StartInnovationTechDigitalisierungsexpertin Ingrid Brodnig: „Gefahr, dass Menschen an der Realität zweifeln“

Digitalisierungsexpertin Ingrid Brodnig: „Gefahr, dass Menschen an der Realität zweifeln“

Wie stark beeinflusst Künstliche Intelligenz heute schon die Integrität von Wahlkämpfen? Ingrid Brodnig erklärt, welche neuen Möglichkeiten KI-Tools für die politische Kommunikation eröffnen und welche Gefahren durch Fälschungen, Bots und algorithmische Manipulation entstehen.

Frau Brodnig, wie hat sich der Einsatz von Technologien in der politischen Kommunikation in den letzten Jahren entwickelt und welche Rolle spielt die Künstliche Intelligenz dabei?

Ich würde sagen, dass vieles in der Politik noch „low tech“ ist. Aber wir sind jetzt an einem Wendepunkt, an dem KI-Tools leicht zugänglich sind. Es wird möglich, Fälschungen zu erstellen oder emotionalisierende Bilder mit KI zu machen. Die große Frage ist, ob KI künftig unfairere Attacken begünstigen wird. Hochprofessionelle politische Kommunikation ist schon stark technologiegetrieben, etwa durch Social-Media-Analyse Tools und Newsletter-Systeme in Wahlkämpfen.

Wie werden spezifische KI-Techniken wie Bots, Deepfakes und algorithmische Manipulation zur Beeinflussung von Wahlen eingesetzt?

Deepfakes und Fake-Audioaufnahmen könnten eingesetzt werden, um Politiker:innen in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen. Zum Beispiel wurde in Großbritannien eine gefälschte Tonaufnahme des britischen Premierministers Keir Starmer veröffentlicht, in der er angeblich unfreundlich zu seinem Team spricht. Solche Fake-Audios könnten auch in Österreich auftauchen, um Politiker:innen zu diffamieren. Ein weiteres Beispiel: Bilder von Donald Trump, die ihn inmitten von Schwarzen zeigen, wurden von KI erstellt, um den Eindruck zu erwecken, er sei bei Afroamerikanern beliebt. Diese Bilder waren aber erkennbar KI-generiert, etwa durch typische Fehler wie eine seltsam dargestellte Schrift. Solche Scheinrealitäten durch KI könnten auch bei Wahlkämpfen eingesetzt werden. Auch ist möglich, dass Bots vor Wahlen eingesetzt werden. Und abseits solcher manipulativer Taktiken muss man von geschickten Methoden der Online-Mobilisierung ausgehen – also dass Parteien zum Beispiel über Messenger-Gruppen ihre Hardcore-Fans zu Likes anstacheln oder an Votings teilzunehmen.

Inwiefern tragen soziale Medien zur Verstärkung von politischer Propaganda und zur Emotionalisierung öffentlicher Debatten bei?

Studien zeigen, dass eine kleine Anzahl an hyperaktiven User:innen die Online-Debatte dominiert. Das Internet ist ein Zerrspiegel. Wir sehen oft nur die lautesten und aktivsten Menschen mit besonders großem Anliegen. Das Wichtige ist, sich dessen bewusst zu sein, dass das, was ich online lese, nicht den Durchschnitt der Bevölkerung repräsentiert. Dadurch besteht die Gefahr, dass Menschen die Debatte mitlesen und glauben, so denke die Mehrheit da draußen.

Warum sind rechte Parteien oft routinierter im Umgang mit sozialen Medien als Parteien der Mitte?

Rechtspopulistische Parteien sind Technik-Opportunisten, das bedeutet, dass sie früher und beharrlicher als andere digitale Kanäle benutzen. Sie haben eine sehr kritische Sichtweise gegenüber etablierten Medien, weshalb sie eigene Kanäle aufbauen, um ihr Narrativ zu verbreiten und die klassischen Medien zu umgehen. Diese Technikaffinität beflügelt sie, während andere Parteien ihre Kanäle eher anlassbezogen und daher weniger konsequent nutzen.

„Medienkompetenz ist zentral, um die Demokratie zu verteidigen.“

Welche Auswirkungen hat das auf den politischen Diskurs?

Die Gefahr ist, dass Menschen, die für rechtspopulistische Erzählungen empfänglich sind, ein medienskeptisches bis -feindliches Bild bekommen. Dieses wird zu einer Immunisierungsstrategie. Konkret bedeutet das: Wenn Negatives über eine rechte Partei verbreitet wird, kann diese entgegnen, „…das sind jetzt wieder diese Mainstream-Medien, die unfair berichten“. So findet keine kritische Auseinandersetzung mehr mit der Berichterstattung statt.

Wird die Polarisierung politischer Meinungen und die Verbreitung extremistischer Inhalte durch KI verstärkt?

Es ist zu früh, um das abschließend zu sagen. Aber unfaire Akteurinnen und Akteure könnten großes Interesse an KI haben, um neue Methoden der Desavouierung zu finden, etwa indem sie Gerüchte oder manipulative Inhalte verbreiten. Internationale Beispiele zeigen bereits Ansätze dafür.

Welche langfristigen Auswirkungen sehen Sie durch den Einsatz von KI auf unsere Demokratie und Gesellschaft?

Eine große Gefahr ist, dass Menschen an der Realität zu zweifeln beginnen, wenn reales Bild- oder Audiomaterial als gefälscht dargestellt wird. Außerdem können KI generierte Inhalte Vorurteile verstärken, indem sie zum Beispiel Stereotype reproduzieren. Langfristig stellt sich die Frage, wie wir als Gesellschaft mit der Möglichkeit umgehen, dass die Realität durch KI manipuliert werden könnte.

Welche Maßnahmen sollte die Politik ergreifen, um zukünftigen Herausforderungen im Bereich der KI-gestützten Wahlmanipulation zu begegnen?

Die EU hat bereits Regulierungen beschlossen, wie den Digital Services Act und den AI Act. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob diese Regelungen auch greifen. Falls nicht, könnte es notwendig sein, diese nachzuschärfen. Ich vermute, dass dies notfalls geschehen wird, denn Politiker:innen haben ein großes Interesse an einer Regulierung, da sie oft die ersten Opfer von Desinformation und Hasskommentaren sind.

Welche Rolle spielt die Medienkompetenz der Bevölkerung in der Bekämpfung von Wahlbeeinflussung?

Medienkompetenz ist zentral, um die Demokratie zu verteidigen. Menschen sollten lernen, auf ihre eigenen Emotionen und Feindbilder zu achten und Inhalte kritisch zu hinterfragen. Technische Hinweise auf KI-generierte Inhalte, wie Fehler in Bildern, werden mit der Zeit weniger offensichtlich, sodass das kritische Hinterfragen immer wichtiger wird.

Wie kann man sich vor einem toxischen Online-Umfeld schützen?

Der größte Schutz vor unfairen Attacken ist es, Verbündete zu haben. Unterstützung
durch Freunde und Communitys kann helfen, Wutwellen abzufedern. Zusätzlich sollte man rechtzeitig Expertise von Beratungsstellen wie ZARA oder technischen Spezialist:innen einholen. Am Ende brauchen wir auch eine starke Justiz, die üble Attacken ernst nimmt und verfolgt.

Welche Entwicklungen erwarten Sie in den nächsten Jahren bezüglich KI und politischer Kommunikation? Und welche Herausforderungen kommen diesbezüglich bei Wahlen auf uns zu?

Die große Frage ist, wie brutal ein Wahlkampf wird, da dies beeinflussen könnte, ob KI-Fakes und unfaire Attacken zum Einsatz kommen. KI wird zunehmend professionell genutzt, um personalisierte Videos zu erstellen oder emotionale Bilder zu produzieren. Ich fürchte, dass wir erst am Beginn einer unangenehmen Entwicklung stehen, bei der unseriöse Akteure KI-Tools immer mehr nutzen.


Zur Person:

Ingrid Brodnig, 39, ist Expertin für die gesellschaftlichen Auswirkungen von Digitalisierung und Debattenkultur. Die Autorin und Journalistin hält Vorträge und Workshops und gibt Tipps, wie man auf Phänomene wie Hassrede oder Desinformation reagieren kann. Für ihre Arbeit erhielt Ingrid Brodnig zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Bruno-Kreisky-Sonderpreis für das politische Buch.

Buchtipp:

Ingrid Brodnig, Wider die Verrohung, Brandstätter Verlag, 2024

Über die gezielte Zerstörung öffentlicher Debatten: Strategien & Tipps, um auf Emotionalisierung und Fake News besser antworten zu können. Wer die Strategien hinter der gezielten Verrohung von Diskussionen und des gesellschaftlichen Klimas kennt, kann sich dagegen rüsten.

Fotomaterial(c) GIANMARIA GAVA

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