Alles begann mit einem Stromausfall. Barbara Wittenberg, die im Münsterland aufwuchs, saß in ihrer Jugend mit ihrer Familie wegen einer Unterbrechung der Versorgung mehrere Tage buchstäblich im Dunkeln. Aus ihrer Sicht etwas, das eigentlich nicht passieren sollte – und das ihr die Motivation brachte, Wirtschaft und Elektrotechnik zu studieren und das Thema Energie-Versorgung zum beruflichen Ziel zu erklären. Längst liegt ihr Antrieb darin, grünen Strom in die Breite zu bringen. „Mein Herzensthema ist: Wie können wir sicherstellen, dass saubere und zugleich günstige Energie zuverlässig in die Haushalte kommt?“ Denn die Aussage, möglicherweise auch mehrere Tage ohne Strom zu sein, wenn 100 Prozent auf erneuerbare Energie gesetzt werde, wollte die engagierte Wirtschafts-Ingenieurin so nicht stehen lassen. „Ich war immer überzeugt, dass man Wind- und Sonnenenergie smart steuern kann und muss.“
Schon vor zwölf Jahren integrierte sie beim Energie-Riesen EON Wärmepumpen in virtuelle Kraftwerke. „Aber damals war das Setup anders, und wir konnten noch nicht skalieren“, erinnert sich Barbara Wittenberg, die seit Ende 2022 als Chief Technology Officer (CTO) bei 1KOMMA5° nun diese Skalierung umsetzen will. Dafür hat sie nach ihrer Zeit bei EON wertvolle Erfahrungen im Digitalgeschäft gesammelt. „Ich wollte bei Digital-Konzernen wie Oracle und Google arbeiten, um Service und Softwareprodukte mit Impact und großer Wirksamkeit zu den Kunden zu bringen und mit Technologie wirklich Mehrwerte im Alltag der Menschen zu schaffen“, so Wittenberg.
Vor 2 Jahren entwickelten die vier Gründer von 1KOMMA5° Philipp Schröder, Jannik Schall, Micha Grüber und Philip Liesenfeld den Plan, mit einem dynamischen Tarif günstigen und grünen Strom in Haushalte zu bringen – und das über die verschiedenen Gewerke hinweg, die dafür nötig sind. Auch mit Hardware-Herstellern arbeitet das Unternehmen in enger Kooperation zusammen. „Lokales Handwerk trifft Tech-Company“, bringt es Wittenberg auf den Punkt. Inzwischen betreibt 1KOMMA5° 75 Standorte mit rund 2.000 Mitarbeitenden in Deutschland, Schweden, Finnland, Dänemark, Spanien, den Niederlanden und Australien. Photovoltaik, Stromspeicher, Wärmepumpe und Wallbox werden intelligent vernetzt und mit der Strombörse zu einem gemeinsamen, sauberen Kundenkraftwerk verbunden.
„Die Technologie ist da. Früher ging es in der Energie-Wirtschaft nur darum, am Verbrauch orientierte Strommengen in Kraftwerken zu produzieren und über das Netz zu verteilen. Zudem wurde Solarstrom von Privathaushalten plump eingespeist. Durch erneuerbare Energien und die dezentrale Energiewende geht es heute darum, den Verbrauch flexibel an die Zeiten anzupassen, in den grüner Strom aus Erneuerbaren günstig zur Verfügung steht. Wir optimieren damit Erzeugung und Verbrauch bereits in den Haushalten, die zudem als virtuelles Kraftwerk miteinander verknüpft sind“, erläutert Wittenberg das Prinzip.
Kooperation der Gewerke und Start-up Feeling
„Bei 1KOMMA5° gefällt mir die Mischung aus Thema, Geschwindigkeit und Größe des Unternehmens“, sagt Tech-Managerin Wittenberg, die mit ihrem Bereich maßgeblich zum schnellen Wachstum beiträgt. Dabei hilft die entsprechende Unternehmenskultur. „Die schnelle Skalierung ist nur möglich, weil ich meinem Kernteam blind vertrauen kann und sie entsprechend für ihre Themenfelder die Verantwortung übernehmen. Alle wissen genau, was ihr Spielfeld ist und sie können direkt loslegen.“ Trotz Wachstum herrscht aus Sicht von Barbara Wittenberg noch immer viel Start-up-Feeling: „Bei uns gibt es kein ‚so machen wir es normalerweise‘ – wir schaffen unseren Arbeitsrahmen selbst, lernen auf dem Weg und verbessern uns fortlaufend.“ Skaliert werde zum einen über die Software-Optimierung der so genannten „Virtual Assembly Line“, also durch die Implementierung von effizienteren und digitalen Prozessen im Handwerk. Zum anderen über das Ausrollen die Weiterentwicklung der Energie-Software-Plattform „Heartbeat“, erklärt Wittenberg. Mehr als 20 000 Systeme seien inzwischen mit Heartbeat verknüpft.
Trotz hohem Interesse und dem zunehmenden Verständnis der Kundschaft, das Photovoltaik-Anlagen auch ohne Einspeisevergütung wirtschaftlich für sie Sinn machen, gebe es in Deutschland noch viel Verbeserungs-Potenzial. „Das aktuelle Setup funktioniert bereits gut. Geschäftsmodelle, die ‚grün und günstig‘ sind, hängen nicht mehr nur an Subventionen oder der Regulatorik“, erklärt Wittenberg. Doch in anderen Ländern sei man hier deutlich weiter. „Beispielsweise sind in Schweden dynamische Tarife und Smart Meter Standard und Verbraucher sehen die Strom-Preiskurve stundenaktuell im Wetterbericht“, skizziert die CTO. „Aber: Die gesetzlichen Rahmenbedingungen entwickeln sich auch hier zum Positiven. Schon heute sehen Kund*innen über die App individuelle Preiskurven und die Geräte können gemeinsam als ein System nach dem individuellen, lokalen Strompreis optimiert werden. Vor allem aber nimmt die Volatilität ab, die vielfach noch immer als Argument gegen die Erneuerbaren angeführt wird.
Technik allein könne den Klimawandel nicht verhindern, weiß Energie-Expertin Wittenberg. „Aber der Schlüssel, um Ressourcen optimal einzusetzen, ist das intelligente Zusammenspiel von Hard- und Software. Ohne Software ist die Energiewende nicht möglich.“ Um dafür die richtigen Fachkräfte zu gewinnen, scheint 1KOMMA5° hier den richtigen Nerv zu treffen, die Zahl der Bewerbungen ist hoch. „Die Leute wollen dort arbeiten, wo etwas vorangeht und sie selbst etwas bewirken können.“