Ich gebe es ja zu, ich bin da nicht sehr offen. Immer wenn sich ein neues Buzzword Zugang zu meiner ganz persönlichen Wortfamilie verschaffen will, plustern sich erst einmal die Neins in mir auf: Nein, so kann das nicht sein. Es muss differenzierter gesehen, hinterfragt und röntgenisiert werden, bevor ich das Phänomen akzeptieren kann.
Beim neuerdings zunehmend kursierenden Begriff „Glass Cliff“, also „gläserne Klippe“, geht es mir zum Beispiel so. Beschrieben wird damit jenes Business-Phänomen, das Frauen besonders in Krisenzeiten, gern auf (riskante) Chefsessel gehievt werden. Beispiele dafür gibt es genug: Ganz aktuell – Linda Yacccarino, die Elon Musk bei Twitter als CEO beerben soll. Etwas älter: Theresa May, die ran durfte, als ihr Vorgänger, der britische Premierminister David Cameron, das Brexit-Referendum versemmelte, Ex-Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner, die die SPÖ-Führung übernahm, als keiner die Kastanien aus dem Feuer holen wollte, Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel, die es einst an die Spitze der CDU geschafft hatte, als die dafür in Frage kommenden Parteikollegen heillos untereinander zerstritten waren.
Die Liste lässt sich um etliche Namen ergänzen. Dennoch empfinde ich eine starke innere Abwehr gegen diesen Begriff „Glass Cliff“, weil er signalisiert: Wenn Frauen an die Verantwortung gelassen werden, könnte das eine Hiobsbotschaft sein. Tatsächlich bedeutete er in der Vergangenheit oft: Es muss gespart, umstrukturiert, Mitarbeiter:innen müssen abgebaut werden, an Prämien und sonstige Vergütungen ist jetzt mal gar nicht zu denken, kurzum – es ist alles sehr kompliziert. Und weil man Frauen nachsagt, eine stärkere Leidensfähigkeit bei gleichzeitig ausgeprägterer Nervenstärke und höherer Problemlösungskompetenz zu haben, lässt man sie in solchen Momenten gern ans Ruder. Gleich mehrere wissenschaftliche Untersuchungen belegen diesen Vorgang, der schon Mitte der Nullerjahre in einer Studie der britischen University of Exeter genauestens studiert wurde und seit damals den Namen „The Glass Cliff Theory“ trägt. Aber bedeutet dies, dass es immer beziehungsweise mehrheitlich so war und sein muss? Nein – auch das besagen Studien.
Unser SHEconomy-Team diskutierte das Phänomen bei einer Redaktionssitzung, wenige Tage, nachdem in Wien das 4Gamechangers-Festival stattgefunden hatte – ein dreitägiges Event, bei dem Vordenker:innen, Innovator:innen, Gründer:innen, Gamechanger:innen zu Wort kamen. Der Frauenanteil der Speaker:innen und Diskutant:innen lag diesmal bei 70 (!) Prozent. Und ich hatte ganz und gar nicht den Eindruck, dass hier vorwiegend Frauen am Podium saßen, die nur deshalb zum Zug gekommen waren, weil wir in Krisenzeiten leben. Sondern, die wie die Menschenrechtsaktivistin Amal Clooney, die Nobelpreisträgerinnen Jody Williams und Nadia Murad, die Weltraumtouristin Anousheh Ansari, die Philosophin Liz Hirn oder Melanie Perkins, Mitbegründerin und CEO von Canva, (und viele mehr) durch ihr Können, ihre Kraft und ihr Sendungsbewusstsein unglaubliche Karrieren hingelegt haben und dies weiter tun. Sind wir doch froh, dass interessante Frauen endlich diese Sichtbarkeit bekommen!
Man sollte sich also davor hüten, weibliche Leistungen zu relativieren, indem man sie, wie im Fall der Glass Cliff Theory, ins Eck der zuverlässigen, sich zerspragelnden und irgendwie bescheidenen Dulderinnen stellt. Nein, Frauen sind keine Notnägel. Sie können Krisenmanager:innen sein, genauso wie Männer und scheitern darin manchmal – genauso wie Männer. Und sie können unglaubliche Dinge auf die Beine stellen, Unternehmen gründen, Forschung leiten, Visionen umsetzen. Man soll sie bitte einfach nur machen und den eingeschlagenen Weg weitergehen lassen. Und nicht schon wieder in ein Eck stellen, oder gar auf eine Klippe.
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