Manchmal kann ein einziger Buchstabe alles verändern. Tauscht man das `e` gegen ein `i,` so wird aus Empathie schnell Impathie. Ersteres ist mittlerweile (zum Glück) auch in den Führungsetagen angekommen – hing es zuvor doch jahrelang irgendwo zwischen das-ist-nur-was-für-Frauen und wir-haben-doch-bereits-einen-Obstkorb fest.
Empathie ist natürlich mehr als das. Kurz gesagt steht sie für unser Einfühlungsvermögen und „die Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellung anderer Menschen einzufühlen“ – zumindest sagt das der Duden. Wie empathisch wir sind, hängt von verschiedenen Faktoren ab und ist natürlich von Mensch zu Mensch verschieden. Die einen haben eine hohe Sensibilität und anderen fällt es schwer, jemandem nachzufühlen. Dabei geht es nicht darum, in Tränen auszubrechen, wenn es dem Gegenüber schlecht geht, sondern insbesondere im beruflichen Kontext darum, ein gesundes Nähe-Distanz-Verhältnis aufrecht zu erhalten – unabhängig davon, wie hoch man die eigene Empathiefähigkeit einschätzt.
Oxytocin führt zu besserer Leistung
In der Psychologie wird zwischen kognitiver und affektiver Empathie unterschieden, der Emotionsforscher Paul Ekman sieht in ersterem das Erkennen von Gedanken und der Perspektive des anderen – ohne diese womöglich selbst zu teilen. Die affektive Empathie wird durch die Spiegelneuronen im Gehirn möglich und steht in Verbindung mit unserem Mitgefühl, das nachweislich eine positiven Effekt auf die Ausschüttung des Hormons Oxytocin hat und dadurch das Zugehörigkeitsgefühl stärkt. Gerade in Organisationen und dem Aufbau von Teams und Strukturen kann das hilfreich sein.
„Empathisch zu sein, bedeutet nicht, die Meinung des anderen zu teilen“
Die Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Tania Singer beschreibt Empathie als „emotionale Resonanz“ und sagt „wir schwingen sozusagen mit anderen mit – ohne zu bewerten“. Das ist eine der Grundvoraussetzungen. Denn empathisch zu sein, bedeutet nicht, die Meinung des anderen zu teilen, sondern ist vielmehr Basis für ein konstruktives Miteinander.
Warum beschäftigen wir uns mit Empathie?
Die Gegenfrage wäre, was passiert ohne Empathie? Wenn das Mitgefühl schwindet, werden Menschen zu Akten. Vermerke, Einträge und Nummern, die irgendwo ganz hinten im Schrank verstauben und erst relevant werden, wenn Dienst nach Vorschrift nicht mehr funktioniert. Gerade in Zeiten überbordender Nutzung von künstlicher Intelligenz ist der Faktor Mensch elementar. Und der kommt nicht ohne Emotionen aus.
Doch noch viel wichtiger als die Frage, wie wir mit anderen umgehen, ist die Frage, wie wir mit uns selbst umgehen. In meinen Beratungen erlebe ich es immer wieder, dass das Konzept der Impathie per se auf positiven Nährboden trifft – denn schließlich geht es hierbei zunächst einmal um sich selbst. Das ist Musik in vielen Ohren. Was als Gefälligkeit für patriarchale Strukturen klingt, ist in Wahrheit ein Gamechanger.
„Im impathischen Prozess wird der Mensch sich selbst zum empathischen Gegenüber“
Impathie meint die Fähigkeit, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und zu verstehen. Viel mehr noch fungiert sie als Qualitätssiegel für die Beziehung zu sich selbst und durchdringt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – und ist dabei eine Möglichkeit, Erfahrungen und Empfindungen zu integrieren, die vorher nicht integrierbar schienen. Im impathischen Prozess wird der Mensch sich selbst zum empathischen Gegenüber. Dr. Stefanie Neubrand forscht seit über 10 Jahren zu diesem Themengebiet und prägte den Begriff „introversive Empathie“. Sie sagt: „Bei der Impathie geht es darum, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse mit einer annehmenden Haltung wahrzunehmen und zu verstehen, anstatt sie zu ignorieren oder zu unterdrücken“.
Impathie als Gamechanger
Impathie bedeutet, die Aufmerksamkeit nach innen zu lenken. Wenn ich mich selbst gut kenne, meine eigene Realität nicht nur wahrnehme, sondern auch verstehe und in Kontext setzen kann, verbessere ich nicht nur die eigene Selbstführung, sondern kann dies auch als Führungskraft an mein Team weitergeben.
Den wenigsten ist klar, wie sehr Führungskräfte als Vorbild für ihre Teams agieren und eine entscheidende Rolle für die Kultur im Unternehmen spielen. Insbesondere hinsichtlich Arbeitseinteilung, Umgang mit Stress und der ganz grundlegenden Haltung. People-Pleasing oder strikte Hierarchie – you get what you give.
Das Schöne ist: genauso wie Empathie kann auch Impathie er-lernt werden. Die Aufmerksamkeit ganz bewusst auf das Innere zu richten, Trigger wahrnehmen und erkennen, aber auch öfters mal die Meta-Position einnehmen. D.h. Abstand lassen und wortwörtlich einen Schritt zurücktreten und die Dinge aus einer anderen Perspektive sehen. Klingt abgedroschen, wirkt aber Wunder – vor allem dann, wenn wir den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Und apropos Sprichwörter: Das Ganze ist ein bisschen wie im Flieger, wo die Flugbeleiterinnen einem immer wieder nahelegen, im Fall der Fälle zuerst sich selbst die Sauerstoffmaske aufzusetzen und dann erst den anderen.
„Wenn wir etwas per se ablehnen, sind unserer Handlungsmöglichkeiten begrenzt“
Wirksamkeit als zentrale Komponente der Exekutivfunktion
Die impathische Selbstführung ist also Voraussetzung für ein Miteinander, das Unterschiedlichkeiten nicht nur zulässt, sondern aktiv fördert und dadurch Offenheit und Akzeptanz schafft. Denn letztlich geht es auch für Führungskräfte genau darum. Wenn wir etwas ablehnen, sind unser Handlungsmöglichkeiten und unsere Reflexionsprozesse eingeschränkt. Impathetic Leadership ist eine kluge Praxis, um Klarheit zu schaffen und mit guter Kommunikation nicht nur zum Vorstand, sondern insbesondere innerhalb des eigenen Teams für eine Kultur zu sorgen, von der die Organisation als Ganzes profitiert.
Impathie ist eine Schlüsselkompetenz im 21. Jahrhundert und spielt eine entscheidende Rolle in der Exekutivfunktion. Sie fördert nicht nur intrapersonelle Beziehung, sondern stärkt vor allem das persönliche Wachstum von Führungskräften in einem integrativen Umfeld, das offene Kommunikation, Vertrauen und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden fördert – und ganz nebenbei die eigene Effektivität und Wirksamkeit in erheblichem Maße stärkt.
Oder anders gesagt: erst sich selbst die Sauerstoffmaske aufsetzen, dann dem Team.
Über die Autorin:
Julia Heinz ist Volkswirtin, Kommunikationsexpertin und Gründerin der Strategieberatung communique. Sie berät Unternehmen, Personen und Organisationen hinsichtlich ihrer strategischen Positionierung, relevanter Zielgruppenanalyse und einer ganzheitlichen Kommunikation sowie dem Aufbau moderner Unternehmenskulturen und Führungskräfteentwicklung. Mit ihrem wertebasierten Ansatz baut sie Brücken und setzt wirksame Impulse, um Haltung medienübergreifend sichtbar zu machen.
Als Markenstrategin ist sie überzeugt, dass gelebte Werte verbinden und die Grundlage für erfolgreiche Marken bilden, die nachhaltig im Gedächtnis bleiben. Ihr Credo: Wertschöpfung entsteht auch durch Wertschätzung und ohne Markenkern kein Markenauftritt.