StartOpinionMacht: Warum wir (auch) über Krawatten sprechen müssen – und über Geld

Macht: Warum wir (auch) über Krawatten sprechen müssen – und über Geld

Das Gruppenfoto vom Investitionsgipfel im Kanzleramt zeigt mehr als Anzüge und Krawatten: Es zeigt ein System, das sich selbst bestätigt. Doch Macht könnte sich wandeln. Bis 2030 werden Frauen weltweit über die Hälfte des Vermögens verfügen und damit die Chance haben, die Finanzwelt fundamental mitgestalten. Höchste Zeit also, Macht neu zu denken – und sie sichtbar anders zu verkörpern, meint unsere Autorin.

Ich kenne kaum einen Mann, der gern Krawatte trägt. Bewerbungsgespräche, Hochzeiten und Co –  da geht es nicht ohne. Nach ihrem Einsatz: erleichtertes Lockern, entspanntes Gesicht. Durchblutung zum Gehirn: läuft wieder.

Für eine Einladung ins Kanzleramt sieht die Etikette nicht offiziell vor, Krawatte zu tragen. Doch in exklusiven Wirtschaftsformaten und bei gesellschaftlichen Anlässen ist die Krawatte kein Statement, sondern Code. Deshalb wäre es zu einfach, das in der vergangenen Woche schon zuhauf in Presse und Social Kanälen analysierte Abschlussfoto des Wirtschaftsgipfels allein nach einem Accessoire zu beurteilen (zur Erinnerung: In der vergangenen Woche haben 61 Unternehmen Investitionen in Höhe von 631 Milliarden Euro angekündigt. Auf dem Bild: rund 40 Männer in Anzug, fast alle mit Krawatte, und zwei Frauen).

Und doch steckt hier viel drin. Seit Jahren bewege ich mich als Wirtschaftsjournalistin (mit beruflicher Erfahrung in die Modebranche) im Tech-, Digital- und Innovationsumfeld. Out of the Box und Krawatte, das geht in meiner Welt nur schwer zusammen. Hier steht sie für Hierarchie, für Formalität. Für eine Managementwelt, die längst herausgefordert wird – gerade in Deutschland.

Wenn sich bei einem Gipfeltreffen im Kanzleramt Dutzende Industriechefs begegnen – einheitlich im Stil des Bundeskanzlers (mit einer Ausnahme, Ola Källenius, CEO Mercedes-Benz Group) – drückt das wohl vor allem Zugehörigkeit aus. Aber auch kollektive Seriosität? Ist es ein elitärer Code – oder der visuelle Ausdruck eines Systems, das sich schwer damit tut, sich neu zu erfinden?

Tatsächlich teilen sich „Mode“ und „Modernisierung“ denselben Wortstamm. Mode war schon immer Echo des Zeitgeistes. „Moderne“ bedeutet nicht für alle dasselbe, das hat die Geschichte in jeglicher Ausprägung bewiesen. Soll dieses Bild also vielleicht sogar subversiv modern bzw. als Kontrapunkt wirken – als bewusste Abgrenzung zum oft lauten, oft von US-CEOs im T-Shirt geprägten Tech-Minimalismus? Als Symbol für Verlässlichkeit und gemeinsame Verantwortung im Wandel, für Bestand und Stabilität? Kleidung ist immer Kommunikation. Das Abschlussfoto zeigt eine Einheit, die bisherige Strukturen eher zu zementieren scheint, als Aufbruch zu signalisieren.

Nur zwei Frauen – eine davon die Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche – „zieren“ den Rand des Bildes. So beschreiben wir es auch in der aktuellen Print-Ausgabe der Sheconomy: Macht ist in Deutschland an entscheidenden Stellen einseitig verteilt, gerade die Finanz- und Investitionskraft liegt in männlich geprägten Systemen.

Noch. Denn wir könnten in den kommenden Jahren einen Machtwechsel erleben. Zum ersten Mal in der Geschichte werden Frauen bis 2030 über die Hälfte des weltweiten Vermögens verfügen. Höchste Zeit also für neue Gruppenbilder und den Mut, die Macht zu ergreifen, Einfluss (auch über Investments) zu nehmen und dabei die unangenehmen Nebenwirkungen von Macht auszuhalten, so wie es unsere Herausgeberin Kristin Hanusch-Linser in ihrem Kommentar im neuen Heft beschreibt – und selbst als Rolemodel vorlebt.

Mein Artikel „Macht euch bereit“ in der aktuellen Sheconomy zeigt, wie erfolgreiche Managerinnen und Politikerinnen (u.a. die Bundesforschungsministerin Dorothee Bär) Macht definieren und einsetzen. Und warum Frauen mehr Spaß an der Macht haben sollten. Denn, wie Executive Coachin Vera Steinhäuser mahnt: Die Macht verschwindet nicht, wenn wir sie ignorieren, sondern sie findet ohne uns statt.

Fotomaterial@Pexels

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