StartBalanceLifestyle & ArtFrau Furchtlos: Wie Loretta Pflaum ihren Wiener Heurigen neu erfunden hat

Frau Furchtlos: Wie Loretta Pflaum ihren Wiener Heurigen neu erfunden hat

Schauspielerin, Regisseurin, Drehbuchautorin und Wirtin in zehnter Generation: Loretta Pflaum brachte frischen Schwung in ihren Wiener Heurigen Schübel-Auer – mit beeindruckendem Mut zur Veränderung.

Es gibt Menschen, die einen sofort in ihren Bann ziehen, die nicht nur erzählen, sondern etwas hinterlassen. Loretta Pflaum ist so ein Mensch. Einer, der dazu inspiriert, sich mehr auszuprobieren. Einer, dessen biografische Kurven daran erinnern, dass das Leben nie schnurgerade verläuft und wir vor allem an den Richtungswechseln wachsen.

Für Loretta Pflaum tat sich vor zwölf Jahren ein solcher auf: Sie war in der Filmbranche erfolgreich, hatte unter anderem eine Rolle beim Tatort, pendelte zwischen Berlin und Wien – als ihre Schwester die Geschäftsführung des Familienbetriebs, des Heurigen Schübel-Auer in Nussdorf, niederlegte. Die Zukunft der Gastronomie: fraglich. „Ich war schwanger, fast 40, und plötzlich stand diese Entscheidung im Raum“, erzählt Loretta Pflaum. „Ich hatte nicht mehr nur mein eigenes Leben im Blick, sondern musste Verantwortung übernehmen.“ Gemeinsam mit ihrer langjährigen Freundin, Schauspielkollegin und nun Geschäftspartnerin Antje Hochholdinger entscheidet sie sich für die neue, ungewisse Route.

Eine ganz neue Rolle

Seit 1711 ist der Heurige Schübel-Auer im Besitz ihrer Familie, sich selbst hat Loretta Pflaum allerdings nie als geborene Wirtin betrachtet. „Für mich wäre wahrscheinlich alles, was intellektueller ist, einfacher gewesen. Denn ich war ein extrem schüchternes Kind“, sagt sie. Weil sie aber schon früh erkannt habe, dass die größten Herausforderungen oft die wertvollsten sind, entschied sie sich für die Schauspielerei.

Und diese Vielseitigkeit begleitet sie bis heute. „Ich konnte mich nie für einen einzigen Weg entscheiden. Heute sehe ich, dass diese Flexibilität mir geholfen hat, den Heurigen völlig neu zu denken“, meint sie. Zunächst modernisiert sie das historische Ambiente mit viel Fingerspitzengefühl. „Wenn ich mir vorstelle, dass Shakespeare kurz vor der Erbauung dieses Hauses gestorben ist, wird mir bewusst, in welcher historischen Dimension wir uns hier befinden“, schwärmt sie.

Der „Auerhof“ wurde 1642 erbaut, bevor er 1711 in den Besitz der Familie überging.

Der Gastraum etwa, ein altes Winzerhaus im Bauernbarock-Stil, ist bis heute original erhalten. Aber sie habe Rüschenvorhänge entfernt und die jahrhundertealten Räumlichkeiten minimalistischer gehalten, so Loretta Pflaum. „Das Gefühl, dass ein Heuriger ein Ort für Begegnungen ist, ein Ort, an dem sich Gäste wie im Wohnzimmer einer Winzerfamilie fühlen, das ist geblieben“, betont sie.

Nach einem halben Jahr dann die Hiobsbotschaft: „Unser Steuerberater erklärte uns den Unterschied zwischen Insolvenz und Konkurs – weil eins von beidem wohl auf uns zukam“, erinnert sie sich. Sie wandelte den Betrieb in einen reinen Saisonheurigen um – eine radikale, aber die beste Entscheidung, sagt die Wienerin überzeugt.

Darüber hinaus erweist sich das bestehende Team als Hürde. „Eine alteingesessene Gruppe Mitarbeitende, fast ausschließlich Männer, hat uns blockiert“, erinnert sich Pflaum. Die Gruppe muss letztlich einem jungen, dynamischen Team weichen, das die neuen Strukturen mitgestaltet. „Das, was mich am meisten freut, ist, dass unsere Leute gerne hier arbeiten. Ein Team, das sich wohlfühlt, macht auch den Heurigen zu einem besseren Ort“, ist sie überzeugt.

Einer der beiden barocken Gasträume. Als Heuriger wird übrigens ein traditionelles Wiener Wirtshaus bezeichnet, in dem Winzer ihren eigenen (heuriger = diesjähriger) Wein ausschenken. Es gibt regionale Spezialitäten, oft ein Buffet mit kalten und warmen Speisen und eine gesellige Atmosphäre mit gemütlichem Gastgarten.

Frische Ideen, neue Gäste

Ein Ort, der in der konservativ geprägten Wiener Heurigenkultur außerdem ein starkes Zeichen für Offenheit und Vielfalt setzt. „Die Stammgäste waren früher jenseits der 80, von Tag zu Tag kamen weniger“, erzählt Pflaum. Um ein jüngeres Publikum anzusprechen, entwickelt sie unkonventionelle Konzepte, darunter kleine Symposien, bei denen Menschen in lockerer Atmosphäre essen und diskutieren können.

Zudem engagiert sich der Schübel Auer in sozialen Projekten, etwa bei Lernangeboten für Flüchtlinge. „Ein Heuriger ist wie ein Kaffeehaus – er muss offen für alle sein. Wien lebt von Vielfalt, und das soll sich auch hier widerspiegeln“, so die Gastronomin. Und: neben Firmenfesten richten Loretta Pflaum und ihr Team mittlerweile auch Hochzeiten aus. „Vintage-Hochzeiten sind total angesagt, und unser Heuriger ist die perfekte Location“, kommentiert die Chefin.

Die Neuausrichtung betrifft natürlich auch das Speisenangebot. Zentraler Punkt: der bewusste Umgang mit Lebensmitteln, insbesondere mit Fleisch. „Früher gab es den Sonntagsbraten. Fleisch war etwas Besonderes. Heute essen viele dreimal täglich Fleisch, das ist weder nachhaltig noch gesund“, sagt Loretta Pflaum. Daher wird Fleisch im Schübel-Auer als „feierliches Luxusprodukt“ betrachtet, etwas, das bewusst genossen werden soll. „Zudem haben wir ein rein vegetarisches Buffet ins Eventportfolio aufgenommen – und dachten erst, das wird kaum jemand nehmen. Tatsächlich wurde es das meistverkaufte Buffet des Jahres“, freut sie sich.

Geblieben ist der Anspruch, hausgemachte Gerichte mit regionalen Zutaten anzubieten. „Unsere Knödel kommen nicht aus der Tiefkühltruhe, wir öffnen keine Dosen – wir kochen noch. Das ist heute nicht mehr selbstverständlich“, betont Pflaum. Und weiter: „Wir wollen, dass unsere Gäste nicht nur satt werden, sondern glücklich nach Hause gehen – mit dem Wissen, dass sie mit Genuss auch etwas Gutes für die Umwelt getan haben.“ Dieser Ansatz ist so vorbildlich wie aufwendig. „Wir kämpfen oft mit absurden Vorschriften: Green Meetings verbieten Papierservietten, aber das Marktamt fordert sie. Nachhaltigkeit ist in der Gastro ein Bürokratiemonster“, sagt Pflaum.

Die wunderschönen Außenanlagen (hier mit Hochzeitsdeko) des Schübel-Auer.

Eine echte Heldinnengeschichte

Für Loretta Pflaum ist der Erfolg des Schübel-Auer nicht nur das Ergebnis mutiger Entscheidungen, sondern auch auf „seine“ starken Frauen zurückzuführen: „Meine Familie führt den Betrieb seit zehn Generationen, und oft waren es Frauen, die ihn weitergegeben haben“, erzählt sie stolz. Und ergänzt: „Sie haben nicht nur die Tradition des Heurigen bewahrt, sondern auch seine Führung nachhaltig geprägt.

Ich glaube, dass man als Unternehmerin eine andere Perspektive hat. Natürlich ist
der Gast das Wichtigste, aber gleichzeitig denkt man weiter – an das Wohl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, an die nächste Generation, an Nachhaltigkeit statt kurzfristigem Gewinn.“ Das Porträt ihrer Mutter Elisabeth Pflaum ziert übrigens das Logo des Heurigen. „Das passt für mich perfekt, weil sie den Schübel-Auer mit so viel Hingabe geführt hat. Sie wusste genau, wie man Menschen zusammenbringt und einen Raum gestaltet, der sich warm und einladend anfühlt“, sagt Loretta Pflaum.

Ob sie sich wünscht, dass ihre Tochter die Gastronomie mal übernimmt? „Das soll ihre Entscheidung sein. Aber ich will ihr etwas übergeben, das ihr Möglichkeiten bietet“, sagt sie. Und antwortet auf die Frage, ob wirtschaftlich auch ein Verkauf verlockend sein könnte: „Dann müsste man nie wieder arbeiten. Aber dieser Heurige ist etwas Besonderes. Ein sozialer Ort, ein Stück Geschichte. Das zu bewahren, ist ein Luxus, den ich mir leiste.“

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