Im Herzen der Republik Moldau liegt Chişinău, eine Stadt voller Kontraste und
Geschichte. Es ist März, doch das Wetter überrascht mit Sonne und frühlingshaften Temperaturen. Überall in der Hauptstadt begegnet man Zeugnissen der sowjetischen Vergangenheit. Die breiten Boulevards sind gesäumt von monumentalen Plattenbauten, die mit ihren strengen, geometrischen Formen und grauen Fassaden an eine vergangene Epoche erinnern. In den Parks stehen noch immer Statuen von sowjetischen Führern, die einen Hauch von Nostalgie und Geschichte versprühen. Das Regierungsgebäude, ein imposanter Betonklotz im sozialistischen Baustil, thront majestätisch über der Stadt und zeugt von den Machtansprüchen früherer Zeiten. Doch zwischen diesen Relikten erblüht neues Leben. Bunte Graffitis und moderne Cafés bringen Farbe und Vitalität in die alten Straßen. Die Mischung aus sowjetischem Charme und modernen Einflüssen schafft ein Stadtbild, das sowohl Tradition als auch Fortschritt widerspiegelt.
Inmitten der Spannungen zwischen Ost und West gelegen, ist Moldau eine Brücke zwischen der Europäischen Union und Russland. Das Land kämpft mit wirtschaftlichen Herausforderungen und wird oft als „das Armenhaus Europas“ bezeichnet. Als eines der ärmsten Länder des Kontinents leidet Moldau unter einer schwachen Wirtschaftsstruktur, hoher Arbeitslosigkeit und einer niedrigen Lebensqualität. Zudem liegt die Jugendarbeitslosigkeit mit einer Quote von 26 Prozent deutlich über dem EU-Durchschnitt.
Trotz dieser Herausforderungen zeigen viele junge Menschen ein starkes Interesse an Bildung und streben nach höheren Abschlüssen. Dies spiegelt sich auch beim Besuch des Exzellenzzentrums für Wirtschaft und Finanzen (CEEF) wider, wo die Schüler:innen in
perfektem Englisch und mit viel Engagement ihre Übungsfirmen präsentieren. Die elf Exzellenzzentren im moldauischen Bildungssystem sind darauf ausgerichtet, als Innovationsmotoren zu fungieren, indem sie ihr Fachwissen an die zugeordneten berufsbildenden Schulen und Colleges weitergeben.
Der Lokalaugenschein in der Schule erfolgte im Rahmen eines Arbeitsbesuchs des Bundesministers Martin Polaschek mit einer österreichischen Delegation gemeinsam mit dem moldauischen Bildungsminister Dan Perciun. Seit 20 Jahren besteht die Bildungskooperation zwischen Österreich und Moldau mit Projekten, die von der Österreichischen Agentur für Bildung und Internationalisierung (OeAD) vor Ort begleitet werden.
Spatenstich für österreichische Schule
Schauplatzwechsel zur freien Wirtschaftszone Bălţi in Chişinău. Rundherum wird gebaut. Das Wetter hat sich den umliegenden Gebäuden angepasst: trist und grau. Auf einem noch leeren Grundstück findet der Spatenstich für die „Österreichische Schule Moldau“ statt. Im Sinne der neuen, von Bundesminister Polaschek initiierten Auslandsschulstrategie gründet das Bildungsministerium angesichts des steigenden Fachkräftebedarfs eine berufsbildende Schule für Elektronik und Technische Informatik. Bis zu 300 Schüler:innen sollen dort größtenteils in deutscher Sprache nach adaptiertem österreichischem Lehrplan unterrichtet werden. Der Abschluss wird in beiden Ländern anerkannt und ermöglicht den Zugang zum Hochschul- und Arbeitsmarkt.
Bilaterale Interessen
Unterstützt wird das Projekt von der Industriellenvereinigung und der WKO. „Es ist nur ein kleiner Mosaikstein im Kampf gegen den Fachkräftemangel, aber ein zukunftsweisender Schritt zur Stärkung der guten wirtschaftlichen Beziehungen. Wir kommen, um zu bleiben und gemeinsam zu wachsen“, erklärt die Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer Österreich, Carmen Goby nach dem erfolgten Spatenstich. Das Ziel ist, Fachkräfte für österreichische Firmen in Chişinău auszubilden. 2022 investierten österreichische Unternehmen 96 Millionen Euro in Moldau und zählen zu den zehn Top-Investoren. Rund 30 österreichische Firmen sind in Moldau tätig, die meisten im Versicherungs- und Bankensektor und in der Leichtindustrie.
Peter Koren, Vizegeneralsekretär der Industriellenvereinigung, betont drüber hinaus die Bedeutung des Ausbildungsangebots für beide Länder: „Die neu gegründete HTL in Chișinău stärkt den Austausch von Know-how zwischen Österreich und Moldau. Die HTL als europaweit einzigartiger Schultyp stellt eine hochwertige technische Ausbildung zur Verfügung und bildet somit hochqualifizierte Fachkräfte für lokale Niederlassungen österreichischer Unternehmen sowie auch für moldauische Unternehmen aus.“
Die Gründung der Schule wurde auch genutzt, um das „Memorandum of Understanding“ zwischen den Bildungsressorts zu erneuern. Bei der Unterzeichnung der Vereinbarung zur Fortsetzung der Bildungskooperation ist die Stimmung ausgelassen, ein Gefühl des Aufbruchs liegt in der Luft. Dan Perciun hat das Schulprojekt vorangetrieben. Der Moldauische Bildungsminister erhofft sich vor allem Best Practices für das heimische Bildungssystem und eine hochqualitative Ausbildung für die bildungshungrige Jugend. Mit ausgebildeten IT-Fachkräften möchte er den Standort stärken und weitere österreichische Unternehmen ins Land holen.
EU als Hoffnungsträger
Was jedoch mitschwingt, ist die Sorge, dass noch mehr junge Menschen das Land verlassen könnten. Die hohe Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte ins Ausland führt zu einem „Brain Drain“ und hemmt die Entwicklung des Landes. In den letzten drei Jahrzehnten ist die Bevölkerungszahl deutlich gesunken: Anfang der 1990er-Jahre zählte Moldau noch 4,4 Millionen Einwohner:innen, heute sind es weniger als 2,6 Millionen.
Große Hoffnungen setzt man nun in die Europäische Union. Seit 2022 hat Moldau den EU-Beitrittskandidatenstatus. Bildungsminister Perciun hofft, dass es 2030 dann soweit ist und das Land der EU beitreten kann – damit sich auch im eigenen Land wieder mehr Perspektiven für junge Menschen auftun. Die Schulgründung in Moldau darf auch als Zeichen der Unterstützung Österreichs zum EU-Beitritt Moldaus gewertet werden.
Kooperation mit österreichischen Firmen
Die Finanzierung der Schule erfolgt durch eine Kombination aus öffentlichen Mitteln und privaten Zuwendungen. Österreichische Unternehmen, die sich in Moldau ansiedeln, können potenzielle Partnerbetriebe werden. Die Fördermöglichkeiten reichen von Spenden für den Schulbau bis hin zur Finanzierung von Stipendien, die das Schulgeld für moldauische Familien leistbar machen sollen. Mit einer Kooperation können zukünftige Schüler:innen etwa durch Praktikumsangebote als hochqualifizierte Fachkräfte gewonnen werden.
Bildung zur Deckung des Fachkräftebedarfs
Die strategische Weiterentwicklung des österreichischen Auslandsschulwesens hat zum Ziel, Österreich als Bildungs-, Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort vor dem Hintergrund des hohen Fachkräftebedarfs zu stärken. Derzeit besteht das Netzwerk aus sieben Schulen in Albanien, der Tschechischen Republik, der Türkei, in Guatemala, Mexiko und zwei in Ungarn. Polaschek ist davon überzeugt, dass das weltweit anerkannte österreichische Bildungssystem einen Beitrag zur langfristigen Deckung des Fachkräftebedarfs in Österreich beitragen wird. „Wir nützen unser Know-how, um es jenen jungen Menschen zur Verfügung zu stellen, die bereit sind, Deutsch zu lernen, bereit sind, Leistung zu zeigen und ihre Verbindung zu Österreich, seiner Wirtschaft und Industrie zu stärken“, so der Bildungsminister weiter.
Ab September dieses Jahres werden Deutschkurse mit einer österreichischen Lehrperson als Vorbereitung auf den Unterricht an der österreichischen Schule in Moldau angeboten. Die Eröffnung der nach Erhard Busek benannten HTL ist für September 2025 geplant.
Österreichische Auslandsschulen
Derzeit gibt es sieben Österreichische Auslandsschulen (ÖAS). Sie entstanden aus historischen, wirtschafts- und kulturpolitischen Überlegungen. Die älteste, das Sankt-Georgs-Kolleg in Istanbul, wurde im Jahr 1882 gegründet. Weitere Schulen folgten nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Fall des Eisernen Vorhangs. Die Schulen sind anerkannte Privatschulen und unterrichten nach österreichischem Lehrplan mit Anpassungen an die lokalen Vorschriften.
Über 3.500 Schüler:innen, hauptsächlich aus den Gastländern, besuchen die ÖAS und schließen mit der österreichischen Matura sowie landesüblichen Abschlüssen ab. Jährlich gibt es rund 250 Absolvent:innen. Mit der „Peter Mahringer“-Schule in Shkodra, Albanien, wurde 2007 eine österreichische HTL für Informatik eröffnet.
Mehr dazu: ŞCOALA AUSTRIACĂ MOLDOVA (scoala-austriaca-moldova.com)