Als 1983 mit Sally Ride die erste US-amerikanische Astronautin im Space Shuttle Challenger ins All flog, passierten gleich mehrere Dinge: Ride setzte sich gegen eine große Anzahl männlicher Mitbewerber durch. Im Weltraum steuerte sie während der als STS-7 bekannten Mission den von ihr mitentwickelten Roboterarm, mit dem sie erfolgreich mehrere Satelliten außerhalb der Raumkapsel platzieren und nach Experimenten wieder einsammeln sollte. Und: Die NASA gab ihr für ihren sechstägigen Aufenthalt 100 Tampons mit – mit der Frage, ob das auch reiche.
Männlicher Weltraum
Der Raketenwissenschaftler. Der Weltraumforscher. Der be-mannte Flug. Die Raumfahrt ist bis heute sehr männlich geprägt. Nur 12 Prozent aller Astronaut:innen, also all jener, deren sprichwörtlicher Horizont nicht bloß der irdische ist, sind weiblich. Tendenz: steigend. Aber: Es zieht sich. Im gemeinsam von der TU Graz und der Karl Franzens Universität in Graz angebotenen Masterstudium in Space Science sind nur 25 Prozent der jährlichen Absolventen Frauen. Dass der Anteil so gering ausfällt, liegt laut Koordinator Thomas Schweitzer bereits an der geringen Anzahl weiblicher Absolventinnen in Bachelorstudiengängen wie Physik, auf denen das Masterstudium aufbaut. Es gibt keine Programme, die dies ändern könnten. Noch nicht. Denn eine Frau hat sich in den Kopf gesetzt, dieses Ungleichgewicht aufzubrechen. Dabei war sie noch nie in ihrem Leben in Graz.
Frischer Wind aus Israel
Als Shimrit Mamans schwarzes Auto anhält, ist es bedeckt von rotem Staub. Der Löss der Negevwüste ist in Beer Sheva, Israel, allgegenwärtig. Der Rest an der Ben Gurion Universität (BGU), durch die Maman jetzt führt, ist alles andere als eingestaubt. Moderne Gebäude, offene Mindsets, und mitten unter ihnen eine Frau, die am Earth and Planetary Image Facility Institute eine Welt für Frauen und Mädchen in der Raumforschung geschaffen hat. Mit She Space hat die Satellitenforscherin Shimrit Maman 2017 begonnen, Mädchen im Alter zwischen 9 und 18 Jahren spielerisch für die Weltraumforschung zu begeistern und ihnen den Weg in die Wissenschaft zu ebnen. Mamans Ansatz ist missionsgetrieben, Technik allein sei kein ausreichender Pull-Faktor, sagt sie: „Ich frage die Mädchen nicht ‚willst du lernen, einen Satelliten zu steuern?‘. Sondern ‚Willst du etwas gegen den Klimawandel unternehmen und dafür Satelliten einsetzen‘. Viele Mädchen brauchen ein ‚Warum‘, eine Mission.“ Im Labor lernen sie, die kleinen Satelliten zu bedienen, Daten über den Klimawandel auszuwerten, Papers zu schreiben. Sie halten Präsentationen, wie zuletzt die 17-jährige Noah Yaroker in Wien vor den Vereinten Nationen, in deren Raumfahrtgremien Maman sitzt.
„Mein Ziel ist ein langfristiges. Ob ich es erreiche und die Weltraumforschung weiblicher geworden ist, wird man in zehn Jahren sehen.“
Das Einzige, das bei She Space nie am Stundenplan steht, ist das Thema Geschlechtergerechtigkeit: „Das lehren wir nicht“, sagt Maman. „Ich gehe mit meinen Mitarbeiterinnen mit gutem Beispiel voran und zeige den Mädchen, dass es normal ist, auch als Wissenschaftlerin schwanger zu werden, eine Familie zu gründen und danach zurück ins Labor zu kommen.“ Die Atmosphäre in Mamans Labor ist bemerkenswert: Die Mädchen werden während des Programms Teil des Teams, haben jederzeit Ansprechpartner:innen auf Augenhöhe, erfahren Rückhalt und Unterstützung. Die Stimmung wirkt gelöst, Neugier und Forschungsdrang bestimmen das Mindset.
She Space ist mittlerweile in zehn Ländern angekommen. Durch regelmäßige Online-Konferenzen und Forschungsreisen lernen die Jungwissenschaftlerinnen einander kennen und gründen schon früh starke internationale Netzwerke. „Mein Ziel ist ein langfristiges. Ob ich es erreiche und die Weltraumforschung weiblicher geworden ist, wird man in zehn Jahren sehen“, sagt Maman. Anhand der Entwicklungsschritte, die die Mädchen innerhalb eines halben Jahres bei She Space machen, sei jedoch bereits ablesbar, dass das Programm fruchtet: „Sie kommen als schüchterne Mädchen. Und Sie gehen als selbstbewusste, kompetente und gut vernetzte junge Wissenschaftlerinnen. Von Togo bis in die Schweiz.“
Raumfahrt braucht politisches Commitment
Das Erfolgsprojekt aus Israel soll bald auch in Graz landen. Denn She Space expandiert. Dass Frauen in der Forschung immer noch als Überraschung angesehen werden, müsse sich ändern, sagt Hannes Mayer vom Kompetenzzentrum für Weltraumrecht der Universität Graz. Er soll die Implementierung von She Space in Graz koordinieren. „Frauen sind vor allem in der Außenkommunikation über Wissenschaft unterrepräsentiert. Das kann auf Studentinnen abschreckend wirken. Weil sie denken, dass sie dadurch eine Pionierrolle einnehmen müssen.“ Nicht alle wollen das. Aber müssen sie das? Jein, sagt dazu Claudia Kessler, langjährige Expertin in der Weltraumindustrie. 2009 gründete Kessler „Die Astronautin“, eine Initiative aus Deutschland, die mehr Frauen in der Weltraumforschung und die erste deutsche Frau auf dem Mond sehen will.
„Man muss laut und sichtbar werden, darf nicht warten, bis man gefragt wird. Das verlangt viel Eigeninitiative und das richtige Netzwerk.“
Frauen brauchen in Technik und Forschung großes Selbstvertrauen und Durchsetzungsstärke, um sich Gehör zu verschaffen, sagt Kessler: „Man muss laut und sichtbar werden, darf nicht warten, bis man gefragt wird. Das verlangt viel Eigeninitiative und das richtige Netzwerk.“ Schafft man es, in einem zehnköpfigen Team drei Frauen unterzubringen, ändere dies die Dynamik signifikant, so Kessler: „Wenn das nicht geht, müssen sie sich anderswo weibliche Verbündete suchen. Und wenn das nichts wird, dann eben männliche Verbündete oder Mentoren, die sich für sie einsetzen!“
Für die erste deutsche Frau im Weltraum sieht die Unternehmerin in absehbarer Zeit schwarz. Die NASA hat bereits ihr Team für den Flug zum Mond im Zuge der Mission Artemis zusammengestellt: drei Männer, eine Frau. Die europäische ESA ziert sich noch. Im Kräfteverhältnis zwischen den USA und Europa steht es zurzeit zehn zu eins: „Auf zehn NASA-Astronauten kommt nur eine Person aus Europa. Dass diese weiblich und deutsch sein wird, ist sehr unwahrscheinlich“, sagt Kessler. Auch die Politik ist gefragt. Will Österreich, dass die Kärntnerin Carmen Possnig (derzeit Reserveastronautin der ESA) ins All fliegt, müsste zuerst die österreichische Agentur für Luft- und Raumfahrt Commitment zeigen und somit auch die Finanzierung für Possnigs Training zur Verfügung stellen. Hoffnung setzt Kessler in die kommerzielle Raumfahrt, die mit den alten verstaubten Strukturen eingesessener Institutionen aufräumt. Startups aus dem Bereich Space Technology haben öfter Frauen im (Führungs-) Team.
Mond, Mars und Mehrzweckräume
Dass frau nicht immer selbst auf den Mond fliegen muss, um aktiv an der Raumfahrt beteiligt zu sein, zeigen zwei Wienerinnen: Barbara Imhof und Waltraut Hoheneder führen das Unternehmen LIQUIFER. Sie sind Weltraumarchitektinnen und designen Wohnstätten im All. Wie jene in der geplanten Raumstation Gateway in der Umlaufbahn des Mondes, die später auch Ausgangspunkt für bemannte Marsmissionen werden soll. In der Schwerelosigkeit ist besonders viel Kreativität gefragt, wenn es ums Wohnen geht: „Der natürliche Zustand in einer Raumstation ist das Schweben, die Bewegung. Nicht die Ruhe, wie auf der Erde“, sagt Imhof. Das bedeutet: Viele Griffe und Fußrasten, damit die Astronaut:innen nicht davonfliegen und beim Arbeiten die Hände frei haben. Noch dazu ist der Platz beengt, muss aber trotzdem Raum für Rückzug, sozialen Austausch, Arbeit, gemeinsames Essen und einige andere menschliche Bedürfnisse bieten, die sich im Alltag auftun. Geschlafen wird in schwebenden Schlafsäcken, die Schlafkojen können während der Arbeitszeit weggefaltet werden.
Imhof ist Mitglied des technischen Kommitees für Space Architecture des American Institute of Aeronautics and Astronautics, spricht auf TED Talks, hatte Lehraufträge und unterrichtete als Gastprofessorin in Kassel. Parallel lief auch immer ihr Job bei LIQUIFER weiter. Dass das beeindruckend sei, wischt Imhof beiseite: „Manchmal kommt es zur totalen Überforderung, dann lernt man damit umzugehen und hat Freude an den verschiedenen Tätigkeiten.“
In der Weltraumindustrie brauche es viel Zeit und Energie, in die richtigen Netzwerke vorzudringen, sagt Imhof. Female Leadership sei immer noch ein Novum, bestätigt auch Hoheneder. Beide Frauen haben an Universitäten unterrichtet und versuchen, schon früh Hemmschwellen zu brechen, indem sie junge Frauen motivieren und ermutigen: „Damit sich Studentinnen trauen, sich für erste Jobs in den Weltraumwissenschaften zu bewerben“, sagt Hoheneder. Das Mindset stehe Frauen vor allem in Europa im Weg, so Imhof: „In den USA haben bereits die Studierenden ein Auftreten, als hätten sie die Welt neu erfunden. Auch das unternehmerische Denken ist viel ausgeprägter. Vielleicht können wir uns davon etwas abschneiden.“ Und vielleicht hilft das ja auch, bald die erste Europäerin auf den Mond zu bringen.