StartBusinessHR-Trends 2025: Wie "Hiring for Potential" und Job-Tandems neue Chancen bieten

HR-Trends 2025: Wie „Hiring for Potential“ und Job-Tandems neue Chancen bieten

Flexible Arbeit ohne Teilzeitfalle, Wissenstransfer schaffen oder bei drohender Kündigung neue Perspektiven eröffnen: Dr. Nina Gillmann, CEO von TWISE sieht 2025 für Job-Sharing-Modelle im Tandem viele Chancen. Warum die Expertin Personalentwicklern das Prinzip "Hiring for Potential", statt "Hiring for Experience" empfiehlt.

2024 war das Jahr der Abfindungen und Entlassungen, 2025 könnte es so weitergehen. Gerade langjährig beschäftigte Mitarbeitende und Führungskräfte sind stark verunsichert und werden häufig mit einer beruflichen Veränderung konfrontiert. Warum ist Job-Sharing gerade jetzt – angesichts einer angespannten Finanzlage in den Unternehmen – eine Option? Für wen ist das interessant?

In vielen Betrieben herrscht aufgrund von Umbrüchen der Geschäftsmodelle oder Dauer-Restrukturierung viel Unruhe und Unsicherheit in der Belegschaft. Auch wenn der eigene Job nicht zur Disposition steht, versetzt die Situation doch viele ins Grübeln darüber, wie es für sie beruflich weitergehen kann. Gerade dann, wenn der eigene Job keine Karriereoption mehr bereitstellt. Hinzu kommt, dass immer mehr Menschen außerhalb ihres Jobs nach Bestätigung suchen, z.B. beim Sport oder im Ehrenamt und ihre Arbeitszeit daher gerne reduzieren würden. Der Haken dabei: Wer aktuell eine Führungsrolle innehat, möchte nicht in Teilzeit arbeiten. Das fühlt sich nach „Downsizing“ an. Ein Führungstandem wäre da die bessere Alternative.

Warum das?

Hier geht es gezielt um die Vereinbarkeit zwischen Job und Privatleben. Man reduziert seine Arbeitszeit, aber nicht das mit einer Vollzeit-Position verbundene Arbeitsvolumen. Letzteres teilt man sich gemeinsam mit einem Tandempartner.  Der Job wird nicht einfach nur in zwei Pakete aufgeteilt, sondern baut darauf auf, Synergien und Wissen zweier Köpfe zu nutzen. Das hat den zusätzlichen Vorteil, dass Top-Kräfte – zum Beispiel im Rahmen eines Senior-Junior Tandems – ihre Erfahrungen gezielt an die nächste Generation weitergeben können und dafür eine direkte Wertschätzung bekommen. Auch das kommt häufig in einer “Solo-Vollzeitstelle” zu kurz. Das Job-Sharing Modell bietet sich daher aktuell besonders für alle an, die ihre Arbeitszeiten reduzieren möchten, ohne dabei auf eine anspruchsvolle Tätigkeit und Karriere verzichten zu müssen.

Warum müsste Hiring-for-Potential daher inzwischen bei Personalentwicklern und Unternehmen deutlich stärker in den Fokus rücken, im Vergleich zu Hiring-for-Experience? Warum tut sich hier noch so wenig?

Kluge Personalentscheider:innen haben es schon erkannt. Diejenigen, die noch in den alten Hiring-Mustern arbeiten, werden sich spätestens in zwei Jahren umschauen. Denn der Arbeitskräftemangel, den wir jetzt erleben, ist nur ein Vorgeschmack dessen, was uns angesichts der fortschreitenden Alterung der Bevölkerung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten bevorsteht. Personaler sollten das in ihre Personalplanung einbeziehen und schon jetzt dem Prinzip Hiring-for-Potential folgen, statt hauptsächlich auf fachliche Erfahrungen und Ausbildungen aus der Vergangenheit zu setzen. Es bedeutet, dass Recruiter bei der Einstellung neuer Mitarbeiter weniger die vorhandenen Fähigkeiten und Erfahrungen gewichten, sondern vielmehr auf  das Lern- und Entwicklungspotential, sowie auf individuelle  Eigenschaften, wie  z.B. Teamfähigkeit, der Kandidaten achten. Welche Herausforderungen im Unternehmen perspektivisch noch bevorstehen, spielt in vielen Stellenprofilen aktuell noch gar keine Rolle. Spätestens wenn Anforderungs- und Bewerberprofile immer weiter auseinanderdriften, müssen Recruitment Strategien in Richtung Hiring-for-Potential angepasst werden. Ein zunehmend wichtiger Baustein der Personalarbeit wird dabei das Re-, und Upskilling sein. Also Menschen on-the-Job für bestimmte neue Tätigkeiten weiterzuqualifizieren. Hier schlummert noch viel Potential für neue Arbeitsmodelle und Skillsets.

Welche Vorteile birgt Job-Sharing für Frauen und Männer, die derzeit keine echte berufliche Perspektive haben? Oder denen vom Unternehmen keine Perspektive mehr geboten wird?

Man darf sich das Erwerbsleben nicht mehr so linear vorstellen, wie es mal war. Denn die vielfältigen unterschiedlichen Lebens- und Berufsphasen der Beschäftigten, in denen sie Privates und Berufliches unter einen Hut bringen müssen und wollen, werden immer mehr zur Regel. Nicht nur weil es um Eltern-, oder Kinderpflege geht, sondern weil die Jobs immer komplexer und herausfordernder für eine Person werden.  Systematischer Austausch zwischen zwei Tandem-Partnern und kontinuierliches Sparring führt zu qualitativ besseren Ergebnissen. Die Verantwortung wird geteilt und nimmt Druck aus dem Kessel, mindert krankheitsbedingte Fehltage und erhöht eindeutig den Spaß und die Motivation im Job. Genau dieses Gefühl ist vielen Beschäftigten in ihrem derzeitigen Job abhandengekommen. Hinzukommt das Gefühl der Überforderung auf Führungspositionen.

Wo gibt es Herausforderungen?

Aus Angst vor Veränderung und zu viel Aufwand, schrecken Unternehmen schon einmal vor dem Tandem-Modell zurück. Ihre Argumente: Das funktioniert niemals in unserem Unternehmen. Das ist viel zu komplex für die Mitarbeitenden und die Kunden. Der Abstimmungsaufwand ist extrem hoch. Unsere Führungsriege wird niemals im Tandem arbeiten. Und dann wäre da noch die Frage: Wo finde ich die passende Partnerin oder den passenden Partner für mein Tandem? Last but not least ist da auch die Kostenseite, die der Umsetzung häufig im Weg steht. Warum sollte man für zwei Personen zahlen, wenn eine Person in Summe weniger kostet? Das ist eine kurzfristige Rechnung, die z.B. nicht den Wert des Wissenstransfers für das Unternehmen berücksichtigt.

Welche Konstellationen in der Zweier-Arbeisbeziehung sind bereits am Markt erprobt und erfolgreich? (Nachfolge, Wissenstransfer, Vereinbarkeit)

Wir haben bisher sehr gute Erfahrungen damit gemacht, wenn zwei Personen in Teilzeit arbeiten, um einem Vollzeitjob gerecht zu werden. Das haben wir häufig, wenn zwei Mütter wieder stärker ins Arbeitsleben einsteigen möchten. Aber auch Nachfolgeplanung funktioniert hervorragend im Tandem. Eine seniore Person, die in absehbarer Zeit aus einem verantwortungsvollen Posten aussteigen möchte, lernt eine juniore Person für einen gewissen Zeitraum darin an. Das geschieht ebenfalls im Tandem. Wir haben in dieser Konstellation ein Tandemprojekt für Co-Abteilungsleitung in einer Bank realisiert. Ein weiteres Beispiel aus dem Finanzwesen zeigt, wie flexibel Job-Sharing gestaltet werden kann. E. kehrt nach ihrer Elternzeit in ihre Führungsposition zurück – mit reduziertem Stundenumfang. An ihrer Seite: J., ihr Tandempartner. Bislang hatte er die Rolle des Vertreters inne, doch Führungserfahrung konnte er bisher noch nicht sammeln. Gleichzeitig möchte J. weiterhin operativ tätig bleiben. Ein Jobsharing-Modell, das Flexibilität und Entwicklungsmöglichkeiten vereint: J. teilt seine Arbeitszeit auf und übernimmt zu 50 Prozent die Co-Leitung. Die übrigen 50 Prozent seiner Arbeitszeit bleibt er als Teammitglied aktiv in der operativen Arbeit eingebunden. Dieses Modell verkörpert die Essenz von modernem Jobsharing: Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, gezielte Weiterentwicklung (Upskilling) und effektiver Wissenstransfer.

Was wären konkrete Schritte für Unternehmen, die jetzt damit starten und sich über flexible Arbeitsmodelle, wie dem Job-Sharing positionieren möchten?

Entscheidend für den Erfolg von Tandems in Unternehmen ist, dass ein Unternehmen den individuellen Mehrwert erkennt und ihn für sich nutzt. Das kann als Diversity-Tool oder zur Mitarbeiterbindung aber auch zur Gewinnung von Top-Kandidaten sein. Wesentlich für das Gelingen ist, dass alle Beteiligten ein gutes gemeinsames Verständnis haben. Wir führen dazu Workshops, Webinare oder Bootcamps mit HR Business Partnern und Führungskräften durch, damit das Onboarding sowie die Tandem-Einarbeitung auf einem soliden Fundament stattfinden kann. Für Letzteres haben wir einen speziellen Matching-Algorithmus entwickelt, der auch als SaaS-Lösung einsetzbar ist. Übrigens: Erste Leuchtturm-Tandems funktionieren hervorragend als Role Models für den späteren Roll-out in andere Unternehmensbereiche.

Nina Gillmann ist Gründerin und Geschäftsführerin des HR-Tech Unternehmens TWISE. Mit seinen analogen und digitalen Angeboten unterstützt TWISE Unternehmen im Wettbewerb um Fachkräfte und legt den Fokus auf die Förderung weiblicher Talente. Dabei spielen Job-Sharing und der Einsatz des KI-basierten Matchings eine zentrale Rolle. Gillmann ist promovierte Volkswirtschaftlerin und war 12 Jahre als Beraterin bei McKinsey & Company tätig. Dort leitete sie Projekte in Deutschland und in New York.

 

Fotomaterial@TWISE

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