Über das mit der angeblichen Unfähigkeit einzuparken, kann frau ja noch lachen. Weniger lustig sind andere Vorurteile – vor allem jene, die sich auf unsere beruflichen Kompetenzen beziehen. Wenn uns Frauen zum Beispiel der Wille oder das Vermögen zu führen, abgesprochen wird. Häufig erstarren wir dann vor lauter Wut und Fassungslosigkeit, wobei das Ziel eigentlich wäre: selbstbewusst und authentisch zu reagieren – aber wie?
Natürlich sind auch Unternehmen und Gesellschaft am Zug, was den Abbau geschlechtsspezifischer Vorurteile und Stereotype angeht. Das ist in vielen Organisationen bis heute ein blinder Fleck und da gibt es noch ganz viel zu tun.
Ich möchte mich an dieser Stelle allerdings auf das fokussieren, was jede Einzelne dazu beitragen kann geschlechtsspezifische Vorurteile zu bekämpfen. Das ist nämlich eine Menge und sehr effektiv. Zudem ist jede Frau in dieser Hinsicht sofort handlungsfähig, sie muss nicht auf das Agieren anderer warten.
In meiner Coaching-Praxis verweise ich dabei gerne auf ein Modell des US-Amerikaners Stephen R. Covey: Dieser unterscheidet den Circle of Influence vom Circle of Concern. Im Erstgenannten liegen die Antworten, die Frauen auf Vorurteile und Stereotype geben sollten.
Aber schauen wir uns zu Beginn mal die Fakten an. In Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 des 1949 in Kraft getretenen Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland heißt es: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“
Faktisch hatten Frauen damals allerdings keineswegs die gleichen Rechte wie Männer. Erst viele Jahre später wurde das geändert, durften Frauen etwa ein eigenes Vermögen besitzen sowie ohne Erlaubnis ihres Ehemannes arbeiten. Mittlerweile haben wir Jahrzehnte der Gleichstellungspolitik hinter uns. Sind aber deshalb die zahlreichen Vorbehalte verschwunden? Nein! Weltweit betrachtet sieht es sogar noch schlimmer aus als in Deutschland oder Österreich.
90 Prozent voreingenommen gegenüber Frauen
Für mich erschütternde Ergebnisse hat einer Studie der UNO-Entwicklungsagentur UNDP ergeben: Im Job, im Privatleben und in der Politik sind Vorurteile gegenüber Frauen weit verbreitet. Befragt wurden Menschen aus insgesamt 75 Ländern – und mehr als ein Viertel von ihnen findet es sogar in Ordnung, dass ein Mann seine Frau schlägt. Etwa die Hälfte hält Männer für bessere politische Anführer, circa 40 Prozent denken, sie seien bessere Spitzenmanager. Neun von zehn der Befragten sind in der einen oder anderen Weise Frauen gegenüber voreingenommen. Neun von zehn! Und das ist nicht nur in Staaten, wo wir es vielleicht erwarten würden. Auch 63 Prozent der Deutschen – 55 Prozent der Frauen und 70 Prozent der Männer – sind in zumindest einem Bereich voreingenommen.
Spannend auch die Ergebnisse der McKinsey-Studie „Women in the Workplace“ aus dem letzten Jahr, für die rund 64.000 Mitarbeiterinnen von 279 Unternehmen in Nordamerika befragt wurden. 20 Prozent von ihnen sagten, sie seien die einzige Frau oder eine von wenigen im Team. In bestimmten Branchen wie bei Ingenieur:innen sind es noch wesentlich mehr, bei farbigen Frauen sogar 45 Prozent.
Damit, auch das zeigt die McKinsey-Studie, gehen negative Erfahrungen einher: Die einzige Frau im Team muss ihre Kompetenzen mehr beweisen als die Männer, ihre Expertise wird öfter in Frage gestellt, sie wird unprofessionell behandelt und die anderen glauben sie stehe auf der Karriereleiter weiter unten. „More Junior“ heißt Letzteres in der Analyse. Für alle, die damit kämpfen „die einzige Frau im Team zu sein“, habe ich in diesem Blog-Beitrag paar nützliche Tipps zusammengetragen.
Auf individuellen Lösungen fokussieren
Was aber kann die Einzelne tun, wenn sie mit Vorurteilen wie „Die kann doch gar nicht führen“ oder auch „Die will doch keine Führungsposition“ konfrontiert wird – egal, ob ausgesprochen oder unausgesprochen.
Bevor wir dazu kommen, möchte ich von einem Beispiel aus meinem Coaching-Alltag erzählen. Meine Klientin, nennen wir sie Sabine, war in einem Meeting der Geschäftsführung die einzige Frau. Ein Kollege, ich nenne ihn Stefan, unterbrach sie permanent und schrie sie irgendwann fast an: „Kannst du nicht endlich mal die Klappe halten!“ Sabine und alle anderen Männer waren so überrascht, dass sie kommentarlos weitergearbeitet haben. Später riefen sie vier Kollegen an. Das Verhalten von Stefan sei nicht okay gewesen. Der wurde zum Chef zitiert, der ihm deutlich die Meinung sagte.
Nicht immer gibt es solche Kollegen oder einen Chef, die zumindest im Nachhinein die Dinge klarstellen. Das heißt aber nicht, dass Frauen Vorurteilen, die zu einem Verhalten wie dem von Stefan führen, hilflos ausgeliefert sind. Ich empfehle ein „Sich-Wehren“ in drei Schritten.
Schritt 1: Vorurteile bewusst machen
Der erste und enorm wichtige Schritt: sich bewusst machen, dass es sich um Vorurteile handelt und keineswegs um die Realität. Klingt simpel, ist es jedoch leider nicht. Wir hängen oft mehr an Rollenbildern, als wir uns das eingestehen, wir halten Sachen für normal und gerechtfertigt, die das absolut nicht sind. Davon nehme ich mich selbst gar nicht aus. Inzwischen habe ich dazugelernt, doch als junge Frau tappte ich in dieselben Fallen, von denen sich heute immer noch viele fangen lassen. Ich erinnere mich an ein Meeting, in dem ich als zu emotional bezeichnet wurde – verbunden mit der impliziten Behauptung, damit würde ich keine ernst zu nehmende Gesprächspartnerin sein. Und was tat ich? Ich nahm das hin! – Andere Frauen berichten mir davon, dass sie wie selbstverständlich geschickt werden, um Kaffee zu holen oder den Geschirrspüler einzuräumen.
Werdende Mütter bekommen Sätze zu hören wie „Du hast ja bald deinen Fokus daheim“. Solche, die nach der Karenz zurückkommen, müssen sich anhören, dass sie ja gar kein Kind hätten bekommen sollen, wenn sie nach einem Jahr schon wieder arbeiten gingen. All das ist nicht harmlos, es sind Stereotype – und als solche müssen wir sie uns bewusst machen. Damit legen wir die Basis dafür, uns diese Einschätzungen und das Abdrängen in angeblich typisch weibliche Aufgabenbereiche nicht gefallen zu lassen.
Schritt 2: Auf den eigenen Einflussbereich konzentrieren
Nächster Schritt ist die Konzentration auf den schon erwähnten eigenen Einflussbereich, den Circle of Influence. Dazu sage ich mir selbst und meinen Klienten stets: „Du kannst die anderen nicht ändern, sondern nur deine Reaktion auf sie.“
Statt sich über Verurteilungen und Abqualifizieren zu ärgern, ist es viel besser, sich zu überlegen, wie eine sinnvolle und authentische Antwort aussehen könnte. Zugegebenermaßen gelingt auch mir nicht immer eine spontane schlagfertige Entgegnung. Manchmal bin ich so fassungslos über das, was mir so „hingeworfen“ wird, dass ich im ersten Moment verstumme.
Um aus solchen Situationen wenigstens etwas gelernt zu haben und meine Reaktionsfähigkeit bei einer Neuauflage zu verbessern, mache ich nach so einem Vorfall eine Art „Trockentraining“. Ich reflektiere darüber, was geschehen ist, und versuche auch das Gegenüber zu verstehen.
In der Regel ist ja nicht Bösartigkeit die Ursache für Vorurteile, sondern viele Menschen haben einen „blinden Fleck“. Weil manches immer so gemacht wurde, wiederholen sie es, ohne es weiter zu analysieren.
Wissenschaftler unterscheiden in dem Zusammenhang zwischen Stereotypen, mit denen wir die Welt ordnen, und Vorurteilen, welche als Ablehnung oder Abwertung daher kommen. Wenn es um Letztere geht, lassen sich diese häufig auf den Mythos von der Frau als geborene Mutter zurückführen.
So etwas steckte vielleicht dahinter, als mir einmal jemand sagte: „Diesen Auftrag können wir Ihnen nicht geben. Bei unseren Partnern werden nur Männer akzeptiert.” Ich war wie vor den Kopf geschlagen und nicht in der Lage, gleich zu antworten.
Deshalb wie gesagt das Trockentraining. In dem kam ich schließlich zu zwei Fragen: „Ist Ihnen bewusst, dass es sich hierbei um ein Vorurteil handelt?“ oder „Wieso werden bei Ihnen im Unternehmen Frauen als weniger kompetent wahrgenommen als Männer?“ – Sofern mir noch einmal jemand einen Auftrag nicht erteilen will, weil ich eine Frau bin, weiß ich nun, was ich darauf sagen werde.
Schritt 3: Authentisch reagieren
Wichtig ist vor allem eine Antwort, die für einen selbst passt und die stimmig ist. Manche Menschen stellen Gegenfragen, manche sprechen das Thema direkt an und wiederum andere wollen erst am nächsten Tag einen Kommentar dazu abgeben. Alles das ist okay, solange es sich richtig anfühlt. Schlecht ist es lediglich, kleinbeizugeben, Vorurteile unwidersprochen hinzunehmen – und ihnen damit in gewisser Weise zuzustimmen. Sofern man das vermeidet, ist die Bandbreite authentischer Reaktionen groß, was die Vielfalt der Individuen widerspiegelt.
In meinem Buch „Kind und Karriere“ habe ich einige der Optionen für bestimmte Vorurteile beziehungsweise Sätze, hinter denen Vorurteile stehen, aufgezeigt. Es sind einige darunter, die wohl den meisten Frauen nicht sofort einfallen. Umso wichtiger ist es, sich darin zu üben – und vielleicht auch mit anderen Frauen oder auch aufgeschlossenen Männern – darüber zu diskutieren. Eines der Beispiele bezieht sich auf eine Frage, die ich in diesem Artikel schon erwähnt habe, und die Mütter ziemlich häufig gestellt wird: „Wieso bekommst du ein Kind, wenn du nach einem Jahr schon wieder arbeiten gehst?“ Hierzu habe ich eine Umfrage auf LinkedIn gemacht. Einige der Vorschläge für eine Antwort:
- Wieso nicht?
- Weil ich es kann.
- Weil ich mich weiterentwickeln und meine Kenntnisse weitergeben möchte.
- Weil mir zuhause fad ist.
- Würdest du das einen Vater auch fragen?
- Echt jetzt? Das ist aber schon ein eher steinzeitliches Denken!
- Der Witz ist gut, den werde ich gleich meinen Kolleginnen erzählen.
- Weil ich nicht von meinem Mann abhängig sein möchte.
Wer solche coolen Antworten noch nicht drauf hat, der kann sich wie gesagt darin üben.
Vier konkrete Tipps mit Vorurteilen umzugehen
1. Weg vom Ärger
Gelingt keine wirklich spontane Antwort, die Ärger gar nicht erst aufkommen lässt, ist es meist hilfreicher, erst dann zu reagieren, wenn die erste Wut verraucht ist. Allerdings solltest du damit auch nicht zu lange warten, denn dann arbeitet es in dir, wirst du immer unzufriedener und der Ärger staut sich auf – kennen wir alle ;-).
2. Suche eine Lösung, die für dich passt
Reagiere authentisch, denn das ist es, was die Menschen berührt und zum Nachdenken bringt. Mein Rezept dafür ist häufig, dass ich mehre Menschen nach ihrer Meinung frage – nach dem Motto: „Wie würdest du reagieren?“ Damit habe ich verschiedene Perspektiven, die ich analysiere und so die für mich optimale Reaktion finde.
3. Gespräch mit Vorgesetzter oder Vorgesetztem suchen
Wenn das Vorurteil im Unternehmen öfter vorkommt, sprich mit deiner Vorgesetztem oder deinem Vorgesetzen oder HR. Schlage eventuell einen Workshop zu Unconscius Bias vor – eine geniale Methode, um unbewussten Vorurteilen auf die Spur zu kommen.
4. Üben, üben, üben
Sei nett zu dir und sieh alle möglichen Reaktionen auf Vorurteile als Erfahrung und Hilfe bei der persönlichen Weiterentwicklung. Ich habe inzwischen eine große Sammlung an Antworten auf stereotype Zuschreibungen wie „Frauen sind keine Leader“ oder „Mütter sollten bei ihren Kindern bleiben“ in petto. Eine Freundin hat mir zu diesem Thema einmal gesagt, sie würde stets nur mit „AHA“ in verschiedenen Tonlagen antworten. Dieses kurze Wort hat sie immer parat.
Entscheidend ist es meiner Überzeugung nach, aus der Opferrolle herauszufinden und reinzukommen in die Gestaltung – des eigenen Lebens, der eigenen Karriere und des eigenen Standings im Unternehmen.
Frauen in Führung sind keine Aliens, sondern Unicorns. Ich rate ihnen, sich untereinander auszutauschen – und auch Männer ins Boot holen und sie darauf hinzuweisen, dass sie gegenüber ihren Peers deren Vorurteile durchaus ansprechen könnten. Dann gibt es eine gute Chance, die nach und nach abzubauen – und der Gleichstellung der Geschlechter einen neuen Schub zu verleihen.
Über die Autorin
Maren Wölfls Herz schlägt für Female Empowerment, Motherhood & Leadership. Als Business Coach, Inspirational Expert und TEDx Speaker macht sie sich seit vielen Jahren für das Thema Frauen in Führungspositionen stark. Ihr Buch-Erstling „Kind und Karriere – es geht beides!“ ist Anfang 2023 im Springer Verlag erschienen.