StartMoney„Junge zieht es dorthin, wo Dynamik, wo Perspektive herrscht“

„Junge zieht es dorthin, wo Dynamik, wo Perspektive herrscht“

In Deutschland wurde sie kürzlich zur „wichtigsten Investorin“ gekürt, in Österreich war sie lange die weibliche Stimme in der Puls4-Start-up-Show „2 Minuten, 2 Millionen“. Mit sheconomy spricht Marie-Helene Ametsreiter über das aktuell rückgängige Investitionsvolumen bei Start-ups, die Rolle Österreichs bei großen Nachhaltigkeitsthemen, die Erwartungshaltungen junger Potentials und ihr eigenes Glück, stärkende Mentoren gehabt zu haben.

Deutschland und Österreich stecken seit vergangenem Jahr in einer Rezession. Was bedeutet das für die Start-up-Szene und für den Venture-Capital(VC)-Markt?

Global ist das Investitionsvolumen im Start-up-Bereich runtergegangen und hat sich auf das Niveau von 2020 eingependelt. Europa ist im Verhältnis nicht so stark gesunken wie der Rest der Welt. Das ist schon mal schön. Die Bereinigung, die stattgefunden hat, war notwendig. Wir hatten durch das Überangebot an VCs Bewertungen, die nicht mehr gesund waren. Langfristig wird die Assetklasse Venture Capital bleiben und weiterwachsen, denn sie steht für Innovation, und die brauchen wir dringender denn je in Europa.

Kürzlich kam das Start-up-Parameter von Ernst & Young für 2023 heraus. Es zeigte auf, dass internationale Investor*innen ihre Investitionen in österreichische Start-ups zurückfahren. Was erzählt das über Österreich?

Das ist kein österreichisches Phänomen. Generell ist das Investitionsvolumen zurückgegangen. Da liegt Österreich mit minus 37 Prozent im normalen Schnitt. Spannend ist, dass es trotz geringerem Volumen aber mehr Finanzierungsrunden gab. Das erklärt sich durch geringere Ticketgrößen bei geringeren Bewertungen. Der zweite Effekt ist, dass es einen Trend zu frühphasigen Investitionsrun den gegeben hat. Was im Moment ausbleibt, sind die späterphasigen Investitionen.

„In der Boomphase von 2021 kam es manchmal zu Bewertungen, die das 100-fache des Jahresumsatzes ausmachten. Verrückt.“

Woran liegt das?

Oft ist es für die Start-ups schwierig, bei der makroökonomischen Lage, die wir derzeit haben, in die Bewertung der letzten Runde „hineinzuwachsen“. Also ein kommerzielles Ergebnis zu erwirtschaften, das den Unternehmenswert rechtfertigt. Viele Unternehmen warten daher ab – versuchen, diese Phase durchzusitzen, um keine „Downround“ machen zu müssen – also eine Finanzierungsrunde zu schlechterer Bewertung als in der Vergangenheit. Somit kriegen Start-ups von den existierenden Investor*innen oft kleinere Überbrückungsfinanzierungen. Deshalb die hohe Anzahl an Runden mit in Summe kleinerem Volumen.

Sind Investor*innen abwartender geworden? So nach dem Motto: Die sollen jetzt erst mal zeigen, was sie können, bevor man erneut Geld reinsteckt?

Spätphaseninvestor*innen sind abwartend, weil die Bewertungen der Unternehmen – und das ist ganz stark vom Aktienmarkt getriggert – aktuell tiefer liegen. Man muss sich das so vorstellen: Der Unternehmenswert eines Start-ups wird normalerweise als Multiple des Umsatzes kalkuliert, weil es ja oft noch kein EBITDA* gibt. In der Boom-Phase von 2021 kam es manchmal zu Bewertungen, die das 100-Fache des Jahresumsatzes ausmachten. Komplett verrückt. Was jetzt passiert, ist, dass Bewertungen ganz allgemein in einen Normalbereich übergehen, der in der Frühphase durchschnittlich beim 20- bis 30-Fachen und später beim 8-Fachen des Jahresumsatzes liegt. Nun warten viele der späterphasigen Investor*innen, dass a) die Bewertungen dieser einst hochgejazzten Unternehmen heruntergehen, damit sie günstiger einsteigen können, oder b) bis der Markt wieder anzieht, damit sie die Bücher nicht abwerten müssen. Das ergibt ein Vakuum.

*EBITDA ist eine der wichtigsten Kennzahlen für die (internationale) Beurteilung der Wirtschaftlichkeit Ihres Unternehmens. Die Kürzel stehen für Earnings before Interest, Taxes, Depreciation and Amortization = Gewinn vor Abzug der Steuern, Zinsen und Abschreibungen.

Das Credo der Mutter zweier Töchter, „Welterkunderin“ und leidenschaftlichen Skifahrerin: „Fokus aufs Wesentliche“.

Laut Ernst & Young war der höchste Anteil an Inlandsinvestor*innen in Österreich im Bereich Agrotech. Damit sind wir beim Schwerpunktthema dieser Ausgabe von sheconomy: Nachhaltigkeit. Hat Österreich hier Besonderes zu bieten?

Österreich hat eine vielfältige Agrokultur – aber der Boom in AgTech ist ein globales Phänomen, stark durch die Klimakrise und das Streben nach Nachhaltigkeit geprägt. Speedinvest ist zum Beispiel in finres investiert, das mit KI-gestützten Lösungen Finanzinstituten und auch Bäuerinnen und Bauern hilft, Klimarisiken zu verstehen und zu bewerten, um Investitionsentscheidungen bestmöglich treffen zu können. Oder Hexafarm, das über KI die Effizienz von Gewächshäusern steigert mit signifikant weniger Energie- und Wasserverbrauch.

Auf den Aktienmärkten hat das Nachhaltigkeitsthema im letzten Jahr verloren – gleichzeitig gewinnt es in der Start-up-Szene an Bedeutung. Wie lässt sich diese Diskrepanz erklären?

Man muss das differenziert betrachten. Das eine Thema ist ESG. Da heißt es: Wie verhält sich ein Unternehmen – egal welcher Branche – in den Bereichen Environment, Social und Governance? Wie stelle ich mich auf, wie viel Diversität versuche ich in meinem Unternehmen zu fördern, nach welchen Regimen berichte ich? Hier kam sehr viel Druck von den Finanzmärkten; als gelistetes Unternehmen muss man heute nach zig verschiedenen Regimen berichten – und oft geht es eher um die Darstellung der Zahlen als um die Sache. Das zweite Thema lautet aber: Investitionen in Klimatechnologie – also in Produkte und Dienstleistungen, die eine klimapositive Wirkung haben. Dieser Boom ist ungebremst.

Wie weit spiegelt der Aktienmarkt überhaupt Trends und Potenziale für den Venture-Capital-Markt wider?

Er ist ein wichtiger Indikator für Bewertungen. Der private Equity-Markt, wozu die Assetklasse zählt, orientiert sich hinsichtlich der Bewertungen stark an den Börsen. Wir schauen uns ganz genau an, wie ein gelistetes Unternehmen in derselben Industrie oder Branche notiert. Der andere Faktor ist, dass die Börse für Start-ups als Ausstiegsumfeld unfassbar wichtig ist. Venture-Capital-Unternehmen investieren bei Unternehmensentstehung und während der ersten wichtigen Jahre des Wachstums. Wenn die Unternehmen dann profitabel und groß genug sind, gehen sie idealerweise IPO*. Das Geld aus dem Börsegang fließt an die bisherigen Investor*innen. Das schießen wir wieder in neue Start-ups. Wenn dieser Exit-Markt für Start-ups zu ist, was in Europa gerade der Fall ist, fehlt die Liquidität – also das Geld, das wieder in junge Unternehmen investiert werden kann. Im Moment warten alle ab. Somit ist es ein wichtiger Indikator für uns, wenn der Public Market wieder anzieht – denn dann geht es auch mit der Assetklasse Venture Capital wieder bergauf. Alle Prognosen weisen aber darauf hin, dass es noch ein bisschen dauern wird. Ich befürchte, wir werden 2024 weitere Insolvenzen sehen. Vermutlich muss man auch im Start-up-Bereich und auf der VC-Seite Konsolidierungen erwarten. Es wird weniger neue Fonds geben, manche werden sich zusammenschließen. Mittelfristig aber glaube ich ganz stark an die Assetklasse Venture Capital. Wir brauchen diese Innovationen, besonders in Europa.

*IPO = Initial Public Offering; erstmalig öffentliches Angebot von Wertpapieren eines Unternehmens in Form eines Börsengangs.

Weil Sie gerade von Innovationen sprechen. Was sind die aktuellen Trendthemen für Europa?

Weiterhin das Thema Electrification: Also die Umstellung auf strombetriebene Antriebsformen und alles, was dafür notwendig ist. Vom Batteriespeicher bis zur Energiemanagement-Plattform. Es gibt keine Alternative im Moment.

Wasserstoff?

Auch Wasserstoff dient der Produktion und Speicherung von Strom und ist sicher eine Zukunftstechnologie. Doch bedarf es des richtigen Standorts, um grünen Wasserstoff produzieren zu können; und noch fehlt die Infrastruktur, um Wasserstoff nicht nur produzieren, sondern auch effizient und über weite Strecken transportieren zu können. Leider haben Wasserstoff-Start-ups aufgrund des Hardwareanteils oft einen sehr hohen Finanzierungsbedarf. Da braucht es alternative Finanzierungswege. Die meisten Investitionen haben Start-ups aus den Themenbereichen Künstliche Intelligenz, Digital
Health und Care, Supply Chain und Logistik erhalten. Ein weiteres Thema ist Green Buildings – also alles rund ums Thema Gebäudesanierung und neues, grünes Bauen.

In Europa ist viel alte Bausubstanz …

Beim Bausektor steckt viel Potenzial in Richtung Planung und Zusammenarbeit. Jedoch
sind Baustellen schwer zu digitalisieren und automatisieren – im Gegensatz zu Industriebetrieben, die in Serie produzieren. Der Bausektor hat jeden Tag seine „Fabrik“ woanders stehen, daher auch das Nachhinken bei der Digitalisierung. 80 Prozent der Bauträger verwenden Excel zur Planung und haben ein Arbeitskräfteproblem, weil niemand mehr auf einer Baustelle arbeiten möchte. Würde man durch Automatisierung eine 25 prozentige Produktivitätssteigerung schaffen, bräuchte man 2,5 Millionen weniger Bauarbeiter in Europa. Das sind die Felder, in denen Start-ups, aber auch etablierte Unternehmen, versuchen, Innovationen zu finden. Insgesamt muss man aber sagen: Europa ist gut unterwegs – wir haben mehr AI-Absolvent*innen, -Talente und  Expert*innen als die USA. Nur an der aggressiven Kommerzialisierung und der späterphasigen Finanzierung krankt es in Europa.

Marie-Helener Ametsreiter würde sich wünschen, dass Pensionsfonds in Europa „endlich“ in Venture Capital investieren dürfen: Das wäre ein Win-Win“.

Was brauchen wir?

Wir müssen in Europa endlich dazu kommen, dass Pensionsfonds in Venture Capital investieren dürfen. Das brachte den großen VC-Schub in den USA, die vor 25 Jahren in die Googles, Twitters und Facebooks von heute investiert haben. Die Pensionsfonds in Amerika sind dazu angehalten, einen bestimmten Prozentsatz der Pensionsgelder in Venture zu investieren. Wenn Venture Capital im Schnitt eine 20-prozentige jährliche Rendite erwirtschaftet, frage ich mich schon als Pensionist, warum meine Gelder nicht dort angelegt werden, wo eine ordentliche Verzinsung erwirtschaftet wird und stattdessen in müden Staatsanleihen landen? Wir rennen in ein riesiges Pensionsproblem, und das wäre ein Win-Win. Ein Hebel, um Pensionsgelder zu vermehren und Venture Capital freizumachen, das in kritische Infrastruktur und Innovationen Europas investiert werden könnte.

Wie weit gliedert die Corporate-Welt heute schon Innovation an Start-ups aus?

Zu wenig. Bei uns will jedes Unternehmen alles selbst erfinden, Innovation selbst vorantreiben und meint, damit einen kompetitiven Vorteil zu erwirtschaften. Doch diese Zeiten sind vorbei! Man muss kollaborativ an Innovation, an einer Plattform Ökonomie arbeiten. Das bedeutet, miteinander zu agieren. Dieses „Ich erfinde alles selber, und dann gehört es mir“, ist ein falscher Denkansatz. Vor einigen Jahren habe ich bei Speedinvest das Corporate-Programm ins Leben gerufen, bei dem wir Unternehmen einladen, bei uns zu investieren. Im Gegenzug helfen wir ihnen, Innovationen zu scouten, die für sie relevant sind – also ihnen Start-ups zuzuführen, die ihrem Kerngeschäft helfen oder neue Geschäftsfelder eröffnen.

„Investitionen in Produkte und Dienstleistungen, die eine klimapositive Wirkung haben – dieser Boom ist ungebremst.“

Gibt es bereits konkrete Erfahrungen?

Man sieht, dass jene, die sehr früh bei uns eingestiegen sind, auch die Champions sind – etwa Plansee oder Doppelmayr, beide wirkliche Vordenker in ihren Branchen. Sobald klar ist, dass innovationsorientierte Unternehmen exponentiell stärker wachsen, erfolgreicher und innovativer sind, wird es auch eine Bewegung am Corporate-Markt geben. Woran es in Europa fehlt, ist die Risikofreudigkeit. Wenige sagen: Ich investiere in 20 Start-ups, und zwölf davon werden wahrscheinlich nichts werden. Aber die acht, die es schaffen, sichern mir meine Zukunft. In Amerika ist so etwas gang und gäbe.

Welche Kriterien muss ein Start-up erfüllen, um ins Portfolio von Speedinvest aufgenommen zu werden?

Wir sind meist frühphasig unterwegs, wenn gerade einmal drei oder fünf Leute im Unternehmen arbeiten. Oft gibt es gerade nur ein Minimum Viable Product* oder einen Piloten. Wir investieren also in ein Team, eine Gruppe von Leuten, die mit einer Idee oder Ansätzen eines Produkts ein Problem lösen wollen. Wir schauen: Wie groß ist der Markt für dieses Problem, das es zu lösen gilt. Groß genug, um daraus wirklich ein wirtschaftliches Unternehmen bauen zu können – und zwar ein großes? Wir wollen ja Milliardenbewertungen erreichen können, und dazu braucht es hunderte Millionen Umsatz. Auf der anderen Seite achten wir auf die Menschen im Team: Haben die schon einmal gegründet? Haben sie Unternehmer*innen-Erfahrung? Ist das Team komplementär in seinem Wissensset? Gibt es jemanden, der die Technologie tief versteht, aber auch jemanden, der den Markt und die kommerzielle Seite abdecken kann? Oft sind es großartige Techniker*innen, die eine tolle Lösung für etwas finden, aber von wenig anderem eine Ahnung haben. Dann suchen sie den Markt zu ihrer technischen Lösung. Aber es muss genau umgekehrt sein!

*Minimal Viable Produkt oder MVP = minimal funktionsfähiges Produkt und damit eine Version eines neuen Produkts, die es einem Team erlaubt, die maximale Menge validierter Informationen über Kund*innen mit minimalem Aufwand zu sammeln.

Spannend ist auch Ihre Kritik an den ESG-Regeln in einem Podcast* mit Trending Topics. Sie erzählten, dass Speedinvest an einem Start-up dran wäre, das an einer Standardisierung der Regulatorien arbeitet. Das ist jetzt drei Jahre her, ist daraus etwas geworden?

Es geht um das Start-up Apiday. Viele Unternehmen sind heute angehalten, nach verschiedenen Regimen zu berichten. Warum? Wenn ich heute in der Stahlindustrie tätig bin, dann kriege ich von den verschiedenen Shareholdergruppen, aber auch NGOs, Auflagen, wie ich hinsichtlich ESG-KPIs berichten muss, damit ich Ratings bekomme. Aufgrund dieser Ratings werden zum Beispiel meine Kreditkonditionen eingestuft oder Analystenempfehlungen geprägt. Jeder der Standards, nach denen ich berichten muss, ist ein bisschen anders, und damit wird es sehr aufwendig. Apiday hat nun vorerst für die Finanzbranche eine Lösung geschaffen, die diese Vorgänge automatisiert – und ja, es geht ihnen sehr gut.

*Der Podcast ist nachzuhören bei Trending Topics

Kommen wir nochmals auf die Rezession zurück. In Deutschland haben die Gründungen um 16 Prozent zugelegt, in Österreich wird ein neuer Rekord gemeldet. Animieren schwierige Zeiten Leute dazu, ihr eigenes Ding zu machen?

Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht! Und ich habe auch keine Analysen dazu. Aber ich
sehe folgende Veränderung: In meiner Studienzeit war es cool, zu einem Berater oder Fast-Moving-Consumer-Good-Unternehmen wie McKinsey oder Procter & Gamble zu gehen. Heute ist die Attraktivität sehr groß, in die Start-up-Szene zu gehen, weil sie am Puls der Zeit ist, Innovation ermöglicht und die Chance bietet, Probleme zu lösen. Blickt man heute auf die großen Konzerne, geht es oft nur um Einsparungen und Effizienzsteigerung. Doch junge Leute zieht es dorthin, wo Dynamik und eine positive Entwicklung stattfinden. Wo Perspektive herrscht.

„Ich wollte nie auf ein Podium eingeladen sein, weil ich Frau bin, sondern weil ich Expertin in einem bestimmten Bereich bin.“

In beiden Ländern ebenfalls erfreulich: Die Zahl der Gründerinnen steigt. Der Start-up-Monitor vom letzten Jahr berichtete von einem Frauenanteil bei knapp 37 Prozent.

Die Zahl steigt stetig, aber für mein Empfinden nach wie vor zu langsam. Das hängt auch damit zusammen, dass es nach wie vor zu wenige Investorinnen gibt. Händeringend sucht man nach Frauen, auch alle großen VCs heften sich das an ihre Fahnen. Es ist nur vermessen, zu glauben, dass diese Frauen bleiben, wenn ich nicht mein ganzes Umfeld, meine Kultur umstelle. Unsere Branche ist wahnsinnig kompetitiv mit vielen jungen, weißen Männern, die ihr Netzwerk haben und sich gegenseitig Dinge zuspielen. Es kommen zwar viele junge Frauen auf Investor*innenseite nach, viele verabschieden sich allerdings wieder aus dem System und sagen: Mir ist das zu aggressiv, zu kompetitiv, so macht es echt keinen Spaß. Hier muss man ansetzen und das Ökosystem verändern. Auf der Gründer*innenseite kommt es Gott sei Dank zu einer Normalisierung. In vielen Bereichen ist es selbstverständlich geworden, dass Start-ups gleich viele female wie male Founder haben.

Sie wurden vor wenigen Monaten zur wichtigsten Investorin Deutschlands gekürt. Gibt es konkrete Situationen, in denen Sie sagen: Daran merke ich, wie wichtig es ist, dass Frauen wie ich öffentliche Präsenz haben?

Es kommen immer wieder junge Investorinnen, Unternehmerinnen auf mich zu und sagen: Du hast mich damals mit deinem Statement motiviert, durchzuhalten oder einen bestimmten Weg zu gehen. Da werde ich wieder wachgerüttelt, dass ich auch Verantwortung zu tragen habe. Ich selbst habe mir immer schwergetan, mich über das Thema female zu positionieren. Ich wollte nie auf ein Podium eingeladen sein, weil ich Frau bin, sondern weil ich Expertin in einem bestimmten Bereich bin.

Eine letzte Frage: Auch, wenn die Finanzbranche sich gebessert hat, sind Frauen in Spitzenpositionen immer noch recht selten. Warum?

Ich glaube, es ist nach wie vor das Imposter Syndrome. Frauen haben ständig das Gefühl, nicht zu genügen. Da steht man sich schon wahnsinnig selbst im Weg. Ich glaube, ein Weg aus der Falle ist über Mentor*innen. Ich hatte das große Glück, männliche Mentoren zu haben, die mich gestärkt haben. Als ich CEO wurde, war ich sehr jung und habe mir dauernd gedacht: Wie packe ich das nur? Rückschläge sind ganz normal, wenn du auf diesem knochenharten Weg bist, und es braucht Resilienz und Durchhaltevermögen. Aber mein Mentor ist hinter mir gestanden, hat mich jeden dritten Tag angerufen und gesagt: „Es gibt niemand Besseren als dich“. Das hat mir enorm geholfen, nach vorne zu blicken und weiterzumachen.


Zur Person:

Marie-Helene Ametsreiter (54) ist seit 2014 General Partner bei Speedinvest, einem der größten Venture-Capital-Fonds in Europa. Dort leitet sie das Portfolio-Success-Team, indem sie die Unternehmen aktiv mit Know-how versorgt sowie mit den entsprechenden Netzwerken und in Folge auch mit Kapital verbindet. Unternehmen in ihrem Portfolio sind unter anderem Greyparrot, Celus, Fernride, Conundrum, Swipeguide (alle Climate Tech & Industrial Tech), Gronda (Marketplaces & Consumer), Amodo (Versicherungs-App – Exit 2023 an Cambridge Mobile Telematics), Wegfinder (Navigations-App – Exit 2018 an OEBB), Corrux (Climate Tech & Industrial Tech – Exit 2021 an Gropyus AG). Außerdem ist sie derzeit Aufsichtsratsmitglied bei RHI Magnesita, dem Weltmarktführer im Feuerfestbereich. Vor ihrer Tätigkeit bei Speedinvest war Marie-Helene Ametsreiter CEO bei der Telekom Austria Group und davor bei der OMV verantwortlich für die weltweiten Nachhaltigkeits- und ESG-Aktivitäten. Einem breiteren Publikum bekannt wurde sie außerdem als Jurorin und erste weibliche Stimme in der Puls-4-Start-up-Show „2 Minuten 2 Millionen“. Sie hat zwei Töchter, fährt gerne Ski und erkundet die Welt. Ihr ganz persönliches Credo lautet: „Fokus aufs Wesentliche“.


Facts & Figures:

Bis dato hat Speedinvest mit seinen themenspezifischen Fonds 1,13 Milliarden Euro
Risikokapital eingesammelt. Damit ist er der größte Frühphasen-Finanzierer Europas. Das Speedinvest-Portfolio enthält 360 Start-ups, die sich auf mehr als 30 Länder verteilen.

Lag der Schwerpunkt des Engagements zu Beginn vor allem im DACH-Raum, so haben in den letzten Jahren vor allem Großbritannien, Frankreich und andere europäische Länder an Bedeutung gewonnen. So hat das Team rund um Marie-Helene Ametsreiter allein im vergangenen Jahr 8.400 Deals gesichtet (im Vergleich: Vor zehn Jahren waren es circa 400 pro Jahr).

In den zwölf Jahren seit der Gründung weist Speedinvest 40 Exits auf – unter „Exit“ versteht man, dass das Start-up an ein anderes Unternehmen oder einen Konzern verkauft werden konnte. Darunter waren etwa die Wiener Flohmarkt-App Shpock oder die kroatische Versicherungs-App Amodo. Unicorn-Status erreichten bislang 5 Unternehmen aus dem Speedinvest-Portfolio: Wefox (Insurtech, Berlin), GoStudent (Edtech, Wien), Bitpanda (Krypto, Wien), Wayflyer (Finanzierungs- und Wachstumsplattform, Irland), Open (Neo-Bank, Indien). Speedinvest wurde 2012 gegründet und beschäftigt mittlerweile über 80 Mitarbeiter*innen in Niederlassungen in Wien (Hauptsitz), Berlin, München, London und Paris.

Fotomaterial(c) Philipp Horak

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