Vielmehr können wir die Metapher vom Fisch im Wasserglas verwenden. Solange der Fisch im Wasserglas – oder artengerechter in Flüssen, Seen oder Meeren – schwimmt, ist er sich des Lebens-Elixiers „Wasser“ nicht bewusst. Ähnlich selbstverständlich empfinden wir Unternehmenskulturen, in denen wir uns bewegen.
Meist werden uns die informellen Spielregeln erst bewusster, wenn wir das Unternehmen wechseln und einen Vergleich ziehen können. Die Do’s and Don’ts treten dann deutlicher hervor. Oder wir lernen durch unmittelbare Reaktionen von anderen auf unser Verhalten.
Lange Zeit habe ich in einem Unternehmen mit einer Hochleistungskultur gearbeitet, so wie sie das Fraunhofer Institut definiert: dynamisch, leistungsorientiert, offen, liberal, flexibel, schnell, freiheitsgebend, ergebnisorientiert, flache Hierarchien. Als ich eines Tages bereits um 16:00 Uhr zum Nachhause gehen ansetzte, meinte einer der Geschäftsführer sarkastisch: „Ah, gehst du auf Mittagspause?“ Autsch. Kein smarter Regelbruch. Hingegen, den Arbeitstag erst um 9:45 Uhr zu starten, war okay.
Mein Learning: Bleib länger und verstecke dich hinter deinem Bildschirm, täusche Betriebsamkeit vor, egal was du tatsächlich machst oder nutze die Zeit in der Früh, um Sport zu machen, statt am Abend. Mit seinem Kommentar hat er die ungeschriebene Regel verfestigt und ich habe dazu beigetragen, sie zu reproduzieren, gemeinsam haben wir sie stabilisiert: Nur wer lange arbeitet wird geschätzt.
Change-Prozesse gehen mit undefinierten Spielregeln einher
Macht und Einfluss in einem Unternehmen oder System gewinnen ausschließlich diejenigen, die die kulturellen Spielregeln kennen und anwenden. Sie wissen, wie sie richtig dosiert die Regeln brechen können, kennen also den informellen „Zulässigkeitskorridor“. So ist auch möglich, Regeln zu verändern. Denn wir alle sind immer aktiv beteiligt, Unternehmenskulturen zu verfestigen oder umzugestalten. Niemand kann sich dessen entziehen.
Viele Unternehmen, besonders Konzerne, befinden sich im Dauer-Change. Die Fraunhofer-Typologie beschreibt eine „Veränderungsorientierte Bewahrungskultur“ mit den Begriffen: hierarchisch, konservativ, veränderungsorientiert, ambivalent, diversityorientiert, innovativ, sozial, uneinheitlich, politisch. Damit im Change-Prozess eine Weiterentwicklung möglich ist, kann man nicht alles auf Punkt und Beistrich festschreiben. So vergrößert sich im nichtfestgeschriebenem Graubereich automatisch die machtpolitische Arena.
Ich beobachte zwei Arten darauf zu reagieren:
Typ 1: Warten bis entschieden wird
Die einen warten bis entschieden wird und bleiben dabei unsichtbar. Exemplarisch ein Erstgespräch mit einer Führungskraft in einem veränderungsorientierten Konzern. Sie beschreibt ihre Situation so: Mein Team schätzt mich. Eben wird umstrukturiert, deshalb ist es nun doch zu früh, um an meiner strategischen Kommunikation zu arbeiten. Ich muss mal abwarten, bis die Situation übersichtlicher ist, dann erst kann ich umsetzen, was wir im Coaching erarbeiten. Mein Chef positioniert sich auch nicht. Wir werden sehen, wo wir im Organigram eingeordnet werden. Meine kritische Frage: Was wissen die Entscheidungsträger über eure Abteilung überhaupt – und ist das eine ausreichende Basis, um eure Arbeitsbedingungen optimal fürs Unternehmen festzulegen?
Typ 2: Platz besetzen
Die anderen agieren rasch. Mit ihrem Tun schaffen sie Fakten und besetzen den Platz. Eine unaufgeregt-ruhige Führungskraft hat den Vorteil dieser Taktik erkannt und sagt: „Früher habe ich primär geschaut, was den anderen wichtig ist und mich gefügt. Jetzt suche ich das Gespräch proaktiv und mache deutlich, wofür ich stehe, was von mir zu erwarten ist. Damit bin ich einordenbar, das kommt gut an und hat mir und dem Unternehmen viel gebracht.“ Fakten schaffen ist eine Methode, um zu gestalten. Um Erlaubnis zu fragen kann manchmal sehr langwierig und ermüdend sein und viel zu häufig passiert dann gar nichts.
Ist Vertrauen auf gute Entscheidungen von anderen zielführend?
In allen Unternehmen konkurrieren die unterschiedlichen Abteilungen. Bekommt Marketing, HR, oder Controlling mehr Budget? Wird die Forschung für Produkt A oder B prioritisiert? Eine Führungskraft hat die Aufgabe, ihre Abteilungs-Interessen gegenüber anderen Ansprüchen geltend zu machen. Es ist Teil des Jobs maximal Einfluss zu nehmen. Und falsch verstandene Kooperation, darauf zu warten, was übrig bleibt und zugesprochen wird.
Unternehmen sind komplexe Systeme. Wir können nicht erwarten, dass die Entscheidenden ohne unsere strategische Kommunikation den Überblick haben, was die einzelnen Abteilungen brauchen, um gute Ergebnisse zu erzielen.
Fazit
- Kenne die Do’s and Don’ts deiner spezifischen Unternehmenskultur
- Du kannst Regeln ungestraft im kalkulierten Zulässigkeitskorridor brechen, um eine konstruktive Veränderung zu erreichen.
- In Change-Prozessen: Schaffe Fakten und besetzte den Raum, um für dich und deine Abteilung optimale Arbeitsbedingungen zu erreichen.
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