Die Worte „Start-ups“ und „Angel Investing“ können in Österreich kaum ausgesprochen werden, ohne dass dabei auch Ihr Name fällt. Was treibt Sie derzeit um?
Selma Prodanovic: Mein größtes Thema derzeit ist, das Ökosystem der Start-ups zu vergrößern. Wir brauchen mehr Frauen in Start-ups, und wir brauchen viel mehr Frauen, die in Start-ups investieren.
Tatsächlich liegt die Quote der in der EU gegründeten Start-ups, die von Frauen (zumindest mit-)gegründet wurden, bei nur 20 Prozent. Österreich hat eine Quote von 36 Prozent und damit die höchste in Europa. Sind wir da also schon auf dem richtigen Weg?
S. P. Ja und nein. Wien kann sicher als female-friendly bezeichnet werden, was die Gründerkultur angeht. Das ist vor allem auch Initiativen wie den Female Founders zu verdanken, die hier gute Arbeit und Unterstützung leisten. Trotzdem fließen nur ein bis zwei Prozent der Investitionen in rein weiblich geführte Start-ups. Zwei! Nicht zwanzig. Das heißt konkret: Nur zwei von hundert Euro gehen an Frauen.
In Ihrem kürzlich veröffentlichten TEDx-Talk sprechen Sie drei konkrete Problembereiche an, die diese Ungleichverteilung auf die Start-up-Welt hat.
S . P. Richtig. Ich sehe drei Ebenen: Erstens haben wir hier ein klassisches Fairnessproblem. Ich habe einen Sohn und eine Tochter. Ich liebe beide gleich. Wenn beide ein Start-up gründen, hat meinSohn eine bis zu 90-mal höhere Chance, eine Finanzierung zu bekommen als meine Tochter. So etwas kann mir als Mutter nicht gefallen. Zweitens gibt es ein gesellschaftliches Problem: Wie wollen wir die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft, diese multiplen Krisen, die wir erleben und die noch auf uns zukommen, mit lediglich der Hälfte der Bevölkerung schaffen? Wir können es uns nicht leisten, auf das Innovationspotenzial von Frauen zu verzichten. Und drittens: Female-founded oder divers besetzte Start-ups performen erwiesenermaßen um ein Vielfaches besser. Sie bringen höhere Returns. Es ist eine Business-Entscheidung für Investor:innen, auf weiblichere Teams zu setzen.
Woher kommt der Gap im Funding?
S. P. Er kommt daher, dass derzeit die meisten Investor:innen Männer sind. Investments haben viel mit Vertrauen zu tun. Menschen investieren in Menschen, die so ticken wie sie selbst. Das ist nichts Böses, das ist natürlich.
Also unbewusste Vorurteile und das simple Gesetz, dass man vor allem mag, was man(n) kennt?
S. P. Ja, so ungefähr. Viel basiert einfach auf Gefühlen, auf gefühlten Ähnlichkeiten, die man im Gegenüber erkennt. Aber wir müssen weg von der Gefühlsebene hin zu mehr datengetriebenen Erkenntnissen kommen. Es gibt diese Daten. Und die sagen: Es zahlt sich unterm Strich einfach auch finanziell mehr aus, in weiblich oder divers geführte Start-ups zu investieren.
Diese Daten sind öffentlich zugänglich und zirkulieren ja nicht erst seit gestern. Haben diese News also noch nicht die Runde gemacht?
S. P. Nein, viele haben dieses Wissen noch nicht. Deshalb trete ich auch so lautstark für mehr Awareness in diesem Gebiet ein.
Zum Beispiel mit dem „Manifest für ein geschlechtergerechtes Angel-Investing-Ökosystem des European Business Angels Network?
S. P. Genau. Wir brauchen mehr Investorinnen, um diesen Kreislauf zu durchbrechen. Mit dem Manifest rufen wir dazu auf, bis 2030 den Anteil der Investorinnen zu verdreifachen – auf 30 statt bisher zehn Prozent: Demnach soll jeder dritte Investment-Euro in female-led Start-ups gesteckt werden. Unsere Organisation repräsentiert 10.000 Business Angels aus Europa, und das ist eine wichtige Ansage, die wir hier machen – aus einem einfachen Grund: Derzeit haben wir nicht die Diversität, um Diversität ausreichend zu unterstützen und in diverse Start-ups zu investieren.
Wie profitieren Start-ups davon, wenn das Investor:innenboard divers ist? Abgesehen vom Geld?
S. P. Ein diverses Investor:innenteam ist enorm wichtig. Wir wollen, dass alle Boards gemischt sind. Wir sehen das ja oft bei Produktentwicklungen: Da werden Produkte für eine weibliche Zielgruppe entwickelt, und dann sind sowohl die Entwickler als auch das Investmentboard männlich. Hier muss mehr Diversität rein, weil auch die Produktqualität sonst leidet. Und für Gründerinnen ist es sowieso ein großer Vorteil, wenn sie weibliche Ansprechpartnerinnen unter den Investor:innen haben. Ein Raum für vertrauensvollen Austausch unter Gleichgesinnten schafft mehr Raum für Wachstum.
Wie bringt man Frauen dazu, Business Angels zu werden? Dabei geht’s ja nicht nur ums Geld.
S . P. Das ist ja das Verrückte: Business Angels leisten Hilfestellungen in verschiedenen Bereichen, nicht nur im Finanziellen. Sie vernetzen Start-ups mit den richtigen Menschen, erleichtern die Kommunikation, geben ihr Wissen weiter, klassisches Mentoring – das sind alles Dinge, die Frauen auch in Unternehmen bereits ständig machen. Lauter Tätigkeiten, die für Frauen sehr natürlich sind, ihnen liegen. Und trotzdem gibt es so wenige weibliche
Business Angels.
Was kann also eine Perspektive sein, um mehr Frauen in diese Positionen zu bringen und somit das Ökosystem ein wenig durchzumischen?
S. P. Wir müssen die Art und Weise ändern, wie wir auf Frauen zugehen. Die Kommunikation der Investors Academy, die wir im vorigen Jahr mit der Austrian Angel Investors Association veranstaltet haben, war konkret auf Frauen zugeschnitten. Wir wissen, dass Frauen sich von einem Format, das ein ganzes Wochenende dauert und aus langen Sessions besteht, wenig angesprochen fühlen oder solche Angebote – aus bekannten Gründen wie Kinderbetreuung oder Familienarbeit – oft nicht gut annehmen können. Also haben wir die Slots verkürzt und die Veranstaltung online durchgeführt – derselbe Inhalt, aber in einem anderen Format. Und siehe da, es hat geklappt.
Welche Visionen kann es noch geben für ein diverseres Start-up-Biotop in Österreich oder Europa?
S . P. Mir gefällt das, was Melinda French Gates macht. Mit unterschiedlichen Aktionen will sie eine Milliarde Dollar in ein Ökosystem aus female-led Start-ups investieren, um eine Alternative zum männlich dominierten Silicon Valley zu erschaffen. Ich sehe das als Zusatz, nicht als Ersatz fürs Silicon Valley. Es bietet Frauen einfach mehr Raum zu wachsen und ihre Ideen zu entwickeln. Ein bestehendes System zu ändern, ist sehr schwierig, das wissen wir. French Gates geht also einen anderen Weg, um zu einem diverseren Ziel zu kommen.
Von Frauen weiß man, dass sie einen starken Zug zu sozialem und ökologischem Impact, Klimaschutz und Green Tech haben. Wie sieht die Zukunft dieser Start-ups in Österreich und Europa aus?
S . P. Die neuen ESG-Regeln der EU werden hier einen starken Drive reinbringen. Start-ups stehen immer auch für Innovation. Und diese Innovationen braucht es, um den Green New Deal umzusetzen und Klimaziele zu erreichen. Start-ups können an dieser Entwicklung auf vielfältige Weise teilhaben. Ich denke da an gut verankerte, traditionsreiche Unternehmen, die schon seit Generationen im Familienbesitz sind. Oder auch an große Unternehmen, die nicht so wendig und beweglich sind wie Start-ups. Die schaffen einen Richtungswechsel im eigenen Betrieb oft nicht alleine und sind auf junge, innovative Leute angewiesen, die mit ihren Ideen und Produkten mit anpacken und den „Großen“ helfen, sich an die neuen Verhältnisse anzupassen.
Es gehört also nicht nur branchen-, sondern auch generationenübergreifende Zusammenarbeit eingeläutet?
S . P. Richtig. Ich setze viel Hoffnung in die Generation Z. Die sind mutig, die haben die richtigen Werte. Man muss ihre Stärken noch viel intensiver in etablierten Unternehmen nutzen. Auch darin sehe ich eine Aufgabe und Verantwortung für mich, Start-ups und Industrie zusammenzubringen.
Sie sagten vorher, wir stecken immer noch in der Awareness-Phase, obwohl wir doch schon so viele Daten haben, die uns den Weg weisen. Wie geht es Ihnen damit, dass Sie immer noch um Bewusstsein werben müssen?
S . P. Na klar ist das manchmal frustrierend. Und ich werde ungeduldig. Aber ich sehe zwei Dinge: Auch wenn es mühsam und manchmal zäh ist – there has never been a better time to be a woman than today. Wir haben schon viel erreicht. Zweitens: Wenn mir vor zehn Jahren jemand erzählt hätte, wie die Welt der Start-ups und Business Angels in Österreich heute aussieht, wäre das damals der große Traum gewesen. Wir haben wahnsinnig viel bewegt, aber das fällt einem oft erst retrospektiv auf. Vieles von dem, was ich täglich sagen muss, sind „No-Na“-Aussagen.
Es ist wie im Flugzeug. Dort hat man auch schon hundertmal gehört, wie das mit den Notausgängen und Sauerstoffmasken ist – trotzdem ist es wichtig, es immer wieder zu wiederholen. Weil es so relevant ist. Während man sich im Prozess befindet, so wie wir jetzt, ist es also anstrengend und mühsam. Wenn man dann aber zurückblickt – und da reichen wirklich zehn Jahre, das ist gar nichts im Vergleich dazu, wie lange Veränderungen früher gebraucht haben – dann sieht man: We’ve come a long way. Und wir werden auch in den kommenden zehn, zwanzig und dreißig Jahren ganz viel bewirken.
Selma Prodanovic
ist Keynote-Speakerin, Angel-Investing-Spezialistin und (Mit-)Gründerin von Initiativen wie der Austrian Angel Investor Association oder 1MillionStartups. Sie ist Vice President des European Business Angels Network und treibt dort ihre Agenda des Gender-Balanced- Angel-Investing-Ökosystems voran. Prodanovic ist 55 Jahre alt und Mutter von zwei Kindern.