Die jüngeren Generationen wollen nicht mehr führen, wollen keine Verantwortung mehr übernehmen, keine Überstunden machen oder erst gar nicht mehr Vollzeit arbeiten, liest man teilweise in der Presse. Ist das wirklich so?
Die Generation Z lässt sich, wie auch jede Generation vor und nach ihr, nicht über einen Kamm scheren. Es gibt in dieser Generation aus meiner Sicht genauso Menschen, die engagiert, interessiert oder eben leistungsvermeidend sind, wie in allen anderen Generationen auch. Ich persönlich verwende den Generationenbegriff generell mit Vorsicht. Die Einteilung in Generationen und damit einhergehende Zuschreibungen können ein hilfreicher Indikator zum gegenseitigen Verständnis sein, sind aber keineswegs durchweg belastbar und so ernst zu nehmen, wie es teilweise medial gepusht den Anschein macht. Was jedoch durchaus passiert, ist, dass sich durch die Möglichkeiten, die sich etwa durch Digitalisierung ergeben, unsere Art zu arbeiten, unsere Ansprüche und Vorstellungen verändern. Die Gen Z kennt es nicht unbedingt anders, daher wirkt es vielleicht im Arbeitsumfeld oftmals so, als wären sie einzig ausschlaggebend für diese Entwicklung.
Muss unsere Gesellschaft die Rahmenbedingungen verändern, damit die jüngeren Beschäftigten bereit sind, Führungsaufgaben zu übernehmen? Welche Voraussetzungen braucht es dafür und welche Alternativen gibt es?
In einer Welt, in der alles Wissen online verfügbar ist, ist die Verhandlungsposition und auch das Selbstverständnis, mit welchem Arbeitnehmer:innen Forderungen vorbringen und bestimmte Bedingungen im Job erwarten, eine andere, als dies früher der Fall gewesen ist. Bei erwarteter Leistung proaktiv Gehalt nachverhandeln oder flexible Bedingungen fordern und nutzen, diese Verhaltensweisen werden durch Vergleichbarkeit und Transparenz im Netz gefördert. Wenn ein Unternehmen neben fairen Bedingungen, gebunden an Ergebnisse und Fähigkeiten statt primär an Alter oder Dauer der Betriebszugehörigkeit dann noch eine gute Führungskultur vorweisen kann und einen Rahmen gibt, in dem man etwas bewegen und sich mit seinen Talenten einbringen kann, sollten die Anforderungen von (potentiellen) Mitarbeiter:innen grundlegend erfüllt sein. Will deshalb dann jede:r Führungsaufgaben übernehmen? Sicher nicht und das sollte auch nicht Zielzustand werden. Führungspositionen sind absolut erfolgskritisch und nicht jede:r kann und muss führen.
„Wir können nicht alle BWL studieren und dann hauptberuflich Mails machen“
Sie haben zwei Bücher zu diesem Thema veröffentlicht. Was ist die Kernbotschaft?
Wir stehen aktuell an der Schwelle zu einer neuen Arbeitsrealität. Getrieben durch Einflüsse auf gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Ebene, sehen wir uns jetzt mit der Herausforderung und gleichzeitigen Chance konfrontiert, eine Veränderung der Zukunft der Arbeitswelt mitzugestalten – oder fernab unserer Handlungen geschehen zu lassen. Und die besten Chancen zur aktiven Mitgestaltung haben wir, wenn wir dies gemeinsam angehen und nicht gegeneinander. Jetzt gilt: keine Angst vor Neuem, dabei aus der Vergangenheit lernen und die Neugierde nach vorn bewahren – oder wiederfinden.
Konkret: Wie wird sich Führung durch die U30, aber auch für die U30 verändern?
Erstmal muss sich aus meiner Sicht etwas am Framing von Führung ändern. Eine steile Führungskarriere wird gerne mit Erfolg gleichgesetzt, dabei brauchen wir aus meiner Sicht für nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg sowohl gezielt und kompromisslos die richtigen Führungskräfte als auch viel mehr Fachtalente. Das geschieht, indem wir einerseits radikal hinterfragen, wer aktuell führt, ob die Person die für die Situation und die geführten Menschen richtigen Skills mitbringt oder woanders sinnstiftender untergebracht wäre und Auswahlprozesse für neue Führungskräfte entsprechend anpassen. Zudem müssen wir Expert:innenkarrieren aufwerten. Das fängt schon in Schule, Studium und Ausbildung an – letztere bräuchte in dem Zuge übrigens aus meiner Sicht auch dringend eine Aufwertung in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Wir können – salopp gesagt – nicht alle BWL studieren und dann hauptberuflich Mails machen.
Was erwartet U30 Generation von den Führungskräften – aber auch umgekehrt?
In einer zunehmend komplexer werdenden Arbeitswelt ist es aus meiner Sicht primäre Aufgabe von Führungskräften, Unternehmen und Teams erfolgreich durch die steigende Komplexität zu führen. Führungspositionen müssen mit Menschen besetzt werden, die wissen, wie das geht, die Orientierung geben und die ein Gespür dafür haben, wie man das „große Ganze“ auf die jeweils benötigte Ebene herunterbricht. Was in der Führungsarbeit der Zukunft keinen Platz mehr bekommen sollte sind Ego und Ellenbogen. Und auch die Zeiten, in denen der oder die jeweils beste Fachexpert:in im Team automatisch zur Führungskraft berufen wird, sollten am besten bereits vorgestern zu Ende gegangen sein.
Wie können wir alle dazu beitragen kann, dass die Zusammenarbeit „nach vorne“ gelingt?
Zunächst sollten wir akzeptieren, dass die Zukunft der Arbeit unbestreitbar „viel“ wird. Viel Komplexität, die es zu sortieren und zu managen, viel Neues, dass es zu erkennen, verstehen und nutzen gilt. Klar, dass es da mal zu Widersprüchen oder Überforderung kommen wird. In einer perfekten Welt gibt es wie gesagt Führungskräfte, die Orientierung geben und durch diese Situationen begleiten. Nichtsdestotrotz liegt es auch in der Verantwortung jedes einzelnen Mitarbeitenden, sich der Komplexität zu stellen, indem man nicht aufhört, sich weiterzubilden, sich weiterzuentwickeln und sich dadurch die Möglichkeit gibt, an Herausforderungen zu wachsen. Um am Ende des Tages gemeinsam zu einem für alle zufriedenstellenden Ergebnis zu kommen, gilt es insbesondere Erwartungshaltungen und den Handlungsspielraum klar definiert zu haben. Wir kommen also nicht darum herum, alle an unseren Kommunikationsfähigkeiten zu feilen. Auch gute Führungskräfte sind keine Hellseher*Innen.
Wie wichtig ist die emotionale Intelligenz als Führungsanker für die jüngeren Generationen?
Für gute Führungsarbeit spielt emotionale Intelligenz perspektivisch eine noch entscheidendere Rolle, denn nur mit einem Gespür für die eigenen und die Gefühle anderer sowie der Fähigkeit mit diesen entsprechend umgehen zu können, kann die zu erwartende zunehmende Komplexität für eine:n selbst und gleichzeitig noch das Team und das Unternehmen in der notwendigen hohen Geschwindigkeit gemanaged werden. In den kommenden Jahren wird sich die Bedeutung noch weiter verstärken, da sich die Arbeitswelt weiter diversifiziert und technologische Fortschritte zwischenmenschliche Fähigkeiten noch wichtiger machen. Je mehr digitalisiert wird, desto relevanter wird der Fokus aufs menschliche, darauf, ein produktives Miteinander gestalten zu können, auf effektive Kommunikation und auf die Fähigkeit Vertrauen aufzubauen und so durch den Dschungel der Veränderung zu führen.
„Emotionen und intrinsische Motivation statt Druck, das ist jetzt von Führungskräften gefragt“
Sie nennen auch Führen ohne Leistungsdruck als Wunschbild von vielen Jüngeren – können so weiterhin auch hohe Produktivitätsziele von Unternehmen erreicht ?
Produktiv sein zu können und was dafür benötigt wird, ist unabhängig von Generation, Alter, Herkunft etc. individuell. Gute Kommunikation insbesondere in Bezug auf Erwartungen, den Handlungsspielraum und die individuelle Erweiterung oder Begrenzung dieses Spielraums je nach Bedürfnis des jeweiligen Mitarbeitenden, Ziele und Feedback ist erfolgskritisch -was aus meiner Sicht oftmals nicht so gesehen wird. Flexible Rahmenbedingungen in Bezug auf Arbeitsort und –zeit spielen eine zentrale Rolle dabei, wie gut die Tätigkeit mit individuellen Bedürfnissen und Lebensentwürfen vereinbar ist. Und nicht zuletzt geht es bei vielen, wenn nicht sogar bei all diesen Punkten um die Wahl der Führungskräfte. Es geht um die Fähigkeiten, die diese mitbringen, und ob es ihnen gelingt eng oder locker zu führen, je nachdem was am hilfreichsten für einen Mitarbeitenden ist. Kurzum: Man kann auch Ziele und einen ambitionierten Weg dorthin vermitteln, indem man den Weg über Emotionen, über intrinsische Motivation wählt und den jeweils benötigten Raum gibt, anstatt Druck auszuüben. Zumindest, wenn es nicht einfach an Skills oder Verständnis mangelt – wo wir beim Thema der lebenslangen Weiterbildung aller Beteiligter, der Wahl der richtigen Führungskräfte und dem Anspruch an die Führungsaufgabe sind.
„Alle müssen sich in Resilienz üben“
Welche Veränderung kommt auf Unternehmen in den kommenden Jahren zu?
Flexibilität, individuelle Entwicklung und Work-Life-Balance werden mehr noch als heute betont. Unternehmen werden darauf abzielen, eine unterstützende Umgebung zu schaffen, die persönliches Wachstum und Innovation fördert. Denn wer sich nicht schnell und zielgerichtet an die Veränderung, die immer rasanter von statten geht, anpassen kann, verschwindet sehr schnell vom Markt. Und dazu bedarf es nicht nur eine Anpassung des Geschäftsmodells, sondern vor allem auch der wichtigsten Ressource jedes Unternehmens: den Mitarbeitenden.
Auf welche Skills kommt es bei den Mitarbeitenden an, wie kann man sich auf diese Zukunft vorbereiten?
Den wichtigsten Skill, den es dabei zu erlernen, zu üben und zu fördern gilt, würde ich mit Schnelligkeit zusammenfassen. Eine schnelle und kritische Auffassungsgabe zu unvorhergesehenen bzw. neuen Themen und Situationen, schnell und zielgerichtet auf diese reagieren zu können, in der Lage zu sein und sich zuzutrauen Entscheidungen zu treffen und diese auch umzusetzen, dabei effektiv und klar zu kommunizieren, all das ist wichtig im Umgang mit der Geschwindigkeit und Komplexität, die unsere Welt annimmt. Man muss sich also in Resilienz gegenüber der stetigen Veränderung üben und – ganz wichtig – bei alldem einen gewissen Optimismus nicht verlieren.
Wie lassen sich Vorurteile ausräumen?
Indem man ihnen sachlich begegnet, den Ursprung findet und mit der jeweiligen Realität abgleicht. Um eine gemeinsame Grundlage mit dem Gegenüber zu finden, ist es wichtig, zu verstehen, dass Vorurteile zu haben nur menschlich ist und Empfindungen subjektiv sind. Den eigenen Bias zu challengen ist ein kontinuierlicher und nicht immer leichter Prozess, durch den wir alle durchmüssen, egal für wie (un-)voreingenommen wir uns halten. Ich versuche dies im Buch dadurch, dass ich bei den gängigen Vorurteilen, wie beispielsweise dem, dass die Gen Z keine Lust hast viel zu arbeiten oder Verantwortung zu übernehmen, erstmal versuche Brücken zu Leser:innen anderer Generationen zu bauen versuche. Im Kern wollen wir oftmals das gleiche, meinen das gleiche, haben ähnliche Wünsche und Wertesysteme und können, sobald dies einmal von allen Beteiligten verstanden wurde, sobald es eine gemeinsame Grundlage gibt, Verständnis füreinander aufbringen und voneinander profitieren.
Was hat Sie motiviert, diese Bücher zu schreiben?
Mein Anspruch ist es eine Ergänzung der gängigen Fachliteratur zu Trends und Themen im Kontext der Zukunft der Arbeit aus U30 Perspektive zu liefern, denn diese Altersgruppe wird die Zukunft maßgeblich erleben und prägen, kommt in diesem Medium aber noch wenig zu Wort. Die Themen habe ich danach ausgewählt, wo es aus meiner Sicht den besten Hebel zur Veränderung und ein ich nenne es mal „Quick Win Potential“ gibt, denn mir ist wichtig, nicht nur Thesen aufzustellen, sondern direkt und hands on Praxistipps zu liefern und in die Umsetzung zu kommen. Zudem lerne ich durch die Recherche, die Interviews und den ganzen Schreibprozess selbst auch unglaublich viel – Das allein ist schon Motivator genug.
Zoe Nogai ist ein starkes und reichweitenstarkes Role Model für die Gen Z (und darüber hinaus). Als Projektleiterin für Change Projekte bei der Deutschen Telekom kombiniert sie Konzernexpertise mit Unternehmergeist, treibt innovative Veränderungen voran und schafft Brücken innerhalb komplexer Konzernstrukturen und der jungen Generation. Nebenberuflich teilt sie ihre Expertise als Beraterin. Sie konzipiert digitale Kommunikationsstrategien und ermöglicht Gründer:innen, Start-ups und anderen Unternehmen, aktiv an der kulturellen Arbeitswelt-Transformation teilzunehmen. Zoe Nogai hat dazu zwei Bücher veröffentlicht. Aktuell: „Ideen von heute für die Arbeitswelt von morgen“ (Haufe Verlag), zuvor den #U30For35 Sammelband.