StartBalanceEine Münchnerin in Peking: „Duftendes Wolkengewebe“ für die Mode in China

Eine Münchnerin in Peking: „Duftendes Wolkengewebe“ für die Mode in China

Aus ihrer Sehnsucht nach der bayerischen Heimat macht sie kein Hehl. In Zeiten wie diesen scheint die Entfernung zwischen Peking und München noch weiter, fast unüberbrückbar zu sein. Strenge Quarantäne-Vorschriften machen die einst unkomplizierten Abstecher zur Mutter nach München zu einem Unterfangen mit höchstmöglichen Hürden. Beruflich dagegen ist Kathrin von Rechenberg längst in der chinesischen Metropole verwurzelt: hier lebt sie mit ihrer Familie, hier arbeitet sie mit ihren Mitarbeitern im eigenen Atelier, hier hat sie sich als Modedesignerin einen Namen mit einem Stoff gemacht, aus dem die Träume sind.

„Xiang Yun Sha“, zu Deutsch „duftendes Wolkengewebe“, erfreut sich sowohl in China als auch in Europa wachsender Beliebtheit. Der von ihr für diesen edlen Stoff kreierte Begriff der „Teeseide“ hat eine kühlende Eigenschaft. Er bleibt beim Tragen leicht und klebt nicht, wenn man schwitzt. Er sieht papyrusartig aus und hat einen metallischen Glanz. „Es ist ein lebendiges Material, das sich durch Waschen verändert und beim Tragen ein ganz typisches Geräusch erzeugt“, erklärt Kathrin von Rechenberg. Aber vor allem hat die Seide, die einst mit Tee gewaschen wurde, das Leben der Kathrin von Rechenberg ganz einschneidend geprägt. Die Münchnerin hat eine klassische Couture-Ausbildung absolviert.  Nach dem Abschluss ihres Studiums an der „Ecole de la Chambre Syndicale de la Couture Parisienne“ verfeinerte sie ihr Handwerk in Pariser Haute Couture Häusern. Letztendlich ließ die Liebe zu ihrem Mann und ihre Leidenschaft für feine Seidenstoffe China zur Wahlheimat werden.

Für das Rechenberg Label wurde die Teeseide zu seinem unverkennbaren Markenzeichen. Besonders wichtig ist neben perfekter handwerklicher Ausführung die Verwendung von nachhaltigen, natürlichen Stoffen, die in traditionellen Naturfärbeverfahren bearbeitet werden. Bei ihren handgefärbten Kreationen steht der experimentelle Charakter des Färbens im Vordergrund. Hierzu verwendet die Designerin Färbepflanzen, die lokal verfügbar sind und wegen ihres hohen Tanningehaltes eine zusätzliche Fixierung überflüssig machen. Traditionelle und selbst entwickelte Resist-dye Methoden ergeben nicht nur interessante Farbabstufungen, sondern verleihen Seidenorganza auch eine permanente Dreidimensionalität. Durch das teilweise Entbasten entsteht ein reizvoller Kontrast zwischen architektonischen und organischen Formen. Alle Rechenberg-Modelle entstehen im Atelier in Peking, wo Kathrin von Rechenberg ihre Kundschaft persönlich empfängt und Einzelstücke ihrer Couture Linie auch nach Maß fertigt. Vom nationalen chinesischen Textil- und Bekleidungsverband erhielt sie im vergangenen Jahr die Auszeichnung „Freundschaftsbotschafter für die Verbreitung von immateriellen Kulturgut im Textilbereich“.

SHEconomy-Herausgeberin Yvonne Molek sprach mit Kathrin von Rechenberg über das Leben in China, die Pandemie und vor allem über die Mode.

Beschäftigt sich frau mit Ihrer Arbeit, dann stellt sich automatisch die Frage: musste erst eine europäische Modedesignerin kommen, um die von Ihnen titulierte Teeseide aus einer Art Dornröschenschlaf zu holen?

Als ich vor 20 Jahren begann nicht nur mich selbst mit Teeseide einzukleiden, konnte ich nicht nachvollziehen, dass Chinesen einem so wunderbaren Material nichts abgewinnen können, man es für altmodisch hält. Später erfuhr ich, dass in Filmen der Kulturrevolution die schlechten Elemente, also die Großgrundbesitzer, oft in Teeseide gekleidet waren, das Material also für diese Generation eine negative Konnotation hatte. Ich denke, dass ich klar den Vorteil habe, ganz frei mit dem Material umzugehen, da es für mich als Ausländerin geschichtlich nicht negativ besetzt war. Ich vergleiche es gerne mit dem Loden bei uns: bevor er von internationalen Designern als wunderbares Material entdeckt wurde, galt er als altmodisch und konservativ. Heute werden Designstudenten in China dazu angehalten, traditionelle Techniken und Materialien in ihr Design aufzunehmen.

Wir haben für SHEconomy vor kurzem mit der italienischen Modeexpertin Elena Berton ein Gespräch geführt, die sich zur Aufgabe gemacht hat, altes Handwerk ausfindig zu machen und zu bewahren. Gibt es in China Handwerke, die in Vergessenheit geraten sind, denen ein ähnliches Schicksal droht?  

In Ihrem Interview mit Elena Berton sprechen Sie mir aus dem Herzen, was ich mache, das hat genau diese Beweggründe: gegen den Massenkonsum, mit Herz und Seele Dinge herzustellen, die man ein Leben lang trägt und liebt. In China sind leider sehr viele Handwerke in Vergessenheit geraten. Als ich damals nach China kam erwartete ich wie selbstverständlich andere wunderbare Techniken finden zu können. Die Situation in China ist insofern auch speziell, da bekanntlich die Betriebe 1949 sämtlich verstaatlicht wurden und private Handwerksbetriebe schließen mussten. In den 80er Jahren wurden sie dann zwar wieder privatisiert, aber die Konsumenten waren dann mehr an westlichen modernen Produkten interessiert. Das, was man bei uns unter einem Familienbetrieb versteht, gibt es daher kaum. Und es fehlten ein oder sogar zwei Generationen an Kundschaft für handwerklich hergestellte Luxusprodukte, das muss sich jetzt erst wieder entwickeln. Heute findet man lebendiges Handwerk hauptsächlich noch bei den vielen Minderheiten in abgelegenen Regionen, die für ihren eigenen Bedarf arbeiten; die jüngere Generation erlernt aber die Fähigkeiten leider auch nicht mehr. Mit dem neuen Interesse an der eigenen Kultur wird allerdings viel unternommen, um vergessene Techniken wiederzufinden: In Japan hat sich viel Können erhalten, das einst aus China kam. Nun arbeitet man mit dortigen Meistern zusammen, um es wieder zu erlernen.

Die westlichen Mode-Trends scheinen sich auch im Reich der Mitte durchgesetzt zu haben. Wie stehen chinesische Frauen zu Ihrer Mode?

Es gibt eine Rückbesinnung auf die wunderbaren Schönheiten der eigenen Kultur. In der Mittelschicht sind die großen französischen und italienischen Marken immer noch ein Statussymbol, aber in der kultivierten Oberschicht ist man jetzt unabhängiger davon und es besteht ein großes Bedürfnis, sich individueller und der eigenen Kultur entsprechend zu kleiden.

Zu welchen Anlässen tragen Frauen in China Kleider aus Teeseide? Und – wo sind diese Kleidungsstücke erhältlich?

Für Teeseide braucht es keine Anlässe, im Sommer ist sie einfach leicht und kühlend. Aber natürlich hängt es vom Modell ab! Es gibt inzwischen viele Hersteller von Teeseidenkleidung, selbst im Internet. Allerdings leidet meist die Qualität des Materials und die Schnitte sind oft sehr traditionell. Bei uns kommen die Kundinnen meist ins Geschäft, um sich die Modelle auszusuchen, nach Wunsch schneidern wir sie auch auf Maß.

Hat sich die Einstellung ihrer Kundinnen zu nachhaltigen Materialien in der letzten Zeit verändert? Gibt es eine neue Definition von „Luxus“?

Luxus wird heute sicher anders definiert als früher, die Pandemie hat diesen Prozess sicher beschleunigt. Lebensqualität, Gesundheit, Achtsamkeit stehen im Vordergrund. Die Menschen haben verstanden, dass Luxus nichts mit Schnelligkeit, Schnelllebigkeit zu tun hat. Das Produkt an sich hat nicht mehr den Stellenwert, eher die Erfahrung, die damit einhergeht, und die soll die Einstellung des Käufers repräsentieren, authentisch sein. Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung sind hierbei wichtige Themen.

Sie leben seit über zwei Jahrzehnten in China, sind verheiratet – ihre Kinder sind hier aufgewachsen. Wie sehr hat sich das gesellschaftliche – und vor allem auch Ihr Leben seit Ausbruch der Pandemie verändert?

Für mich wiegt die Einschränkung in der Reisefreiheit besonders schwer. Seit Beginn der Pandemie konnten wir nicht mehr nach Deutschland reisen. Teure Flugtickets und die drei-wöchige Hotelquarantäne sind das Problem, aber nicht zuletzt auch die Unsicherheit, überhaupt wieder einreisen zu können. Der Großteil der chinesischen Bevölkerung ist sehr vorsichtig und darauf bedacht, sich und andere zu schützen und verzichtet entsprechend auf unnötige Treffen und Reisen. Man kommt in öffentliche Verkehrsmittel, Geschäfte und öffentliche Gebäude nur rein, indem man den Gesundheitscode scannt, es kann somit nachvollzogen werden, wann man sich wo aufgehalten hat. Das ist zum Alltag geworden und man kann dies nur schwerlich umgehen. Im Sommer mussten wir unsere Reise nach Xinjiang absagen, da es in Peking ein paar Corona-Fälle gab. Und die Schule begann wieder mal mit homeschooling.

China und die USA ringen um die globale Vorherrschaft, ihre Konflikte drohen sich nach der Pandemie zu verschärfen. Das Land hat sich zudem auf die Agenda gesetzt, die USA bis zum Jahr 2049 USA als führende Volkswirtschaft abzulösen. Dann wird die Volksrepublik 100 Jahre alt. Spüren Sie im Alltag, wie sich China verändert?  

China und die Chinesen haben an Selbstvertrauen gewonnen, was ja per se nichts Schlechtes ist. Das Land kann stolz sein auf das, was es in kurzer Zeit geschaffen hat und ist es auch. Es scheint sich selbst zu genügen. Es macht mir Sorgen, dass sich China wieder abkapselt. Darin hat das Land Übung, in der heutigen Welt kann das aber nicht mehr funktionieren.

Ein eigenes Unternehmen in China gründen – das klingt nicht trivial. Wie hoch sind die bürokratischen Hürden für eine Europäerin, die der Faszination Chinas erliegt und sich in diesem Land selbstständig machen möchte?

Eine eigene Firma in China zu gründen ist nicht schwieriger oder einfacher als anderswo, auch hat man die hohen Hürden für Ausländer abgeschafft. Man unterscheidet jedoch zwischen chinesischen und ausländischen Unternehmen, in manchen Bereichen muss ein Joint Venture gegründet werden. Pandemiebedingt ist es allerdings fast unmöglich, ein Visum zu bekommen, um sich in China niederzulassen. Wie es sich danach entwickelt, ist heute ungewiss. Und Voraussetzung für ein Arbeitsvisum sind ein abgeschlossener Masterstudiengang mit mehrjähriger Arbeitserfahrung. Da hatte ich als Handwerkerin vor 20 Jahren Glück. Heute wäre das nicht mehr möglich.

Sie haben drei Kinder, die in China groß geworden sind. Erzogen von einer deutschen Mutter und einem chinesischen Vater. Wie erleben Ihre Kinder das Leben zwischen den beiden so unterschiedlichen Welten?

Die Kinder sind inzwischen stolz darauf, in beiden Welten unterwegs zu sein. Einfach war das nicht immer: im chinesischen Kindergarten und Grundschule fühlten sie sich als Ausländer, in der Deutschen Schule Peking auch nicht ganz dazugehörig. Inzwischen sind dort aber die gemischten Familien gleichstark vertreten. Langfristig ist es großartig für die Kinder, in beiden Welten aufzuwachsen und mit den so unterschiedlichen Kulturen umgehen zu können. Sie haben sicher einen viel weniger eingeschränkten Blick auf die Dinge.

Wie gelingt es Ihnen, Ihre Kontakte – sowohl die beruflichen als auch die privaten – nach Deutschland zu halten?

Sehr schwierig. Mir fehlt der direkte Kontakt sehr. Ich bin keine Skyperin. viele in Deutschland lehnen WeChat, das wichtigste Kommunikationstool in China, ab, hier funktioniert VPN eher unzuverlässig. Mit meiner Mutter telefoniere ich regelmäßig.

Und – was besonders interessiert: Sind Sie in Netzwerken in China unterwegs? Tauschen Sie sich mit Unternehmerinnen oder Managerinnen in China aus? Und existieren auch in China Netzwerke von Frauen, wie wir sie von Europa her kennen?

Hier in Peking treffe ich in dem Netzwerk FEIC „Female Entrepreneurs in China“ andere Unternehmerinnen. Es gibt in China viele Netzwerke, auch Frauenverbände mit Managerinnen und Unternehmerinnen. Ich bin da nicht involviert, es sind eher offizielle Organisationen.


Links

www.rechenberg.cn

Instagram: Kathrinvonrechenberg, rechenberg.studio 

Entstehung der Teeseide

https://youtu.be/QqOTMhg1Lno

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