StartInnovationIst Besser besser als Gut?

Ist Besser besser als Gut?

Es gibt so Sätze, da wünschte ich mir, die hätte ich geschrieben. Einer von denen ist zum Beispiel „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ (Adorno). Ein anderer, der mich seit meiner Ausbildung in Lösungsfokussierter Kurzzeittherapie begleitet, ist von Steve de Shazer: „Wir können verstehen, was besser heißt, ohne zu wissen, was gut heißt.“ – Weisheit in ihrer gesamten Eleganz. Was genau heißt aber gut und was genau besser? Und was hat das alles mit Arbeit zu tun? Um das aufzuklären, beginne ich bei der Quelle der ganzen Diskussion, nämlich bei New Work.

Mittlerweile muss zu New Work zwar nicht mehr viel Aufklärungsarbeit geleistet werden, aber es lohnt sich dennoch immer wieder einmal drauf zu schauen. Die Kundigen unter euch wissen, dass Frithjof Bergmann (R.I.P.) den Begriff Ende der 70ern erschuf und dann in den 80ern mit dem Center for New Work diesem Begriff quasi Leben einhauchte, indem vom Center ausgehend Unternehmen beraten wurden. Das zentrale Element seiner veröffentlichten Theorien zu einer Neuen Arbeit (New Work) ist die Freiheit. Bergmann hielt den Sozialismus mit seiner Planwirtschaft für nicht überlebensfähig und sah gleichzeitig aber auch, dass sich der Kapitalismus weiterentwickeln muss. Für Bergmann geht es bei seinem Verständnis von Freiheit nicht nur um Entscheidungsfreiheit, sondern auch um Handlungsfreiheit. Aus den Überlegungen Bergmanns entwickelte Markus Väth später vier Säulen, die aus seiner Sicht für die Arbeitswelt der Zukunft entscheidend seien.

Arbeit als Ausdruck von Individualität

Beiden Personen geht es in ihren Ansätzen um den Stellenwert der Arbeit, die sie im eigenen Leben einnimmt oder einnehmen soll, und um die Sinnhaftigkeit der eigenen Tätigkeit. Nicht bloße Erwerbstätigkeit steht im Fokus, die das nötige Kleingeld für das Essen auf den Tisch und einen warmen Platz zum Schlafen einbringt, sondern Arbeit als Ausdruck individueller Wertsysteme in einer kollektiven Arbeitswelt, die sich auf dem Weg dorthin einem Paradigmenwechsel der Kultur unterziehen muss. Arbeit als sichtbar gewordene individuelle Vielfalt und Lebenssinn sozusagen. Ein überaus menschenzentrierter Ansatz!

Mit der Zeit wuchs die Idee von New Work mit allerlei schicken Tools zusammen, die als agile Methoden weltweiten Einzug in die Organisationen hielten. Für die einen war und ist es aufregend, mit den Kolleg:innen auf anderen Wegen zu Ergebnissen und Entscheidungen zu kommen als auf bloße Anweisung von oben warten zu müssen. Für andere ist das ganze Gedöns um New Work und agiles Arbeiten einfach nur Mehrbelastung, weil die alte Arbeit ja nicht weg ist. Genau, Ambidextrie, wir kennen den Fachbegriff.

Der Haken an der ganzen Entwicklung und Diskussion ist, das sich kaum jemand die Mühe macht, den Grundgedanken von New Work genauer erfassen zu wollen. New Work wird dadurch zweckentfremdet zur Möglichkeit der Profitmehrung. Andererseits wird es zur neuen und inoffiziellen Norm fortschrittlichen Arbeitens. So entsteht der Eindruck, dass die Firmen, die nicht New Work anbeten (oder das, was sie tun, einfach nicht so nennen), die Ewig-Gestrigen sind. Diejenigen, die aussterben werden, weil sie sich vom alten Staub nicht lösen wollen und sich gegen Entwicklung stellen.

Aber so einfach ist die ganze Sache nicht, da es ein zu schnelles Urteilen über die Situation einer Organisation und deren Kontext ist, von denen Außenstehende einfach nicht genug wissen können. Denn es stellt sich gleichzeitig für uns alle nämlich auch die Frage, ob New Work überhaupt jemals als ein Ziel erreicht werden kann? Oder ist New nicht eher eine Art Zustand, für dessen Erhalt wir immer wieder und immer wieder uns alle als Individuen (und nicht nur die Unternehmen) entwickeln und deswegen hinterfragen müssen? Ist New, als ein Gegenpol zu Alt, überhaupt haltbar und welche Kräfte benötigen wir, um an diesem Pol dauerhaft bleiben zu können? Was wird aus New, wenn wir es erreicht haben sollten? Ist es dann das Normale – oder sogar plötzlich das Alte? Und was kommt dann danach? Kann ein absoluter Begriff wie New überhaupt dauerhaft Orientierung geben? An dieser Stelle lohnt es sich, diese Fragen wirken zu lassen…

Dass sich Organisationen aus dem kaskadischen Prinzip von Anordnung und Ausführung herausentwickeln müssen, ist für mich unbestreitbar. Ebenso steht für mich außer Frage, dass wir innerhalb der Organisationen eine Kultur benötigen, die die Mitarbeitenden als Mitgestaltende begreift und alleine schon deshalb eine Kommunikation des reifen Miteinanders, also kooperativ, gepflegt wird.

Good? Oder besser Better?

Wäre stattdessen Good Work eine besserer Bezeichnung für das, was als inneres Bild von New Work existiert? Nicht wirklich. Auch Good ist ein statischer Begriff, der schwer und nur über Umwege objektiv im Tagesgeschehens eines Unternehmens überprüfbar ist. Wir brauchen dafür Aggregationsdaten, die uns Informationen liefern, ob Good erreicht wurde oder nicht. Diese Informationen sind z.B. aus dem Handeln der Menschen innerhalb einer Organisation ableitbar (z.B.: wie muss jemand handeln, um gut zu handeln?). Der Haken an der Sache allerdings ist: Good (oder gut) ist ein Begriff, der die eigene innere Vorstellungen über einen persönlichen idealen (oder idealisierten) Zustand abstrahiert. Frage ich meine Mitmenschen, was genau sie mit gut meinen, finden die meisten von ihnen nur stotternd Antworten. Und auch hier stellt sich deshalb die Frage, ob ein Zustand von Good überhaupt final erreicht werden kann. Der Weg dorthin ist mitunter sehr zäh. Jeder mag sich bitte kurz an das eigene Leben erinnern und sich dabei vielleicht ertappen, dass es Beziehungen gibt, von denen wir uns wünschen, sie sind gut. Oder wir denken, wir bekommen zu wenig Anerkennung und meinen, mehr Anerkennung wäre dann gut. Was dann mehr konkret bedeutet, damit es gut ist, bleibt oft unbeantwortet. Ich denke, es wird klar, wie herausfordernd es ist, so abstrakte Begriffe mit konkretem Leben zu füllen.

An dieser Stelle kommt Steve de Shazer zurück ins Spiel: „Wir können verstehen, was besser heißt, ohne zu wissen, was gut heißt.“ Das bedeutet, dass wir niemals einander ergründen werden, was genau gut für den anderen meint. Aber wir können durchaus eine Vorstellung davon entwickeln, was besser (oder better) ist. Denn Besser ist ein Begriff, dem etwas Prozesshaftes inne wohnt und damit die Möglichkeiten der Entwicklung schon sozusagen als Hintergrundmusik mitbringt. Besser intendiert zwar immer noch, dass wir mit einem Zustand x nicht zufrieden sind, es erlaubt uns jedoch in kleinen Schritten zu gehen. Ob Besser die kleine Schwester von Gut ist oder sein kann, müsst ihr selbst herausfinden. Aus meiner eigenen Coaching-Arbeit kann ich berichten, dass die Verwendung des Begriffes Besser für meine Klient:innen mehr Vorstellungskraft und Vielfalt erzeugt. Es ist leichter für sie, konkrete Ideen zu äußern, was für sie besser ist, als zu benennen, was gut ist. Besser setzt uns nicht unter Druck, bereits am Ende aller Möglichkeiten angekommen sein zu müssen. Es lädt uns ein, im Spiel zu bleiben, weiterhin auszuprobieren, Erfahrungen zu sammeln, zu revidieren, anzupassen, zu entwickeln und zu wachsen. Besser erwartet nicht von uns, den allwissenden Genius in uns zu tragen, sondern erlaubt uns, menschlich zu sein und zu handeln. Besser erlaubt uns, Fehler machen zu können. Gut schließt Fehler aus, zumindest in deutscher Lesart.

Bergmanns Idee der Handlungs- und Entscheidungsfreiheit wird im Besser lebendig. Für mich ist Besser damit der Raum der Möglichkeiten, der den Weg zu einem (Achtung!) Neu ebnet. Der Unterschied besteht jedoch darin, vielmehr auf dem Weg und damit im Spiel bleiben zu wollen, als anzukommen. Hier schimmert Simon Sineks The Infinite Game durch; aber das ist etwas für einen anderen Artikel. Ob New, Good oder Better, letztendlich gilt bei allen dreien: wenn die Haltung nicht stimmt, klappt’s auch nicht mit dem Anderen. Was denkst du? Ist Better Work eine hilfreiche Bezeichnung oder Semantik?


Nicole Bastien ist Coach, Leadership Visionary und Autorin.

Mehr zu Nicole Bastien:

www.nicolebastien.com

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