StartAktuellEuropäisches Forum Alpbach – „Kampf um die Wahrheit“

Europäisches Forum Alpbach – „Kampf um die Wahrheit“

Ein Besuch beim #EFA22: Tage, die stark unter dem Einfluss des Ukraine-Kriegs und Russland standen. Auch bei Themen, bei denen es im ersten Blick um etwas ganz anderes ging.

Es waren betroffen machende Worte, die Karim A. A. Kahn, von der International Criminal Court (ICC), anlässlich des Panels „Wirksamkeit und Grenzen des internationalen Strafrechts in der Ukraine“ einleitend via Video sprach: über die Arbeit und das Gewicht einer weltweit agierenden Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, also auch Kriegsverbrechen, zu sühnen. Sein Intro schloss er mit dem erinnerungswürdigen Satz: „We need peace as an anchor“.

Die anschließende Diskussionsrunde, die live von statten ging, und bei der es – nach neuem Konzept – auch dem Publikum möglich war, aktiv Fragen zu stellen, hob vor allem zwei Aspekte bei der Bekämpfung von Kriegsverbrechen hervor: Die Rolle der Medien und die Rolle von Frauen. Was die Medien betraf, betonte Eamon Gilmore, Special Representative for Human Rights in der Europäischen Union, den Wendepunkt, der durch die Lage in der Ukraine entstanden ist: „Zum ersten Mal in der Geschichte haben rund 30 Staaten, vier Tage nach der Invasion Russlands, mit ihren nationalen Untersuchungen an Kriegsverbrechen begonnen.“ Melissa Flemming, langjährige Sprecherin der UN-Flüchtlingshilfe, sagte: „Was sich an der Kriegsberichterstattung geändert hat, ist, dass nicht mehr nur journalistisches Storytelling betrieben wird, sondern dass die Berichte dokumentierender sind als früher und dadurch zur Aufarbeitung von Fällen verwendet werden können.“

Frauen an die Verhandlungstische

Margot Wallström, ehemalige Außenministerin von Schweden und UN-Special Representative on Sexual Violence in Conflict, widmete sich der Rolle der Frauen: „Obwohl sie oft „blamed“ und stigmatisiert werden, sei es wichtig, dass weibliche Opfer ihre schrecklichen Erfahrungen nach außen tragen, denn „nur so werden die Verbrechen, die gegen sie begangen wurden, als solche wahrgenommen“. Wallström spricht davon, dass Vergewaltigungen, Zwangsprostitution oder Sklaverei auch heute noch in Krisen- oder Kriegszonen häufig als „unvermeidlich“ dargestellt werden. Doch erst durch konkrete Schilderungen der Leidtragenden entstehe ein Bewusstsein dafür, dass es sich hier um Kriegsverbrechen handle und „nicht um Sex, sondern eine Mischung aus Gewalt- und Machtanwendung, die in Sexualität umgewandelt wird“. Wallström plädiert dafür, dass künftig mehr Frauen an den Verhandlungstischen sitzen, „immerhin machen sie mehr als 50 Prozent der Bevölkerung aus“.

Hochkarätig besetze Medienrunde zum Thema Fake News (Foto: privat)

Beim anschließenden Vortrag „Kampf um die Wahrheit: Wege zur Unterbindung von Des- und Fehlinformation“ drehte sich vieles um das Spannungsfeld zwischen klassischen (Qualitäts-)Medien und Social Media. Denn während die einen staatlichen Regulierungen unterliegen, herrsche bei den anderen nach wie vor Wildwuchs. Gerhard Zeiler, Präsident von Warner Bros. Discovery International, forderte deshalb gleiche Regeln für alle – „und es soll mir keiner erzählen, dass dies technisch nicht möglich wäre“. An dieser Stelle warf Moderatorin Anya Schiffrin, Director of Technology and Media der School of International and Public Affairs an der Columbia University, die ganz grundsätzliche Frage ein: „Wie schützen wir uns davor, dass die Machthabenden die Regulierungen nicht missbrauchen?“ Mehrmals fiel dabei das Beispiel des Militärputsches in Myanmar (2021), bei dem die meisten klassischen Medien nach den Vorgaben des Militärs berichteten, während sich die kritische Öffentlichkeit via Facebook organisierte. Die tausenden Facebook-Anfragen wurden allerdings von gerade einmal vier Moderatoren bearbeitet, was wiederum eine eigene Realität ergab, die aufgrund ihrer Muslimen-Feindlichkeit in westlichen Medienheftig kritisiert wurde.

Bessere Erziehung in Umgang mit Medien

Wie also könne man sich gegen Fake News absichern, wollte Schiffrin in der Schlussrunde wissen: Jillian York, Director for International Freedom of Expression bei der Electronic Frontier Foundation, gab zu bedenken: „Würden die derzeit sehr, sehr schlecht bezahlten Moderatoren von Social Media künftig besser bezahlt werden, würde mehr Qualität herauskommen. Eine mögliche Lösung lautet daher: Bessere Bezahlung für Moderatoren!“ Melissa Flemming riet: „Pause – take care, before you share”. Und Gerhard Zeiler gab den Tipp: “Wenn du seriöse Information willst, dann schaue BBC oder Reuters“ – und er plädierte für eine „bessere Erziehung und Schulbildung junger Leute im Umgang mit Medien“.

Russland verschließt sich

Einen weiteren Höhepunkt an diesem Tag stellte der Chat „Die Zukunft Russlands“ dar. Hier gaben die beiden Russland-Kenner Ivan Krastev (Institue for Human Sciences in Wien) und Kiril Rogov (Chair of the Board Centre for Liberal Strategies, Moskau) sowie Katarzyna Pisarska, Founder & Director der European Diplomacy Academy und Michael Kofman, Research Program Director for Naval Analysis, Einblicke in ihre Expertise. Krastevs desillusionierendes Resümee der aktuellen Situation: Sollte Russland von Nato-Staaten eingekesselt werden, werde sich dessen Standpunkt gegenüber dem Westen weiter verhärten. Daran würde auch eine Nachfolge Putins – wer immer diese einmal einnehmen werde – nichts ändern. Das, was für die Russen an Öffnung möglich war, geschah in den vergangenen 20 Jahren; durch die zuletzt stattgefundene Abwanderung der Eliten und die Einkesselung einer überschaubaren, verbliebenen Mittelschicht sei hier nicht mehr zu erwarten.

Rogov lieferte die erschütternden Zahlen zu dieser Entwicklung: Laut rezenter Befragungen würden 70 Prozent der Russen den Krieg befürworten, nur 30 Prozent seien dagegen, wobei sie dies nicht öffentlich kundtun würden, da sonst Gefängnisstrafen drohen. Auf die Frage „Wäre es besser, wenn der Krieg zu Ende wäre?“, antworteten 50 Prozent mit „ja“ und 50 Prozent mit „nein“.

Lesen Sie morgen über den Live-Chat mit Nobelpreisträger Joseph Stiglitz sowie über Neuerungen und die besondere Atmosphäre beim diesjährigen Forum Alpbach. Das Europäische Forum Alpbach dauert noch bis 2. September 2022.

 

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