StartInnovationNew WorkLeidensdruck im Job? Welche Fragen Sie sich stellen sollten, bevor Sie kündigen

Leidensdruck im Job? Welche Fragen Sie sich stellen sollten, bevor Sie kündigen

Trotz zahlreicher Initiativen zur Frauenförderung denken mehr Frauen denn je ernsthaft darüber nach, ihren Arbeitsplatz zu wechseln. Was Alissia Quaintance, Expertin für Frauengesundheit in der Arbeitswelt Frauen in dieser Situation rät und was Hormone und die rechte Gehirnhälfte damit zu tun haben.

Ob „Silent“ oder „Loud Quitting“ – vielen Frauen geht es gerade in ihrem Job nicht gut, die Bereitschaft für einen Jobwechsel steigt, das zeigt u.a. die McKinsey-Studie „The Great Breakup“ – woran liegt das, was beobachten Sie?

Es ist tatsächlich etwas paradox – trotz zahlreicher Initiativen zur Frauenförderung ziehen mehr Frauen denn je ernsthaft in Erwägung, ihren Arbeitsplatz zu wechseln oder aufzugeben – das zeigt u.a. der Women in Workplace Report von McKinsey. Die Unzufriedenheit rührt aus meiner Beobachtung oft von einer immer noch unveränderten Arbeitskultur, die allzu oft immer noch weiß und männlich dominiert ist. Frauen fühlen sich gefangen in Monokulturen, die sich trotz aller Bewegungen für Gleichberechtigung nicht so schnell verändern, wie wir es uns erhofft haben. Zu häufig hören wir immer noch dieselben Geschichten aus dem Alltag, oft auch von den progressivsten Unternehmen in unserer Zeit: Frauen, die immer noch aufgefordert werden, Protokolle zu führen oder Termine zu koordinieren, während ihre Ideen und Meinungen ungehört bleiben, bis ein Mann ihre Worte wiederholt.

Welche Reaktionen folgen daraus?

Viele Frauen suchen sich aktuell ein Unternehmen mit einem besseren „Purpose Fit“ oder wechseln sogar zu einem NGO in der Hoffnung auf Besserung. Doch aus meiner Sicht liegt die Lösung nicht immer in einem Jobwechsel – denn das Job-Hopping von einer toxischen Unternehmenskultur in die nächste kann sogar noch mehr Probleme bringen. Was ich auch beobachte ist, dass wir gesellschaftlich neue Generationen automatisch als “faul” bezeichnen, weil sie das alte Spiel nicht mitspielen wollen bzw. ein neues Spiel erfinden, indem sie von Job zu Job springen und sich mit jedem Wechsel mehr Gehalt verhandeln, was aber natürlich nur eine gewisse Zeit befriedigend ist.

Geld als Incentive in einer toxischen Kultur zu performen funktioniert nur begrenzt, das haben große Unternehmen auch verstanden, somit bleiben Job-Hopping und New Generation Bashing eine interessante Ausprägung unserer Zeit. Klar ist, dass mehr Gehalt als Loyalitäts-Booster ein Auslaufmodell ist.

Der Leidensdruck ist aber offenbar hoch, und Veränderungen sind ja auch mutig. Was raten Sie denn?

Vorweg: Mir geht es nicht um ein “Fixing the women” und wie Sie in meiner Vita sehen, bin ich selber eine Frau, die sich gern neu erfindet. Deshalb weiß ich auch, dass jede große Veränderung vor allem einen großen Anteil von Selbstreflektion und Selbstarbeit erfordern, denn je näher man seiner Bestimmung kommt, desto mehr kommen tieferliegende Selbstzweifel an die Oberfläche. Vor einem radikalen Wechsel lade ich deshalb meine Klientinnen dazu ein, zu hinterfragen und neugierig zu sein, welchen Anteil sie selbst an der Situation haben und welche hartnäckigen, unterbewussten Muster vielleicht im Weg stehen. Natürlich sollen Frauen bei gravierenden Grenzüberschreitungen, Diskriminierung oder sexueller Belästigung ihre Sachen packen. Aber oft geht es auch um Grauzonen, in denen es sich lohnt, etwas genauer hinzuschauen.

Können Sie da konkreter werden?

Es ist aus meiner Sicht sinnvoll, sich folgende Fragen zu stellen, um mehr Klarheit über die eigene Situation im Job zu erzielen.

  • “Wann habe ich nicht gesagt, was ich brauche, um nicht zu riskieren, mich unbeliebt zu machen?” 
  • “Wann habe ich einen Fehler in einem Plan gesehen und ihn nicht angesprochen, aus Unlust in Diskussionen verwickelt zu werden?” 
  • “Wann habe ich “Ja” gesagt, was eigentlich ein “Nein” hätte sein sollen und warum?” 

Somit ist meine Empfehlung an Frauen an dieser Stelle, sich die Zeit zu gönnen und sich klar zu machen, was sie wirklich wollen, bevor sie in die Jobhopping-Falle treten und unnötig Zeit, Geld und Energie verschwenden. Wichtig ist es auch zu verstehen, dass wir im Prozess dieser Bewusstseinsarbeit eher auf die rechte als linke Hirnhälfte angewiesen sind. Denn hier geht es darum, in uns hinein zu lauschen, anstatt Antworten im Außen zu suchen.

„Ich lade Frauen ein, ihren Zyklus als Kraftquelle in besonders produktiven Phasen zu sehen“

Das klingt erstmal einfacher, als es ist…?

Wenn wir lernen, was es heißt uns selbst treu zu sein und unsere Bedürfnisse zu artikulieren, ist die gesuchte Veränderung oft viel näher als gedacht. Und diese Veränderungen könnten die Kultur in einem Team oder einer Organisation wandeln, genau das ist jetzt wichtig, damit wir wirklich inklusive Arbeitskulturen schaffen, um bessere Produkte und Innovation hervorzubringen und Frauen spielen dabei eine besonders wichtige Rolle. Es lohnt sich also, erst einmal herauszufinden, wo die eigenen Bedürfnisse und Ziele liegen, bevor der „Exit“ angesteuert wird.

Auf welche Signale sollten Frauen denn hören?

Ein Warnsignal ist es zum Beispiel, wenn sich Frauen so überreizt fühlen, dass sie nicht mehr offen für neue Ideen oder die Zusammenarbeit mit anderen sind. Das ist ein Zeichen dafür, dass das Nervensystem so im Stressmodus ist, dass eigentlich gar nichts mehr geht.  Viele junge Frauen kommen dann zu mir in die Praxis und wollen ihre Hormone besser “im Griff” haben oder merken, dass die Regelblutung unregelmäßig kommt oder gar mehrere Monate ausfällt und fragen nach Rat.

Intuitiv wissen sie, dass etwas nicht stimmt und der Hormonhaushalt ist das erste Warnsignal, dass es jetzt Zeit ist, etwas für sich zu tun. Der Zyklus gilt bereits in Wissenschaftskreisen als das fünfte Vitalzeichen für eine Frau, neben Atmung, Puls, Blutdruck und Temperatur. Ich beginne immer, die Frauen für ihren Zyklus und die natürlichen Hormonschwankungen zu sensibilisieren. Ich möchte ganz klar weitergeben, wie wichtig und essentiell wichtig es für ein langfristig gesundes Leben ist, dass wir lernen mit unseren Hormonen zu leben, anstatt sie auszuschalten. Zyklusachtsamkeit ist hier das beste Werkzeug für die erste, eigene Selbstdiagnose. Damit meine ich nicht nur den Rückzug während der Zeit der Menstruation, sondern lade Frauen ein, ihren Zyklus als Kraftquelle in besonders produktiven Phasen zu sehen. Das wird beispielsweise im Leistungssport bei Top-Athletinnen schon angewendet, warum nicht auch bei Frauen, die top performen? Dabei hilft z.B. ein Zyklus-Tracker. Frauen in der sogenannten “Perimenopause”, der Zeit vor dem Ausbleiben der Blutung in der Zeit von 45- 50 Jahren, kommen eher mit der Frage, welchen Weg sie für den neuen Lebensabschnitt wählen sollen, um sich auf die neue Hormonsituation einzustellen.

Was ist noch möglich?

Es lohnt sich, die rechte Gehirnhälfte stärker zu aktivieren, denn diese ist zuständig für Kreativität, Intuition und emotionale Verarbeitung – alles Schlüsselelemente, um sich selbst besser zu verstehen und neue Perspektiven zu gewinnen. Dies kann durch kreative Aktivitäten wie Kunst, Musik oder freies Schreiben geschehen. Auch Achtsamkeitsübungen und imaginative Techniken helfen dabei, Zugang zu tieferliegenden Gedanken und Gefühlen zu finden. Diese Prozesse ermöglichen es, über den rationalen Verstand hinauszugehen und tiefer in die eigene Persönlichkeit einzutauchen, was für das Wachstum und die persönliche Entwicklung essenziell ist.

„Statt Rolemodels anzufeuern, hören Sie lieber auf Ihre eigene innere Stimme“

Vor allem aber: Halten Sie Ihre eigenen Versprechen. Heißt: Es ist einfach, inspirierende Texte zu lesen oder Rolemodels anzufeuern. Aber es ist wichtiger, auf die innere Stimme zu hören, und ihr zu vertrauen – sie sollte sagen: „Ich bin okay, das wird schon“. Finden Sie Verbündete für Ihren Weg und Ihre Selbstermächtigung. Kommen Sie ins Tun und starten Sie mit kleinen Schritten.

Was soll das alles bringen?

Diese Schritte können dazu beitragen, dass Sie Ihren Job gar nicht kündigen müssen, um mehr Sie selbst zu sein und mit dem klaren Äußern Ihrer Bedürfnisse können Sie Teil des Wandels sein, der so wichtig ist – besonders für junge Frauen, die jetzt in die Arbeitswelt einsteigen. Sie können beginnen, Veränderungen von innen heraus zu bewirken und die eigene Position zu stärken. Letztlich geht es darum, eine Umgebung zu schaffen, in der Sie gehört werden und Ihre Talente voll entfalten können, ohne die eigene Authentizität zu verlieren.


Alissia Quaintance ist Beraterin für langfristige Bindung von Frauen in Unternehmen und nachhaltige Produktivität. Als Vordenkerin in den Bereichen Technologie und neue Arbeit setzt sie sich für einen Female Shift in Unternehmen ein. Seit April 2023 ist die Innovations-Entwicklerin auch staatlich anerkannte Heilpraktikerin und arbeitet in ihrer Münchener Praxis mit Frauen an Themen rund um Frauengesundheit und Persönlichkeitsentwicklung. In ihrer Beratung setzt sie zudem auf Diversity & Inclusion- Programme für Unternehmen, die ein besseres Arbeitsumfeld für Frauen in ihrem Unternehmen schaffen wollen, speziell in der Tech-Branche. Microsoft Deutschland, die Stadtwerke München oder General Motors zählen zu ihren Referenzen.


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Fotomaterial© Mona Dadari

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