Vor neun Jahren lancierten Sie Ihre Ärztesoftware „Offisy“. Ich nehme an, Ihr erster Kunde war der eigene Mann, ein Orthopäde?
Stefanie Schauer: Nein, eine ganz lustige Geschichte. Als mein Mann 2017 seine Ordination eröffnete, fragte er mich damals tatsächlich, welche Software er verwenden solle. Ihm war nicht bewusst, wie sehr wir Offisy bereits weiterentwickelt hatten. Er dachte, wir würden das für Physiotherapeuten und Masseure machen. Das war auch am Anfang so. Viele arbeiteten in Gemeinschaftspraxen, und so ergab sich, dass ich mit der Zeit auch von Ärzten angesprochen wurde. Mittlerweile verwenden die Offisy-Software – Ein-Personen-Massageinstitute genauso wie zum Beispiel die Privatklinik Kiprov, die unser System vor zwei Jahren komplett implementierte. Da mussten wir teilweise Datensätze von über 30 Jahren einarbeiten. Im Jahr 2021 übernahmen wir für das Land Oberösterreich die Koordination für die Corona-Schutzimpfung, ein immens wichtiger Auftrag. Denn es gibt knapp 700 Kassenärzte in Oberösterreich, die eingeladen wurden, das Tool mitzuverwenden. Es haben nicht alle genutzt, aber eine große Anzahl hatte damit die Corona-Impfungen koordiniert.
Wie viele Kund:innen haben Sie heute?
Über 5.000.
Bei der Gründung werden Sie sich sicher ein Bild von den Mitanbietern im deutschsprachigen Raum verschafft haben. Wie war damals die Ausgangssituation, wie ist sie heute?
Natürlich gibt es schon lange Ärztesoftware. Aber wir waren einer der ersten, die eine Cloud-basierte Software für Ärzte entwickelt haben. In der „alten“ Welt war Ärztesoftware auch relativ teuer. Selbst Wahlärzte haben gesagt, sie sehen nicht ein, 7.000 Euro Installationsgebühr bezahlen zu müssen und für jedes Update darüber hinaus. Aber mit unserem Abo-System von 150 Euro monatlich konnten sich viele relativ schnell anfreunden. Für Physiotherapeuten oder Kosmetikstudios gibt es freilich eigene, günstigere Pakete.
Jeder Softwarenutzer will nur mehr monatliche Verträge mit kurzen Kündigungsfristen?
Genau. Und komplett automatisiert. Da waren wir einer der ersten in Österreich. Ich bin sehr umtriebig, gehe zu vielen Ärzteveranstaltungen. Außerdem bin ich stolz darauf, eine Entwicklerin im Team zu haben. Man sagt immer, Frauen wären Organisationstalente. Komisch also, dass es in der Technik oder in der Programmierung so wenig Frauen gibt, da braucht es nämlich besonders viel Organisation. Außerdem lässt sich dieser Beruf toll mit der Familie vereinbaren, denn gerade als Programmiererin ist es egal, wann du arbeitest und wie viele Kinder du hast.
„Am Anfang geht man immer total herunter mit dem Preis. Das sollte man nicht machen.“
Historisch gesehen gab es in den Computer-Anfängen tatsächlich viel mehr Programmiererinnen als Programmierer.
Frauen sollten sich dieser Wurzeln wieder mehr besinnen, denn der Job ist gut bezahlt! Darum bin ich sehr froh, dass ich eine weibliche Programmiererin habe.
Sind Sie durch Mundpropaganda bekannt geworden, oder wussten Sie sich als ehemalige Werberin zu helfen?
Ganz ehrlich: Ich bin total naiv an die Sache herangegangen. Ich habe mir gedacht, das ist das beste Produkt überhaupt und es wird sich verkaufen. Es war natürlich nicht so. Nach einem Jahr hatte ich gerade einmal 10 Kunden, die 19 Euro im Monat bezahlten. Am Anfang geht man ja immer herunter mit dem Preis, weil man dankbar für jeden Kunden ist. Sollte man nicht machen.
Wann hat es sich gedreht?
Ein Bekannter, der eine Zeitlang im Silicon Valley gelebt hatte, war nach Linz zurückgekommen und hat mich auf einen Kaffee besucht, weil er sich umschauen wollte, was sich in der Startup- Szene tat. Er selbst hatte bereits erfolgreich einige Firmen aufgebaut, ist teilweise aber auch gescheitert. Mit ihm führte ich eines meiner prägendsten Gespräche als Unternehmerin. Er erkundigte sich, wie viele Kunden ich hätte. Ich dachte mir, so, jetzt fetze ich rein und behaupte, ich hätte 20. Er war völlig schockiert: „Was, so wenig?“ Da wusste ich, es läuft vielleicht doch nicht so cool …
Dann wurde er zu Ihrem Mentor?
Er hat sich einen ganzen Tag zu mir gesetzt und mich mit Fragen gelöchert, bis mir etwas Großes einfiel. Er wollte wissen: „Was ist das Problem deiner Kunden?“ Ich antwortete: „Die Registrierkassa.“ Viele klagten damals, dass sie dauerhaft nicht leistbar wäre. Er sagte: „Was kannst du in der Situation machen?“ – „Ich schenke all meinen Kunden eine Registrierkassa!“ Meinte er: „Schenke sie doch allen Unternehmen in Österreich!“ Somit war die Idee der ersten kostenlosen Registrierkassa in Österreich geboren. Ich habe eine Woche durchgearbeitet. Facebookseiten, Logo, alles haben wir selbst gemacht. Das war unser Durchbruch. Plötzlich waren wir für die Medien interessant, Puls 4 und andere TV-Sender kamen. Innerhalb von zwei Monaten hatten wir knapp 20.000 hochqualitative Leads. Als nächstes kam die Problematik mit dem Bluetooth-Drucker. Da habe ich beschlossen: Wir kreieren eine eigene Box, mit der die Leute ihre Belege drucken können. Interessanterweise haben sich vor allem medizinische Berufe von unserer Registrierkasse angesprochen gefühlt.
Was war Ihr Part bei dem Ganzen – abgesehen davon, dass Sie es verstanden, die richtigen Leute um sich herum zu versammeln und Werbekampagnen zu gestalten?
Ich bin eine irrsinnig gute Verkäuferin. Dennoch hatte ich das Problem, dass die Kunden anfänglich keine Zusatzfeatures kaufen wollten. Das kennt man aus der App-Problematik: Solange du eine App relativ gut kostenlos nutzen kannst, kaufst du nichts. Damit stand ich vor der nächsten Herausforderung. 2016 hatte ich dann für mich beschlossen: Ich habe lieber 100 zahlende Kunden, als ganz viele, die mich zwar in den Himmel loben, aber nichts bezahlen. Das war der richtige Schritt. Danach konnte ich einen Budgetplan machen und Mitarbeiter anstellen. 2016 hat mich mein Mann auch noch gefragt, ob wir heiraten wollen. Das haben wir 2017 getan und 2018 ist unser erstes Kind gekommen. Danach ist alles professionell geworden. Musste ja.
„Wenn ich Lebensläufe ins Bessere lenken kann mit einer kleinen Spende, dann tue ich das.“
Parallel zu „Offisy“ starten Sie immer wieder beachtliche Charity-Aktionen, die gar nicht zwingend mit Ihrem Kernbereich zu tun haben?
Während des ersten Lockdowns hatte ich viel Zeit zum Nachdenken und bin zu dem Schluss gekommen: Eigentlich bin ich sehr privilegiert. Ich habe einen tollen Mann und überhaupt eine tolle Familie. Gewalt kenne ich nicht, und finanzielle Sorgen hatte ich im privaten Umfeld auch noch nicht. Zeitgleich haben sich immer wieder Kundinnen bei mir gemeldet und über ihre beruflichen Sorgen geklagt. Da war eine Dame, die die Eröffnungsfeier ihres Kosmetikstudios geplant hatte. Davor haben wir so viel gearbeitet, ein Fotoshooting gemacht, sie hat die Software umgestellt. Alles wäre perfekt gewesen, doch plötzlich war ihr Leben auf den Kopf gestellt – noch dazu hat sie drei Kinder. Ihr Mann, ein Psychiater, war ebenfalls in dieser Zeit besonders gefragt. Sie war voll gefordert an allen Fronten – als Mutter, Ehefrau, Chefin, Lehrerin für ihre Kinder. Das gab mir den Anstoß, ein Halte-Durch-T-Shirt für meine Kundinnen zu machen. Auf dem T-Shirt stand: „Mom, Wife, Boss, Teacher“. Dann habe ich noch eine Karte dazugelegt: „Gratuliere dir, du schaffst das!“ So viele haben sich bedankt und rückgemeldet: „Ich hätte sowas gern auch für meine Freundin“. Da dachte ich mir: Naja, wenn das alle haben wollen, dann verkaufe ich es und spende den Reinerlös dem Linzer Frauenhaus, da zum damaligen Zeitpunkt die Zeitungen und Medienberichte voll waren, dass in so vielen Familien Gewalt ausbricht und Frauen einfach die sind, die es am härtesten trifft. Am Ende kamen mehrere 1.000 Euro zusammen. Das hat mir total Kraft gegeben, etwas bewegen zu können.
Dem sind mittlerweile weitere Aktionen gefolgt – gehen die Erlöse immer an Frauenhäuser?
Das hat mit einer persönlichen Geschichte zu tun. Eine Freundin, mittlerweile 47 Jahre alt, hatte sich mir einmal anvertraut, wie ihr Leben als Kind war, nämlich, dass der Vater die Mutter und sie geschlagen habe. Als sie 15 war, ist ihnen die Flucht von daheim gelungen, und sie wurden im Linzer Frauenhaus untergebracht. Ab dem Zeitpunkt hat sich ihr Leben zum Positiven gewendet. Sie hat ihr Abitur gemacht, studiert, ist eine erfolgreiche Juristin geworden. Mich hat das damals total getroffen, wie sie das alles erzählt hat. Wenn ich also Lebensläufe ins Bessere lenken kann mit einer kleinen Spende, dann tue ich das.
GESUND HÖREN
Das jüngste Projekt von Stefanie Schauer ist ihr „Offisy“-Podcast – jeden Donnerstag neu. Ziel ist es, Gesundheitswissen von Top-Mediziner:innen und Therapeut:innen für alle Menschen zugäng- lich zu machen und damit auch das Gesund- heitswissen zu stärken. Alle Episoden gibt es auf den gängigen Podcastportalen. Überblick unter: www.offisy.at/podcast