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Ein Prost auf die Wissenschaft

Raus aus dem Labor! Rein in die Wirtshäuser! Die Wissenschaftskommunikation will massentauglich werden. Eine Wienerin ebnet ihr mit der niederschwelligen Vortragsreihe „Pint of Science“ den Weg.

Dass sich die Wissenschaft wie eine eigene Bubble mit eigener Sprache verhält, ist mittlerweile bekannt. Dass sie durch niederschwellige Kommunikation auch für breite Massen zugänglich wird, ist der langgehegte Traum vieler, die Wissenschaft auch nach außen kommunizieren. Die weltweite Initiative Pint of Science will genau diese Brücke schlagen und die Wissenschaft von den Laboren ins Wirtshaus bringen. Von 22. Bis 24. Mai 2023 konnten Interessierte auch in Österreich die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft hautnah erleben. In vier Städten und 19 Einzellocations.

Wissenschaft ist keine Nabelschau

Von Neurowissenschaften über Astronomie oder Robotik kommen bei der dreitätigen Eventreihe Pint of Science all jene auf ihre Kosten, die neugierig sind, Interesse an Wissenschaft haben oder einfach nur mal ein Update wollen, was heute in den Laboren der Welt schon alles möglich ist. Seine Wurzeln hat das Pint of Science Festival in London, wo es 2012 unter dem Namen „Meet the Scientist“ gegründet wurde. Seit 2013 findet es als Pint of Science in Gasthäusern rund um den Globus statt und bespielt mittlerweile 400 Städte in 26 Ländern weltweit. Wien ist seit 2021 mit von der Partie.

Für den Standort Österreich zeichnet Lisa Recnik verantwortlich, die sich mit 60 Freiwilligen um die Eventplanung kümmert und über 100 Speaker:innen koordiniert. Recnik selbst hat Technische Chemie an der TU Wien studiert und war ab 2013 für ihr Doktoratsstudium in England und danach in Frankeich, wo Pint of Science schon bekannt war. Die Mission hinter der Eventreihe sieht Recnik nicht nur im Weitergeben von Fakten: „Wir wollen aufzeigen, dass Wissenschaft keine Nabelschau von Forscher:innen ist, sondern einen großen Einfluss auf das Individuum und die Gesellschaft hat. Und dass man auch einfach gemütlich ein Bier trinken und sich darüber austauschen kann.“

Intimes Format gegen Wissenschaftsskepsis

Das Format der Pint of Science Events ist optimal dafür geeignet, sich auch mit den Vortragenden auszutauschen. Bis zu 50 Leute haben in den Locations Platz, die dem gemeinnützigen Verein mietfrei zur Verfügung gestellt wurden. In so einem intimen Rahmen fällt es leichter, ins Gespräch zu kommen – so wie in der Drahtwarenhandlung in Wien. In dem kleinen Lokal kommen am Abend des 23. Mai Interessierte zusammen, um zwei Forschenden zu lauschen. Barbara Bachmann und Peter Ertl geben Einblicke in die neuesten Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der künstlichen Haut und „Organ-on-a-chip“-Systeme. Bachmann ist Teil der Ludwig Bolzmann Forschungsgruppe für Alterung und Wundheilung und arbeitet an der Weiterentwicklung von künstlicher Haut, um Verbrennungsopfern und Menschen mit chronischen Wunden zu helfen.

An der Pint of Science Eventreihe nimmt sie teil, weil Wissenschaft kein Selbstzweck sein soll: „Im kleinen Kämmerchen zu forschen ist das eine – aber was bringt das, wenn außerhalb der Labore niemand davon erfährt?“, sagt die Forscherin. Dass Bio-Engineering rund um künstliche Haut schon so weit ist, dass die Kosmetikindustrie ihre Produkte seit Jahren nicht mehr an Tieren testen muss, wissen die wenigsten: „Das schockiert mich manchmal richtig. Wenn Menschen mehr über unsere Forschung wüssten, hätten wir es mit weit weniger Wissenschaftsskepsis zu tun“, sagt die 31-Jährige.

„Wenn Menschen mehr über unsere Forschung wüssten, hätten wir es mit weit weniger Wissenschaftsskepsis zu tun.“

Geschlechterverteilung: Besser als die Realität

Was neben den spannenden Inhalten noch auffällt: Auf dem Podium der Eventreihe stehen viele Frauen. Das sei kein Abbild der Wirklichkeit, sagt Koordinatorin Recnik. Wissenschaft und Forschung, allen voran in technischen Bereichen, seien immer noch stark in Männerhand. Aber: „Ich achte bei der Auswahl auf Ausgewogenheit, das ist mir selbst sehr wichtig. Nur für die Technikschiene scheint es immer noch fast unmöglich zu sein, annährend so viele Frauen wie Männer zu finden.“

Forscherin Bachmann macht in ihrem Berufsleben andere Erfahrungen. In ihrer Abteilung arbeiten fast nur Frauen sagt sie: „Bis auf die Führung, die ist männlich“, fügt sie nach kurzem Nachdenken hinzu. Sie bestätigt damit Erhebungen, wonach Studiengänge in Naturwissenschaften durchaus weiblich dominiert sind, Führungskräfte und seniorige Forschung aber immer noch in Männerhand liegen. Bachmann sieht das als Auslaufmodell, als generationsbedingt. Pint of Science Organisatorin Lisa Recnik sieht das Problem eher im Mindset und dem Publikationszwang. Erfolg hätten vor allem Frauen, denen die Ellbogenmentalität in der Forschung wenig ausmache oder solche, die starke männliche Verbündete haben, die diese Kämpfe mit ihnen gemeinsam ausfechten.

Forscherin Barbara Bachmann gibt beim Pint of Science Festival Einblicke in ihre Forschung über künstliche Haut.

Auf Partnersuche

Dass noch keine offiziellen Stellen der Ministerien als Partner der Eventreihe im Spiel sind, erklärt Organisatorin Recnik mit Zeitmangel: „Wir sind so damit beschäftigt, die Events erstmal in alle Landeshauptstädte zu bringen, dass wir noch keine Zeit für langwierige Förderanträge hatten. Aber das steht auf meiner Liste.“ Die Politik sieht Recnik in der Pflicht, mehr in den Ausbau niederschwelliger Wissenschaftskommunikation zu investieren. Man sehe schon, dass die Message angekommen sei, sagt sie. Jetzt wird sich zeigen, ob den Erkenntnissen auch Taten folgen.

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