck.de
Kurvenhaus Hamburg
Hermannstrasse 16, 20095 Hamburg Modetrends in großen Größen mit eigens für Kurvenhaus entworfenen Kollektionen. www.kurvenhaus.de
Grandios
Otto-Bauer-Gasse 11/2, 1060 Wien www.grandiosonline.at
We Bandits
Lindengasse 20, 1070 Wien webandits.eu
Über die Autorin
Unter alexandras.me betreibt Alexandra Russ einen Modeblog, auf dem sie Nachhaltigkeit und Style miteinander verbindet. Ihr Credo: Jede:r kann sich seinen oder ihren Kleiderschrank „hochwertig, nachhaltig und verantwortungsvoll“ gestalten, sodass sich „Mode mit unserer Umwelt verträgt und trotzdem hochwertig und fancy ist“.