StartBusinessKarriereWürde und Bürde

Würde und Bürde

Von der Wiener Stadt- und Landespolitik zu einem Spitzenjob bei einem börsennotierten Medizintechnik-Hersteller: Sonja Wehsely hat diese Chance jenseits der 45 Jahre ergriffen. Wie es gelingt, mit Tempo neue Kompetenzen aufzubauen – und warum Frauen Angebote nutzen sollen, sobald sie kommen.

Während andere Frauen jenseits der 40 hoffen, bis zur Pension in ihrem Job bleiben zu können, sind Sie mit über 45 von der Politik in die Privatwirtschaft gewechselt. Ein Sprung ins kalte Wasser?

Sonja Wehsely Durchaus. Ich war 47 Jahre alt, als ich bei Siemens Healthineers in Deutschland begonnen habe. Das war damals auch ein großer Schritt aus meiner Komfortzone. Doch nach meiner Zeit als Gesundheitspolitikerin in Wien war es zumindest inhaltlich keine überraschende Herausforderung. Ich bin zu einem Unternehmen gewechselt, das internationaler nicht sein könnte, und habe meine ersten drei Jahre im Headquarter in Erlangen verbracht, bevor ich 2020 nach Wien zurückgegangen bin. In Deutschland kannte ich kaum jemanden, ich hatte kein Netzwerk. Es war also definitiv ein Sprung ins kalte Wasser. Und ich bin losgeschwommen.

Auch wenn Sie politische Erfahrung im Gesundheitsbereich hatten – wie konnten Sie sich schnell das notwendige neue Fachwissen aneignen?

S. W. Gerade das politische Handwerk, das ich mir in mehr als 20 Jahren in der Spitzenpolitik angeeignet habe, ist auch in der Privatwirtschaft – besonders beim Führen von größeren Teams – von großem Wert. Darüber hinaus bin ich eine neugierige Person, die gerne in Neues eintaucht und dazulernt.

Bei meinem Start habe ich einen neuen Bereich aufgebaut, bei dem der Fokus auf Strategie und Business Development lag. Da ich das österreichische und einige andere europäische Gesundheitssysteme gut kannte, hat sich das gut ergänzt. Ich habe mir rasch Produktwissen angeeignet und ein laienhaftes technisches Wissen. Nun kann ich über Medizinprodukte sprechen, über deren Funktionsweise ich vorher wenig wusste.

„Die Konzernsprache habe ich
in den Griff bekommen und kann Frauen nur raten, sich über diese Hürde zu trauen.“

Die Konzernsprache bei Siemens Healthineers ist Englisch – ging diese Umstellung für Sie ganz locker über die Bühne?

S. W. Ganz ehrlich, das war schon eine Herausforderung zu Beginn. Ich habe in Englisch maturiert und Ende der 1980er zu studieren begonnen, als es kaum fremdsprachige Lehrveranstaltungen gab. Danach habe ich vielleicht drei Mal im Jahr bei Eröffnungen oder Konferenzen Englisch gesprochen – Also habe ich vor dem Jobwechsel einen Monat lang in London intensiv daran gearbeitet, meine Sprachkompetenz in Englisch wieder auf Vordermann zu bringen. Als ich später das erste Mal mit einem Australier gesprochen habe, habe ich trotzdem vieles nicht gleich verstanden.

Doch ich habe es in den Griff bekommen und kann anderen Frauen nur raten, sich über diese vermeintliche Hürde zu trauen. Nach ein paar Monaten sprichwörtlichem „training on the job“ lief es mit der neuen Sprache super.

Hatten Sie – wie etliche Frauen, die vor dem nächsten Karriereschritt stehen – Zweifel, ob Sie für diese Spitzenfunktion die Richtige sind?

S. W. Natürlich, denn mein Wechsel, der mittlerweile bereits mehr als fünf Jahre zurückliegt, war auch mit Unsicherheit behaftet. Ich bin ein Mensch, der gut überlegt, aber es dann zu hundert Prozent durchzieht, wenn er sich entschieden hat. Selbstverständlich gab es Tage und Situationen, die herausfordernd waren. In den ersten drei Wochen im Unternehmen habe ich manches nicht gleich verstanden, allein aufgrund der vielen Abkürzungen und Akronyme, die alle anderen ganz selbstverständlich verwendet haben.

Wie haben Sie diese zweifelnde Stimme in sich zum Schweigen gebracht?

S. W. Nun, ich dachte mir, dass ich ja grundsätzlich begabt und fleißig bin, also wird das schon werden. Und ich habe die Chance darin gesehen, etwas komplett anderes zu beginnen. Außerdem ist mir mein Alter zugutegekommen. Ich kenne das Gefühl des leisen Zweifels. Doch ich bin eine Feministin, die jungen Frauen sagt, dass sie Möglichkeiten ergreifen müssen. Plötzlich war ich an der Reihe, und Zurückziehen kein Thema.

Sie erwähnten, dass Sie sich beim Start in Deutschland auch ein neues Netzwerk aufbauen mussten. Welchen Wert hat denn das Netzwerken für Sie und Ihre Arbeit?

S. W. Schon einen großen, denn es basiert darauf, dass man sich für Menschen interessiert. Siemens Healthineers verfügt über großartige Netzwerke, die über den gesamten Globus verteilt sind. Während Männern zugeschrieben wird, gute Netzwerker zu sein, müssen wir Frauen aktiver sein und uns organisieren. Deshalb habe ich mich auch für die Gründung von „StepUp“ eingesetzt, ein Mentoring-Programm, das auf globaler Ebene engagierte Mitarbeiterinnen, die einander unterstützen, vernetzt – zum Beispiel beim Thema Weiterbildung.

Als Mentorin mache ich im Rahmen des Programms Business Coachings für junge Kolleginnen, die normalerweise wenig Gelegenheit haben, sich mit Senior Managerinnen auf Augenhöhe auszutauschen. Derzeit habe ich fünf Mentees. Das öffnet auch mir völlig neue Perspektiven, und ich lerne dadurch ständig dazu.

„In Teams mit unterschiedlichen Menschen zeigt sich wunderbar, dass Vielfalt der Gegensatz zu Einfalt ist.“

Konnten auch Sie auf Ihrem Karriereweg auf die Solidarität von Frauen setzen?

S. W. Ich jung war, gab es die Begriffe Mentorin oder Mentor im Deutschen so noch nicht. Doch ich hatte das große Glück, zwei, drei Frauen kennengelernt zu haben, die ich heute als Mentorinnen bezeichnen würde. Brigitte Ederer und Grete Laska zum Beispiel. Mit ihnen konnte ich mich auf Augenhöhe austauschen, Rat einholen und auch einmal Schwäche zeigen. Sie waren immer für mich da – mit konstruktiver Kritik und wertvollen Ratschlägen.

Apropos Balance: Sie sind bei Siemens Healthineers auch für Diversity zuständig. Was macht ein gutes Team aus?

S. W. Vielfalt, Chancengleichheit und Inklusion zu fördern sind mir persönlich und dem Unternehmen sehr wichtig. Weil ich es für richtig und wichtig halte und es gleichzeitig unser Geschäft unterstützt. Mein Engagement ist aber auch intrinsisch motiviert, und ich habe aktuell das Vergnügen, das globale Diversity, Equity & Inclusion Board von Siemens Healthineers leiten zu dürfen.

Diversität ist nicht immer easy. In Teams mit unterschiedlichen Menschen, Geschlechtern, Interessen oder Kulturen zeigt sich jedoch wunderbar, dass Vielfalt der Gegensatz zu Einfalt ist.

Leadership hat viel mit Werten zu tun. Ihre Top-Werte in Job und Business?

S. W. Authentizität, zuhören können, Mut zeigen und das tun, was
einen begeistert. Denn wir können nur dort gut sein, wo wir auch Spaß haben.


Zur Person

Sonja Wehsely verantwortet bei Siemens Healthineers, einem weltweit führenden Medizintechnikunternehmen, als Executive Vice President und Managing Director den Geschäftserfolg in 30 Ländern Zentral- und Osteuropas und Zentralasiens. Das Unternehmen mit mehr als 70.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mehr als 20 Milliarden Euro Umsatz und Niederlassungen in mehr als 70 Ländern, punktet mit Internationalität und hoher Innovationskraft.

Siemens Healthineers leistet Pionierarbeit im Gesundheitswesen und entwickelt für jeden Menschen und weltweit nachhaltige Innovationen im Bereich der Gesundheitsversorgung.


 

FotomaterialSebastian Freiler
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