StartBusinessKarriereForever Young?

Forever Young?

Eine Nation, deren Volkssport „Frühpensionitis“ das System zu kippen droht, eine 60-Jährige, die arbeiten will, aber nicht soll, und immer wieder Nordeuropa, auf das für Best-Practice-Beispiele geschielt wird. Quo vadis, Pensionssystem?

Ich will arbeiten. die Kinder sind aus dem Haus, ich hab‘ endlich die Zeit und Energie, 40 Stunden oder mehr zu arbeiten, ich bin fit wie ein Turnschuh. Aber am Arbeitsmarkt bin ich unsichtbar.“ Karin Kuna ist Jahrgang 1962. Was sie beschreibt, ist vielen Menschen ein Begriff: Altersdiskriminierung am Arbeitsplatz. Dabei ächzt das Land unter Fachkräftemangel und einer hohen Rate an Frühpensionist*innen: Mit einem
Durchschnittsalter von 62 gehen österreichische Männer heute um drei Jahre vor dem gesetzlichen Antrittsalter in Pension, Frauen arbeiten 0,7 Jahre länger als vorgeschrieben, also bis knapp 61.

Die jährlichen Pensionierungen kletterten von 85.000 im Jahr 2016 auf über 113.000 im Jahr 2020, 70 Prozent aller Österreicher*innen gehen in Frühpension. Dem gegenüber steht die „Altersinflation“: Seit Ende der 70er-Jahre stieg die Lebenserwartung um durchschnittlich zehn Jahre. Menschen werden nicht nur älter, sie sind im Schnitt auch länger gesund. Das Problem ist nur – am Arbeitsmarkt tun sich Ältere immer noch schwer.

Wenn das System hinkt

Johannes Kopf, Vorstandvorsitzender des AMS Österreich

Im Oktober gelangte eine AMS-Studie zum Thema Altersdiskriminierung in die Medien: Bei zwölf Prozent der Bewerbungen kam es zu einer Ungleichbehandlung aufgrund des Alters, 45 Prozent der Bewerbungen älterer Menschen wurden nicht beantwortet. Johannes Kopf, Vorstandsvorsitzender des AMS Österreich, appellierte an Unternehmen, die Potenziale der Bewerber*innen zu nutzen und die eigene Vorgehensweise bei Bewerbungsprozessen zu reflektieren.

Petra Draxl, Vorstandsmitglied des AMS Österreich

 

Petra Draxl, Vorstandsmitglied des AMS Österreich, schlägt ähnliche Töne an und will, dass Unternehmen „alle vorhandenen Potenziale erkennen und heben.“ Allein – die Rechnung geht nicht auf. Auch auf Seiten des AMS. Als sich Marketingkonzepterin Karin Kuna beim AMS meldet, nachdem sie mit 60 von einer Werbeagentur gekündigt wurde, erhielt sie die Antwort, dass ihr aufgrund ihres Alters kein Arbeitslosengeld mehr zustünde und ihr Anliegen somit in die Zuständigkeit der PVA (Pensionsversicherungsanstalt) falle. Auf ihre Rückmeldung mit Ansuchen um einen Termin und der Klarstellung, dass sie Arbeit finden wolle, kam nie eine Antwort. Keine Aufnahme in die Kartei, keine Vermittlungsversuche.

Ein Interview mit Vorstandsbüroleiter Dr. Marius Wilk ergab: Zwar könne aufgrund des erreichten Pensionsalters kein Arbeitslosengeld mehr ausbezahlt werden – Vermittlungen seien jedoch unabhängig vom Alter jederzeit möglich. Kuna sieht das anders: „Ich wurde quasi zwangspensioniert.“

Zuckerbrot und Peitsche

Um Menschen länger im Erwerbsprozess zu halten, gibt es zwei Möglichkeiten: Gesetze und Anreize. Steigt das gesetzliche Pensionsantrittsalter, steigt auch das tatsächliche Antrittsalter der arbeitenden Bevölkerung, wie eine OECD-Studie zeigt. Eine Frühpensionierung bringt Abstriche bei der monatlichen Rente. Anreize wiederum können breit gedacht werden.

Das AMS übernimmt in Einzelfällen in den Anfangsmonaten bis zu zwei Drittel des Bruttogehalts, wenn Unternehmen ältere Langzeitarbeitslose einstellen. Expert*innen fordern zudem immer wieder Erleichterungen für Pensionist*innen, die sich etwas dazuverdienen. Gerade wurde von der Regierung eine Zuverdienstgrenze von 1.000 Euro monatlich für Pensionist*innen festgesetzt, bis zu der sie keine Pensionsversicherungsbeiträge entrichten müssen.

Zudem soll auch die Pension der Betroffenen steigen. Marius Wilk vom AMS will sich nicht festlegen, wie viel so eine Änderung bringen könnte, begrüßt aber den Vorstoß in diese Richtung. Ein Modell aus den USA zeigt einen weiteren Weg auf: Beim
Senior Internship verdienen sich Pensionist*innen als freie Dienstnehmer*innen etwas dazu. Steuerschonend und unkompliziert. „Dazu haben wir bei uns in Deutschland und Österreich noch nicht die richtige Mentalität. Der Selbstständigkeit werden eher Steine in den Weg gelegt, als dass man sie fördert“, gibt Irène Kilubi, Gründerin der Initiative Joint Generations, zu bedenken.

Irene Kilubi, Expertin und Beraterin für Diversity und Corporate Branding Ihr Buch „Ich bin mehr als eine Zahl. Warum das Alter keine Rolle spielt.“ erscheint im Frühjahr 2024

Kilubi setzt sich unter dem Credo „Zukunft ist Jung und Alt“ für eine bessere Zusammenarbeit zwischen jüngeren und älteren Arbeitnehmer*innen ein. Auch das in den USA verbreite Berufsbild der Demografie-Beauftragen sieht sie in Europa noch nicht angekommen, obwohl sie Generationsmanagement als „alternativlos“ ansieht. Zumal in Deutschland in den kommenden Jahren allein im öffentlichen Sektor 700.000 Stellen nachzubesetzen sind.

Musterbeispiel Nordeuropa

Der Prozentsatz jener Menschen, die im Alter von 55+ noch im Erwerbsprozess sind, divergiert in Europa gewaltig. Spitzenreiter ist Island mit über 82 Prozent, gefolgt von Schweden (77 %), Norwegen (74 %), Estland (74 %) und Deutschland (73 %). Österreicher*innen hingegen gehen mit über 55 Jahren eher ungern arbeiten: Nur 56 Prozent, also etwas mehr als die Hälfte aller Österreicher*innen sind im Alter von 55 oder älter noch im Erwerbsprozess. Nur osteuropäische Staaten sowie Griechenland und Italien schneiden noch schlechter ab. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass in der Kohorte 55+ nordischen Ländern ein Viertel bis ein Drittel mehr Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Wie schafft man das?

Flexible Selbstverantwortung

In Skandinavien bedeutet das Erreichen des Mindestalters nicht automatisch, dass Arbeitskräfte in den Ruhestand gehen. So gibt es in Schweden eine Spanne von rund acht Jahren, in der Menschen frei entscheiden können, wann sie in Rente gehen. Karin Kuna hätte sich so eine Regelung gewünscht: „Ich will noch gute fünf Jahre arbeiten. Ich will selbst Steuern zahlen und nicht den Jungen auf der Tasche liegen.“

Schweden geht in puncto Selbstverantwortung noch einen Schritt weiter: Arbeitnehmer*innen veranlagen einen Teil ihrer avisierten Pension selbst. Ab einem gewissen Alter flattert jährlich ein Brief in den Postkasten, mit der Performance des Pensionsportfolios und Angaben zu finanziellen Konsequenzen von früherem oder späterem Pensionsantritt. Das schafft mehr Bewusstsein, erlaubt Betroffenen eine bessere Planung und macht deutlich, dass die Pensionierung nicht automatisch erfolgen muss, wenn ein Stichtag erreicht ist.

Mehr als Sauna

Katrin Hintermeier, Expertin für Generationsthemen am Arbeitsplatz und Managerin im Bereich Social Innovation bei Deloitte Österreich

Katrin Hintermeier, Generationsexpertin beim Unternehmensberater Deloitte, ortet fehlende strukturelle Verankerung des Pensionsübergangs in Unternehmen. Pensionierungen sollen „in einem klaren, sachlichen und wertschätzenden Prozess“ besprochen werden. Auch längere Beschäftigung sollte hier aufs Tapet, sagt Hintermeier.

In skandinavischen Ländern wird indes auch unternehmensinterne Mobilität groß geschrieben: In Finnland gehört zum Generationsmanagement, ältere Arbeitskräfte auch intern andere Jobs ausführen zu lassen, die mit ihren gesundheitlichen Voraussetzungen besser zusammenpassen. Leuchtturmprojekte wie jenes der Stadtverwaltung von Naantali im Südwesten Finnlands ermöglichen präventive Gesundheitschecks und Bewegungsprogramme am Arbeitsplatz. Ein Drittel der Beschäftigten ist über 55, die Hälfte von ihnen nahm Physiotherapie auf Kosten des Arbeitgebers in Anspruch, was Krankenstände massiv reduzierte.

Volkssport Frühpension

Dass diese Maßnahmen in Skandinavien fruchten, Österreicher*innen und Deutsche hingegen regelrecht auf ihre Rente hinfiebern, hat laut Irène Kilubi zwei konkrete Gründe: Die vorherrschende Obrigkeitshörigkeit und eine geringe psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz. Diese gibt an, wie wohl sich Menschen damit fühlen, im Job Ideen vorzubringen, Feedback zu geben oder sich generell einzubringen. Sie nimmt außerdem maßgeblich Einfluss auf die emotionale Verbundenheit mit dem Arbeitgeber – und diese liegt in Österreich und Deutschland mit zehn beziehungsweise 13 Prozent auf einem Rekordtief, wie eine aktuelle Gallup-Studie zeigt.

Kilubi sieht skandinavische Länder da weit voraus: „Dort gibt es eine andere Fehlerkultur, man arbeitet auch hierarchieübergreifend eher auf Augenhöhe, Arbeitgeber*innen sind mehr an der Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter*innen interessiert. Wir hingegen sind Meister im Umfragen machen – und die landen dann in der Schublade.“ Auch Generationsexpertin Hintermeier sieht Kultur und Führung in der Verantwortung: „Der Hauptgrund für Frühpensionen in Österreich sind psychische Belastungen. Führungskräfte haben hier einen entscheidenden Hebel durch das Arbeitsklima, das sie schaffen. Auch lebenslanges Lernen sollte während der gesamten Berufslaufbahn gewährleistet sein.“

Modelle wie Altersteilzeit können einen starken Einfluss auf längeren Verbleib im Arbeitsprozess haben. In den Niederlanden sind 73 Prozent aller Menschen ab 55 beruflich aktiv – mehr als die Hälfte davon in Teilzeit. Der Weg in eine altersgerechte Arbeitswelt ist also gepflastert von Positiv- und Negativbeispielen, an denen sich auch die österreichische und deutsche Politik und Wirtschaft orientieren können. Es bleibt zu hoffen, dass sie damit nicht auf einen Stichtag in ferner Zukunft warten.


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