Ich bin ein Kind des linearen Werbefernsehens. Geben Sie mir den Beginn eines Slogans, ich werde ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit korrekt vollenden. Auch heute gehören meine Familie und ich zu der aussterbenden Spezies derjenigen, die noch um 20 Uhr brav zur Tagesschau „einschalten“ und auch schlechte Spots ohne Murren ertragen.
Eine Vielzahl der von mir darüber hinaus abonnierten Streaming-Sender bringt derzeit merkwürdige Blüten an neuen Werbungen hervor. Während große Hygiene-Marken für Lotionen und Co inzwischen ganz selbstverständlich im Sinne von Body Positivity auch mit Curvy-Models werben, und sich zahlreiche Influencerinnen dem Körperwahn entziehen, ist beim Thema Altern an vielen Stellen eine Trendwende zu sehen. Immer mehr Filter erobern die Social Media Kanäle mit Botox-Effekt. Und im Streaming mein bisheriger Höhepunkt des schlechten Geschmacks: Eine langhaarige attraktive Frau (zwischen 50 und 60 Jahre alt) zieht – regelrecht angewidert von dem, was sie im Spiegel sieht – an ihrer Haut am Kinn, die nicht mehr mit derselben Spannkraft geladen ist, wie früher. Gleicher Griff, gleicher Blick Richtung Wangen und Oberschenkel. Und wissen Sie was? Ein paar Schlückchen vom neuen Kollagen-Drink, und die Sache ist geritzt. Sie strahlt, und dank Filter und Farbe gibt es natürlich ein Happy-End im Werbekosmos.
Wir warnen unsere Teenie-Töchter vor den Gefahren von Instagram, TikTok und zu frühen Schönheits-OPs, während wir uns spätestens ab 35 dafür schämen (sollten), nicht alles zu tun, so makellos auszusehen, wie die ältere Schwester… Kollagen-Drinks mögen ihre Berechtigung haben, ebenso wie andere Beauty-Helferlein, mit denen wir uns besser fühlen. Medical Wellness und Longevity versprechen nicht nur mehr gesündere Jahre, sondern oft auch gutes Business. Den Ekel vor dem Altern zu vermarkten ist aus meiner Sicht jedoch mehr als fragwürdig.
Wie erfrischend taucht da, im Bouquet der Streaming-Sender an einem verregneten Sonntag die aktuelle und unbedingt sehenswerte Dokumentation „Eine Frau ganz oben“ (im Original: „Woman in Charge“) über Diane von Fürstenberg auf. Erfinderin des legendären Wickelkleides, Erfolgs-Unternehmerin, Designerin, Mutter, Feministin und Tochter einer Auschwitz-Überlebenden. In einer der ersten Szenen der Doku sitzt die heute 77-Jährige „DvF“ mit einzigartiger Lässigkeit im Waschbecken (schauen Sie selbst…), schminkt sich dezent und sagt: „Ich kann nicht verstehen, warum so viele Menschen das Alter nicht umarmen. Alter heißt Leben! Es sollte nicht heißen: Wie alt bist Du? Sondern: Wie lange hast Du schon gelebt?“
Diane von Fürstenberg bezeichnet die Linien, die wir im Laufe der Jahre sammeln, als Landkarte des Lebens. Eine Landkarte, auf die wir stolz sein sollten, denn nicht alle haben das Glück, soweit gekommen zu sein. Und schließlich gibt es auf der Welt gerade Wichtigeres zu tun. Wie „DvF“, die mit „InCharge“ auch eine internationale Empowerment-Initiative gegründet hat, in der Dokumentation sagt: „Wenn wir eine Stimme haben, ist es unsere Pflicht, sie zu nutzen.“
Mit unserer Sheconomy-Plattform, auf Events und in unseren neuen Heften in Deutschland und Österreich geben wir Frauen die Möglichkeit, sich selbst sichtbar zu machen und ihre Stimme einzusetzen. Auf unserem neuesten Cover finden Sie mit der großartigen Ooona Horx Strathern eine erfahrende Unternehmerin und Zukunftsforscherin, die ihren Ansatz der „Kindness Economy“ mit uns teilt. Ihr gleichnamiges Buch ist eine inspirierende (Urlaubs)-Lektüre, ebenso wie die Zitatsammlung von Diane von Fürstenberg „Own it – The Secret to Life“.