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Ein Wintermärchen

Über Gedankenkarusselle, Talk Shows, die kontroversen Äußerungen des Unternehmers Wolfgang Grupp sowie eine respektvolle Diskussionskultur sinniert sheconomy Mitgründerin und Minerva-Initiatorin Nadia Weiss in ihrer aktuellsten Kolumne.

Gestern Nacht lag ich wach. Das passiert manchmal. Sie kennen es bestimmt auch. Ein ungewöhnliches Geräusch oder ein lästiger Schnupfen machen sich bemerkbar und mit dem Schlaf ist eine Zeit lang vorbei. Eine meiner Kolleginnen hat für solche Momente stets einen Krimi am Nachttisch liegen.

Bei mir geht hingegen das Gedankenkarussell los. Stellen Sie sich vor, dabei kommen jetzt Sie ins Spiel. Denn ich fabulierte im Halbschlaf über das Thema dieser Kolumne.

Nun kommt ein zweiter Einblick in meine private Welt. Meine Abende verbringe ich gerne in Gesellschaft der guten alten Talk Show. Erfreulicherweise klappt hier die Frauenquote. Sandra Maischberger, Anne Will, Maybritt Illner, Claudia Reiterer sind bewährte Gastgeberinnen für gemischte Gesprächsrunden. Natürlich gibt es auch noch Louis Klamroth und Markus Lanz. Doch irgendwie habe ich den Eindruck, dass die Damen weniger sich als das Thema in den Vordergrund stellen.

Wie ich also so meine Gedanken wälzte, spukte in ihnen irgendwann die Erinnerung an den Auftritt eines bekannten deutschen Unternehmerpaares bei „Maischberger“ herum. Der Firmengründer gibt den Familienbetrieb Ende des Jahres an seine Kinder ab und dies bot, so die Moderatorin, „erstmals die Gelegenheit auch Frau Grupp bei mir zu begrüßen.“

„Unser bester Markenbotschafter ist einfach mein Mann, dann kommt der Affe und dann wir als Familie“, antwortete Elisabeth Grupp mit einem Lächeln.

Wolfgang Grupp ist der Öffentlichkeit durch Werbeauftritte mit dem besagten Affen als Begleitung, aber auch durch markante Aussagen bekannt. Viele seiner Ansichten werden von unserer Community abgelehnt.

Elisabeth Grupp, auf diese angesprochen, erklärte, dass sie bei Weitem nicht mit allem einverstanden sei, was Wolfgang Grupp bereits von sich gegeben hat: Da wäre die pauschale Kritik am Homeoffice („Wer dort arbeitet, ist im Betrieb verzichtbar“), sowie die abwertenden Bemerkungen über Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer („Weibergeschacher“).

Darüber gäbe es sehr offene Debatten innerhalb der Familie. Nach außen wäre man bemüht ein einheitliches Bild abzugeben. Genauso sei auch die Klärung der Nachfolge vonstatten gegangen. Sohn und Tochter hätten dies miteinander ausgemacht und dann gemeinsam kommuniziert.

Warum all dies so bemerkenswert ist, dass ich Sie damit behellige? Vielleicht weil mir eine Rückkehr zu einer respektvollen Diskussionskultur als unbedingt notwendig erscheint. Wir brauchen mehr Klarheit, bessere Lösungsansätze und daraus resultierend wieder Zuversicht und Aufbruchsgeist. Das ist wichtig in einer Familie, in einem Unternehmen und in unserer Gesellschaft.

Natürlich gibt es rote Linien, über die es keine Diskussion geben darf: Für diese müssen wir dann aber auch klar einstehen und jenen mutig entgegentreten, die sie überschreiten.

Während ich nun diese Zeilen aufschreibe, die mir nächstens durch den Kopf gegangen sind, kommt mir ein Gedicht des großen Meisters Heinrich Heine in den Sinn. „Denk‘ ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht“, begann er vor bald 200 Jahren seine „Nachtgedanken“. In der satirischen Abrechnung „Deutschland. Ein Wintermärchen“, das „im traurigen November“ beginnt, stellt er etwas später den reaktionären Strömungen in seiner Heimat seine Vision einer weltoffenen Gesellschaft gegenüber. Nicht alle Märchen enden gut.


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