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Wenn wir von Diversität sprechen, reden wir zwar vom selben, meinen aber nicht immer das Gleiche. Denn zum ersten Mal in der Geschichte arbeiten drei Generationen Schulter an Schulter in Unternehmen – aus diesem Sozialisierungskontext heraus, ergeben sich oft interessante Definitionsfragen.

Diesmal eine Geschichte aus dem eigenen Nähkästchen. Knapp bevor wir mit unserer kommenden Ausgabe in den Druck gingen, die unter dem Titel WEconomy. Diversity works (ein Spin-Off von SHEconomy) erscheint, bekam ich vom Schlusslektorat folgende Nachricht: „Dein Editorial steht im Widerspruch zur ersten Aussage der Coverstory“.

Was war geschehen? Bei beiden Texten geht es um eine Aussage einer repräsentativen Studie mit dem Titel „Wie solidarisch ist Österreich am Arbeitsplatz?“, die wir, gemeinsam mit der Kommunikationsagentur Ketchum in Auftrag gaben. Sie lautete: Rund die Hälfte aller Männer schreitet im Job ein, wenn Kollegen sexistische Witze machen. Während ich dieses Ergebnis als durchwegs positiv bewertete, meinte Manisha Joshi, Head of Diversity, Equity und Inclusion bei Ketchum, in der Coverstory es sei „schockierend“.

Meine Reaktion im ersten Moment: Wie kann es nur sein, dass wir zwei, die ähnliche Werte leben, hier so weit auseinanderliegen? Nach kurzem Nachdenken hatte ich die Antwort: Manisha ist 33 Jahre alt, ich 61. Das bedeutet: Ich wurde in einer Zeit beruflich sozialisiert, in der die Mehrheit der Frauen eventuelle Schlüpfrigkeiten, ohne lange nachzudenken, einfach wegsteckte. Manisha aber startete bereits in ein Berufsleben, in welchem Männer nicht mehr so ganz ohne Folgen einer Frau gegenüber respektlos auftreten konnten.

Um das Ganze auch historisch einzuordnen: Erst seit 1975 ist es Frauen in Österreich gestattet, ohne die Zustimmung des Ehemannes zu arbeiten und damit ihre finanzielle Situation selbst in Händen zu halten. Acht Jahre später (1983) trat ich als junge, angehende Journalistin in den Arbeitsmarkt ein – so sehr auf Respekt und Gleichstellung ausgerichtet waren die Zeiten also noch nicht. Manisha wuchs in einer Zeit auf, in der die Mehrheit der Frauen bereits berufstätig war (wenn auch häufig in Teilzeit) und in der es schon herausragende weibliche Karrieren gab. Junge Frauen begannen, junge Männer bildungsmäßig abzuhängen (es gibt mehr Frauen mit einem Abiturenten-/Matura-Abschluss als Jungs und mehr Akademikerinnen als Akademiker); die Quote ist seit 2007 in der EU ein Dauerthema (damals führte Spanien sie ein). 2017 kam #metoo – und in der Folge ein radikaler Wandel im Selbst-Bild und -Bewusstsein der Frauen.

Das für mich Interessante, das mir zuvor nicht so bewusst war: Was die kleine Meinungsverschiedenheit zwischen Manisha und mir zeigt, ist, wie divers unsere Gesellschaft selbst innerhalb gleich gesonnener Gruppen ist. Denn in den meisten Unternehmen arbeiten mittlerweile drei Generationen Schulter an Schulter. Das führt dazu, dass wir nicht mehr nur von Männern und Frauen, Nationen und Kulturen, sexueller Orientierung oder Menschen mit Behinderung sprechen, wenn es um Diversität geht – sondern dass all diese Aspekte heute auch durch den Filter unterschiedlicher Zeitkulturen und Sozialisierungen betrachtet werden (müssen).

Vom Standpunkt dieser Komplexität aus gesehen, finde ich, dass wir daher gar nicht so schlecht dastehen als Gesellschaft. Und dass wir sich zuspitzende Standpunkte zwischen den Generationen auch als Chance begreifen können – indem wir besser zuhören und hinterfragen und mehr Anerkennung für die Aufbauleistung der einen und die Dynamisierungs-Bestrebungen der anderen aufbringen sollten. Das fände ich schön: Gleichberechtigung nicht als Kampfansage, sondern als gesellschaftlichen Auftrag an Männer UND Frauen zu vergeben, Inklusion nicht als notwendiges Übel, sondern als sinnerfüllendes Projekt und Teil von Herzensbildung zu begreifen. Gerade die Weihnachtszeit und die darauffolgenden, etwas ruhigeren Feiertage bieten sich für Ideenarbeit in diese Richtung an.


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