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„Es gibt die gläserne Decke im Gesundheitsbereich“

Frauen tragen das Gesundheitssystem, das hat spätestens die Corona-Krise sichtbar gemacht. Sie machen schätzungsweise 80 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitswesen aus, an den politischen Hebeln und in anderen Führungspositionen sind sie jedoch nach wie vor selten zu finden.

Frauen machen den Großteil des Gesundheitspersonals in Österreich aus und haben in der Pandemie als Pflegekräfte, Medizinerinnen, Virologinnen und Forscherinnen dazu beigetragen, dass das System am Laufen bleibt. Doch eben dieses bröckelt längst: zu wenig Geld, zu wenig Zeit, zu wenig Personal. Und obwohl Frauen schätzungsweise 80 Prozent der Beschäftigten stellen, sind sie immer noch selten an den politischen Hebeln und in Führungspositionen im Gesundheitswesen zu finden. Also dort, wo Entscheidungen getroffen werden. Wie würde das Gesundheitssystem aussehen, wenn mehr Frauen an der Spitze säßen? Ruth Reitmeier und Alexander Foggensteiner haben in ihrem Buch „Medizin in Frauenhand“ 20 Frauen interviewt, die das Gesundheitswesen prägen, aber kaum in der Öffentlichkeit stehen. Entstanden sind 20 Porträts, die Hoffnung auf Veränderung machen.

Kaum Daten vorhanden

Wie viele Menschen in Österreich im Gesundheitswesen arbeiten, das kann niemand so genau sagen. Die Datenlage ist intransparent, bestätigt auch die Journalistin und Autorin Ruth Reitmeier. „Eine Gesamtzahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen gibt es nicht. In einzelnen Bereichen sind jedoch gute Daten vorhanden“, so die Österreicherin. Schätzungen belaufen sich auf rund 870.000 im Gesundheitswesen Beschäftigte, ein Großteil der Arbeitskraft in Österreich fließt also in diesen Sektor. Genaueres ist über die Ärzteschaft bekannt: über 47.000 Ärzt:innen sind in Österreich tätig, rund 23.000 davon sind weiblich. Auch unter den Studierenden ist der Frauenanteil hoch. Im Studienjahr 2020/21 lag er bei 54 Prozent, unter den Absolvent:innen betrug er zuletzt 53 Prozent. Doch je höher die Position, desto weniger Ärztinnen sind dort vertreten. Primariate in Spitälern sind etwa zu fast 90 Prozent mit Männern besetzt. Und auch in anderen Führungsetagen sind Frauen stark unterrepräsentiert. Die Ärztekammer, die Sozialversicherungen und die politischen Ämter sind männerdominiert. „Aus unserer Sicht ist es ein Problem, wenn es viele hochqualifizierte Frauen gibt, die keine Spitzenpositionen erreichen“, so Ruth Reitmeier und meint damit sich und ihren Co-Autor Alexander Foggensteiner.

Tiefe Einblicke in Karriere

In ihrem im März 2022 erschienenen Buch geht es um Frauen, die sich eben in solchen Spitzenpositionen befinden. Insgesamt 20 Frauen werden in dem 170 Seiten langen Buch porträtiert. Jede ist in einem anderen Bereich tätig. Die Forscherin Cornelia Lass-Flörl wird ebenso porträtiert wie die Informatikerin Katja Bühler oder die Präsidentin der Österreichischen Apothekerkammer, Ulrike Mursch-Edlmayr, um nur einige zu nennen. „Als Autorin hat es mich sehr gefreut, dass meine Gesprächspartnerinnen mir tiefe Einblicke in ihre Leben gewährt haben“, sagt Ruth Reitmeier. So erfahren die Leser:innen etwa von Umwegen in Karrierewegen der Personen und von schmerzhaften Vorurteilen. „Die Gespräche waren sehr menschlich und hatten nichts mit dem Klischee der Göttinnen in weiß zu tun“, erzählt Reitmeier.

Gläserne Decke und Vereinbarkeit sind Karrierestopper

Das Thema Frauen im Berufsleben beschäftigt Ruth Reitmeier seit vielen Jahren. Schon ihre Dissertation im Jahr 1994 schrieb sie über „Frauenkarrieren im österreichischen Journalismus“. Das Ziel ihres neuen Buches sei, Frauen Mut zu machen, Karriere im Gesundheitswesen zu machen. „Es gibt die gläserne Decke im Gesundheitsbereich, das hat unsere Recherche eindeutig bestätigt“, so Reitmeier. Diese müsse gebrochen werden. Studien zeigen, dass es mindestens drei Personen in Repräsentation braucht, um bestehende Strukturen zu brechen. Dafür braucht es sowohl Frauen, die bereit sind, den steinigen Weg zu bestreiten, als auch Maßnahmen, die das Spielfeld ebnen. Reitmeier stellt fest, dass es gezielte Maßnahmen für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und höhere Gehälter braucht, etwa in der Pflege. „Die diplomierte Pflege ist mittlerweile ein FH-Studium, das hat sich jedoch noch nicht im Gehalt niedergeschlagen“, kritisiert Reitmeier. Zudem seien Diversity- und Frauenförderungsprogramme ein wichtiges Instrument, um Frauen in ihrer Karriere zu unterstützen.

„Frauen müssen in den relevanten Gremien vertreten sein, das ist aktuell einfach nicht der Fall“, so die Autorin. Um dies zu erreichen könne sie sich die Einführung einer Quote vorstellen. Eines haben ihre Recherchen jedenfalls gezeigt: „Keine einzige der Frauen, die wir interviewt haben, bereut es, Karriere im Gesundheitsbereich gemacht zu haben. Alle sind sehr stolz auf ihre Leistungen und Errungenschaften. Das zeigt, dass es lohnend ist Mut zu haben und Mut zu zeigen – auch wenn es von Zeit zu Zeit schwer und zermürbend sein kann.“

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