Es sollte uns allen bewusst sein, dass Frauen und andere Minderheiten zweifellos über ebenso hohe Kompetenzen wie ihre männlichen Kollegen verfügen und in der Lage sind, Führungspositionen und Vorstandsämter zu übernehmen. Wie kann es dann also sein, dass sich das nicht in den Zahlen widerspiegelt? Viele Vorstände deutscher Konzerne bleiben reine Männerdomänen, 42 Prozent haben kein einiges weibliches Vorstandsmitglied, nur 17 Prozent der Vorstandsposten in den 160 börsennotierten Unternehmen sind von Frauen besetzt. Diese und weitere Zahlen aus dem EY-Mixed-Leadership-Barometer vom Juli 2023 verdeutlichen, dass wir noch weit von einer geschlechtlichen Parität entfernt sind.
Natürlich hört dieser Missstand nicht „nur” bei Frauen auf: Wenn wir uns anschauen, wie andere Minderheiten, beispielsweise Personen mit Migrationshintergrund oder Menschen mit Behinderungen, in diesen Führungsebenen vertreten sind, ist die Situation ähnlich bzw. noch dramatischer.
Dieser Umstand liegt nicht an den Personen selbst, sondern an den jeweiligen Unternehmen und an gesellschaftlichen Missständen. Dementsprechend halte ich nichts davon, zu betonen, wie diverse Personen sich besser an diese Bedingungen „anpassen” sollten. Stattdessen schlage ich einen Ansatz vor, der zeigt, wie Führungskräfte in ihrem eigenen Team diverse Teammitglieder besser fördern können.
Der große Unterschied
Was genau können wir also tun? Während meiner Zeit als Unternehmensberaterin und Personalleiterin im Bereich Advanced Industries bei McKinsey & Company hatte ich eine Erkenntnis, die in diesem Zusammenhang für mich ein entscheidender Schritt in die Richtung ist: Wir müssen Mitarbeitenden mehr zutrauen, denn das macht einen entscheidenden Unterschied. Warum?
Das Potenzial stets im Blick
Diverse Talente benötigen oft nicht nur Vertrauen, sondern vor allem mehr Zutrauen, da sie nicht nur mit den üblichen Herausforderungen und Erwartungen konfrontiert sind, sondern auch mit zusätzlichen Barrieren und Vorurteilen. Diese Barrieren beeinflussen ihre Selbstwahrnehmung und Selbstsicherheit, wodurch ihr berufliches Selbstvertrauen geschwächt sein könnte.
Zusätzlich sind diverse Talente in traditionellen Arbeitsumgebungen weniger präsent, was ein Gefühl der Isolation hervorrufen kann und sie noch unsicherer hinterlässt. Der Mangel an Vielfalt in Führungsebenen und Entscheidungsgremien führt dazu, dass diverse Talente weniger Chancen für Aufstieg, Anerkennung und Wachstum haben. Dies kann ihre Motivation und den Glauben an ihre eigenen Fähigkeiten mindern. Deswegen sollten Menschen mit Vorbildcharakter und positive Role Models, die schon da sind, gleichzeitig gezielt gefördert und in den Dialog miteinbezogen werden.
Drei Schritte zum Erfolg
Angesichts dieser Faktoren ist es essenziell, diverse Talente gezielt zu fördern und zu unterstützen. Führungskräfte können dies umsetzen, indem sie drei Schritte befolgen:
- Es ist wichtig, klar, offen und immer wieder zu kommunizieren, dass die Führungskräfte in die Fähigkeiten und das Potenzial ihrer diversen Teammitglieder vertrauen. Ein „Ich weiß, du kannst das. Ich traue Dir das zu.“ offen und wohlwollend ausgesprochen, kann bereits Berge versetzen und die Selbstwirksamkeit des Gegenübers immens stärken.
- Kleine Gesten, wie gezieltes Feedback, Anerkennung und Chancen zur beruflichen Entwicklung zeigen, dass das Vertrauen in die Fähigkeiten der Teammitglieder real ist und es nicht nur leere Worte sind. Diese Art von Zutrauens-Beweisen stärkt die psychologische Sicherheit im Team und ermöglicht, mehr aus sich herauszugehen, Neues zu wagen und persönlich zu wachsen.
- Anstatt die Lösungen vorzugeben oder mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, sollten Führungskräfte diverse Talente ermutigen, selbstständig Probleme anzugehen und durch ihre Begleitung ihre eigenen Lösungen zu finden. „Leading by Coaching” ist hier eine sehr wirksame Methode, die Mitarbeitenden auf ihrem Lösungsweg zu begleiten. Diese Vorgehensweise fördert das Selbstbewusstsein und die Eigenverantwortung der Teammitglieder.
Ein Führungsstil, der auf Zutrauen basiert, fördert nicht nur Diversität, sondern auch das persönliche Wachstum der Teammitglieder sowie Kreativität und Innovation im Team – allesamt Schlüsselfaktoren für eine langfristige Unternehmenszukunft. Die Förderung von Diversität und die Stärkung des Zutrauens sind für mich untrennbar miteinander verbunden. Indem Unternehmen diese Prinzipien in ihrer Führungskultur verankern, können sie nicht nur vielfältigere und inklusivere Teams aufbauen, sondern auch das volle Potenzial ihrer Talente entfesseln und langfristigen Erfolg sichern. Es liegt an uns allen, diese Veränderung voranzutreiben und eine Welt zu schaffen, in der Diversität nicht nur toleriert, sondern aktiv gefördert wird.
Zur Person:
Dr. Maria Bergler ist eine erfahrene Executive Beraterin und Coach für Führungskräfte aus München. Als Expertin für Personal- und Organisationsentwicklungsthemen setzt sich die promovierte Pädagogin für Empowerment, Diversität und moderne Führungsansätze in der Arbeitswelt ein. Zuvor betreute Bergler bei McKinsey & Company Kunden aus verschiedenen Branchen, war Head of People & Culture bei einem Start-up und verantwortete später, zurückgekehrt zu McKinsey, die Personalentwicklung deutschlandweit für zwei Branchen. Zuletzt war sie dort europäische Personalleiterin für den Bereich Advanced Industries und wurde kürzlich als HR Top Voice 2023 von Personio ausgezeichnet.