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Für Nicola Winter ist der Himmel kein Limit

Zehn Jahre lang diente Nicola Winter als Kampfflugzeug-Pilotin bei der deutschen Bundeswehr. Heute ist sie ESA-Reserve Astronautin und teilt als Keynote-Speakerin ihre Erfahrungen zu Führung und Diversität.

Wer sich mit Nicola Winter zu einem Teams-Meeting trifft, erkennt sofort, wohin ihr Weg sie führen soll – zu den Sternen. Der Hintergrund ihres Video-Calls zeigt das Weltall, den Ort, den die 39-Jährige eines Tages besuchen möchte. Schon in ihrer Kindheit hat sie die Fliegerei fasziniert. Eine Karriere als Pilotin bei der Lufthansa war für die gebürtige Münchnerin jedoch ausgeschlossen, mit 1,60 Metern war sie fünf Zentimeter zu klein. Die Ausbildung bei der Bundeswehr öffnete ihr schließlich die Tür zum Cockpit, in dem sie als zweite Frau in der Geschichte der Luftwaffe den Eurofighter steuerte.

Nicola Winter lebt und liebt ihren Beruf – und wünscht sich mehr Frauen im Cockpit. „Es ist für mich unverständlich, warum so wenige Frauen diesen Beruf ergreifen. Es ist ein toller Job, der viele Eigenschaften erfordert, die typischerweise als weiblich gelten: Man muss clever sein, gut organisieren und strukturieren können.“ Für den Beruf der Pilotin brauche es kein tiefgehendes technisches Verständnis: „Als Pilotin muss ich nicht wissen, wie ein Flugzeug konstruiert wird. Das Wesentliche ist, dass ich die Systeme verstehe und sicher bedienen kann.“

Doch noch immer sind Frauen in entsprechenden Positionen unterrepräsentiert. Ob eine Institution wie die Bundeswehr bessere Rahmenbedingungen für Frauen schaffen könnte „Natürlich“, sagt sie. „Aber das gilt für jedes Unternehmen. Ich habe noch kein Unternehmen gesehen, das in dem Bereich perfekt aufgestellt ist.“ Damit Frauen beruflich erfolgreich agieren können, sei es zum Beispiel notwendig, ihnen mehr Vertrauen entgegenzubringen und unnötigen Druck zu nehmen. „Viele Politiker, Führungskräfte und Entscheidungsträger in Konzernen unterschätzen meiner Meinung nach beispielsweise die mentale Belastung, die eine Mutter empfindet, wenn sie arbeiten geht. Die logistischen Herausforderungen lassen sich oft bewältigen, doch der ständige Stress und die Gedanken, die im Hinterkopf präsent sind, beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit.“

Der menschliche Aspekt sei das eine – der wirtschaftliche das andere. Und bessere Rahmenbedingungen für weibliche Kolleginnen kommen beiden Seiten zugute: „Letztlich führt es zu größerem Unternehmenserfolg, wenn Mitarbeiter:innen gerne zur Arbeit kommen und mit einem klaren Kopf agieren.“ Nicola Winter ist überzeugt: „Diversity bedeutet viel mehr, als nett zu sein zu Frauen. Diversity bedeutet, dass du in den meisten Berufen mehr wirtschaftlichen Erfolg haben wirst.“

Vorurteile sind tief verwurzelt

Erfolg – den feiert Nicola Winter heute als Buchautorin (siehe Tipp). Mit ihrem Werk möchte sie ein „Buffet der Ideen“ anbieten und Menschen inspirieren, beispielsweise durch ihren Umgang mit Themen wie Teamarbeit und Führung. Auch die Raumfahrt spielt in ihrem Buch eine zentrale Rolle. Seit 2022 gehört sie der Reserve der ESA-Astronaut:innen an, setzte sich gegen 22.500 Bewerber:innen durch – und könnte damit bald die erste Deutsche im All sein.

Was viele nicht wissen: Studien zeigen, dass der weibliche Körper für die Raumfahrt besser geeignet ist. Dennoch sind bisher nur wenige Frauen ins All geflogen. Auch Nicola Winter wartet auf ihren Einsatz – und stößt trotz aller Fortschritte in der Geschlechterdiskussion immer wieder auf Unverständnis. „Die vorherrschenden Vorurteile sind tief verwurzelt. Für viele Menschen ist der Begriff Astronaut untrennbar mit dem Bild eines Mannes verbunden. Der Glaube, dass ein Mann besser in der Lage sei, einen Generator im Weltraum zu reparieren, ist weit verbreitet. Ich bin aber überzeugt, dass, wenn man die Klischees aus Hollywood-Filmen und gängige Interpretationen beiseitelässt, es oft die Frauen sind, die in Krisensituationen stabil bleiben.“

Heute lebt Nicola Winter in einer Welt, in der sie fast ausschließlich mit weiblichen Teams arbeitet. Sie beobachtet, dass Frauen oft cleverer sind und ergebnisorientierter arbeiten. Frauen zu führen, sei anspruchsvoller, weil es Sachlichkeit und Intelligenz brauche. Männer hingegen neigen Winters Erfahrung nach häufig dazu, sich von ihrem Ego leiten zu lassen, und suchen Bestätigung. Vor wenigen Tagen hat Nicola Winter ihre neue Position als Rettungshubschrauberpilotin beim ADAC angetreten. „Ich genieße meine Vorträge und Workshops, aber ich möchte auch praktisch tätig sein und am Puls der Zeit bleiben.“ Ihren Traum vom Weltraum hat sie jedoch keineswegs aufgegeben.


Zur Person

Nicola Winter arbeitete nach ihrer Dienstzeit bei der Bundeswehr als Beraterin bei McKinsey & Co. und als Rettungssanitäterin, bevor sie in die Luft- und Raumfahrttechnik wechselte. Sie ist nicht nur Speakerin und seit 2022 Reserve der ESA, sondern auch Beraterin für Krisenstäbe und Unternehmen, promovierte Expertin im Bereich der bemannten Raumfahrt und Dozentin für Notfall- und Krisenmanagement.
Infos: www.nicolawinter.de


Buch-Tipp

„The Sky Is No Limit: Eine Jetpilotin über Krisenkompetenz, schnelle Entscheidungen und neue Horizonte“

Nicola Winter, € 24, Ariston-Verlag


„Mit Herz und Hirn dafür entscheiden“

Auch das Österreichische Bundesheer setzt auf Frauen im Cockpit: Major Eva Berginc über positive Veränderungen durch andere Sichtweisen.

Hauptmann Eva Berginc, Zeltweg, Steiermark, Österreich. Aufnahmen der Airpower 2022

„Es ist mehr als ein Job“, sagt Major Eva Berginc, die im Österreichischen Bundesheer Einsatzpilotin des Helikopters OH-58 Kiowa, Fluglehrerin, internationale Taktiklehrerin mit Schwerpunkt „Train the Trainer“ und Planungsprozesse ist.

„Es braucht mehr Frauen im Cockpit und im Militär, um andere Sichtweisen einzubringen und zu etablieren. Frauen haben bereits und werden auch in Zukunft für ein offeneres und breiter gefächertes Arbeitsumfeld sorgen“, sagt sie. Aber auch: „Frauen bewirken eine Veränderung des Umgangstons untereinander.“

Sie rät Frauen, die überlegen, eine Laufbahn im Militär zu ergreifen: „Informiert euch gut über die an euch gestellten Anforderungen, nehmt die Möglichkeit wahr, die gewählte Waffengattung im Vorfeld kennenzulernen, und entscheidet euch mit Herz und Hirn dafür.“

Der Berufsweg der heute 40-Jährigen war durchaus ungewöhnlich: Erst nach einer kaufmännischen Ausbildung an einer berufsbildenden höheren Schule und einem freiwilligen Jahr für Offiziersanwärter:innen beim Militär begann sie ihre Pilotenausbildung. Am Fliegen begeistert sie vor allem die Unabhängigkeit und „die Freiheit, überall landen zu können, die die Hubschrauberfliegerei mit sich bringt“.


Zahlen, Daten & Fakten

Die deutsche Bundeswehr

entwickelt das soldatische Gleichstellungsrecht weiter, um den Dienst in den Streitkräften attraktiver zu machen. Teil der Personal-Strategie ist eine zielgerichtete Werbung und kommunikative Ansprache auf allen Kanälen. Hier sorgt die Bundeswehr für eine prominente Sichtbarkeit und authentische Darstellung von Soldatinnen in öffentlichkeitswirksamen Motiven und Botschaften.

Aktuell liegt der Anteil an Soldatinnen bei über 13 Prozent. Im vergangenen Jahr betrug der Anteil bei militärischen Einstellungen bereits 17 Prozent, in den Offizierslaufbahnen sogar 25 Prozent.

Das österreichische Bundesheer

legt Wert auf den Ausbau der Kinderbetreuung, der schrittweise umgesetzt wird insbesondere mit dem Neu- und Ausbau von Kasernen. Zudem gibt es weitere Fördermaßnahmen wie beispielsweise: Cross-Mentoring im Bundesdienst, Jahrestreffen der Frauen- und Gleichbehandlungsbeauftragten, Vernetzungsinitiativen, Girls‘ Day und eine Kampagne gegen sexuelle Belästigung.

Für den Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2025 wurde ein Frauenförderungsplan verabschiedet, der konkrete Ziele zur Erhöhung des Anteils von Frauen und Soldatinnen festlegt. Der Frauenanteil ist in den verschiedenen Teilen des Heeres sehr unterschiedlich – in Bereichen wie dem militärmedizinischen Dienst, dem Heeressport oder der Militärmusik ist der Anteil relativ hoch, während er in der Infanterie oder den Kampftruppen geringer ausfällt.

Im Jahr 2013 zählte das Bundesheer ins gesamt 285 Soldatinnen, 2018 stieg diese Zahl auf 556, und im Oktober 2024 waren bereits 673 Soldatinnen im Dienst.

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