Der Arbeitsmarkt stöhnt. Und das nicht erst seit gestern, sondern schon seit längerer Zeit. Denn egal, wo man hinblickt, fehlt es an kompetenten, zupackenden Köpfen und Händen: in der IT-Branche, Datenverarbeitung, Gastronomie und Hotellerie, im Maschinenbau, im medizinischen und Pflege-Bereich, in vielen handwerklichen Berufen wie Dachdeckerei, Fliesenlegerei, Schlosserei, Tiefbau, Glaserei, in Maurer- oder Installationsbetrieben.
Einer der Hauptgründe dafür ist, dass es aktuell schlichtweg zu wenig Arbeitskräfte gibt. Die Boomer-Generation verabschiedet sich in die Pension, die Jungen entwickeln zunehmend eigene, neue Arbeitsmodelle, die sich parallel zum traditionellen Arbeitsmarkt etablieren. Ökonomen hätten die Lösung für das Problem: am besten, auf das Potenzial zugreifen, das im Moment nicht aktiv ist – das sind vor allem ältere Menschen oder Mütter.
Die Problematik mit den Müttern ist vor allem im deutschen Sprachraum nicht neu: Mehr als in anderen EU-Ländern arbeiten junge Frauen im DACH-Raum in Teilzeit – entweder weil es keine (erschwingliche) Kinderbetreuung gibt oder weil das gesellschaftliche Umfeld wenig unterstützend wirkt. Ganz abgesehen davon: Kinderbetreuungsplätze lassen sich nicht über Nacht in die Welt zaubern.
Bei älteren Frauen gibt es diese Probleme nicht: Meist wissen sie genau, was sie wollen, lassen sich von gängigen Meinungen nicht mehr so stark unter Druck setzen, und auch die Kinder sind längst aus dem Haus. Zudem sind sie häufig gut ausgebildet, verfügen über Erfahrung und reichlich Flexibilität, die das Leben sie gelehrt hat.
Aber.
Aber wenn sie nicht gerade in einem Bereich tätig waren (oder noch sind), der ausgesprochen viel persönliche Erfüllung bringt, macht es wenig Sinn für sie (länger) zu arbeiten. Die wirtschaftlichen Nachteile sind einfach zu groß. Schieben sie zum Beispiel ihren Pensionsantritt um ein Jahr hinaus, bekommen sie zwar danach etwas mehr Geld – allerdings dauert es im Schnitt zehn Jahre bis sich die Summe der Pensionszahlungen, auf die sie ein Jahr lang verzichtet haben, amortisiert.
Gut, es gibt noch einen anderen Weg. Ältere könnten ja die Pension kassieren und sich zusätzlich etwas dazu verdienen. Dann müssten sie allerdings ihrer Pension, von der ohnedies eine „Lohnsteuer“ abgezogen wird, das zusätzliche Einkommen hinzurechnen – und ihre Netto-Pension ein zweites Mal versteuern. Überflüssig zu erwähnen, dass die Pensionsbeiträge, die im ursprünglichen Erwerbsleben einbezahlt wurden, ebenfalls auf Basis eines versteuerten Einkommens getätigt wurden. Dreifach versteuern – das ist harter Tobak.
„Es wird einem nicht leicht gemacht als Pensionistin weiterzuarbeiten, weil das mit den anfallenden Steuern und Abgaben einfach sehr kompliziert ist“, beklagt eine arbeitswillige Seniorin in der lesenswerten SHEconomy-Reportage „Im Unruhestand“. Dabei müsste es nicht kompliziert sein. Interessensvertretungen und Gesetzgeber müssten einfach beginnen, die Dinge klar zu benennen und an ein paar wenigen Schrauben zu drehen, um längeres Arbeiten wirtschaftlich attraktiv zu machen.
Aus Gründen, die schwer nachvollziehbar sind, verschließt hier jedoch die Politik Augen und Ohren. Dabei sprechen die Zahlen für sich: Laut Umfragen würde gern ein Drittel der Pensionst:innen weiter im Erwerbsleben bleiben. Würde der Staat auf einen Teil seiner Abzüge verzichten, wäre, laut Umfragen, bei jedem vierten Pensionisten der Wille gegeben, länger zu arbeiten.
Man braucht gar keine mathematische Leuchte zu sein, um zu wissen, was das heißt. Für die Menschen, für die Wirtschaft und für den Staat, der erst recht davon profitiert.