Während in Austin, Texas gerade bei der South by Southwest – dem größten Digital-Festival weltweit – darüber diskutiert wird, wie stark Virtual Reality in unseren Alltag einkehren wird, menschliche Bindungen in der „Disconnection“ weiterbestehen oder Extended Reality, also die Verschmelzung von virtuell und real, im öffentlichen Raum eingesetzt werden kann, findet bei uns in Europa die Veröffentlichung einer interessanten Jugendstudie statt.
Erst vor wenigen Tagen präsentierte die österreichische Top-Interviewerin Claudia Stöckl in ihrer Ö3-Radiosendung „Frühstück bei mir“ die Ergebnisse der Untersuchung „Generation What“, an der sich europaweit 900.000 (!) Menschen zwischen 18 und 34 Jahren beteiligt hatten. Zu den erstaunlichsten Ergebnissen zählte eine gewisse Abgeturntheit, was das Digitale betrifft. So gaben 54 Prozent an, ohne Internet und 61 Prozent ohne ihr Smartphone glücklich sein zu können (= öster. Befragte). Hingegen würden aber nur 7 Prozent auch ohne Freundinnen und Freude glücklich sein. Von der Liebe wollen wir erst gar nicht reden. In einem Satz zusammengefasst: Der direkte menschliche Kontakt ist einer der wesentlichen Treiber für Glück. Der Sozialwissenschafter und Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier, der sein Institut von Hamburg aus leitet und Stöckls Gast war, bestätigte diese Zahlen +/- für Deutschland. Und die österreichische Bundesschulsprecherin Alexandra Bosek, ebenfalls Teil der Runde, unterstrich dieses gezeichnete Bild der „Generation What“ mit klugen, sympathischen Worten.
Erlauben wir uns ein kurzes Gedankenspiel und setzen diese Zahlen auf die Arbeitswelt um, dann bedeutet das: Das Experiment Homeoffice, das uns im letzten Jahr aufgezwungen wurde, hat zwar seine Meriten, wird aber bei Digital Natives nicht unbedingt als Feger Karriere machen. Selbst die jüngere Generation erwärmt sich lieber am guten alten, menschlichen Kachelofen als an Instagram, Snapchat oder WhatsApp. Direkter Austausch, Berührung, Ansprache bleiben somit nach einem Jahr Digital-Bootcamp die wesentlichen Faktoren, wenn es um Produktivität, Kreativität, Weiterkommen und Talente-Scouting geht. Netzwerken und Mentoring werden weiterhin nicht nur auf reiner Wortbasis und ohne direkten Augenkontakt und Körpersprache erledigt werden können, wenn sie effizient und gewinnbringend gestaltet sein wollen. „Vertrauen und Zusammenarbeit sind ganz wichtige Faktoren, die am besten im persönlichen Umgang aufgebaut werden. Sie bedingen Leistung und Wohlbefinden. Die Leistung ist da, das Wohlbefinden aber im Moment nicht“, fasst die deutsche Arbeitspsychologin Silke Weisweiler in einem Interview mit der Süddeutsche Zeitung den Status Quo zusammen.Welch schöne Erkenntnis in der unschönen, momentanen Lage.
Ein Jahr Eingesperrtsein in Digitalien hat aber auch Gutes gebracht. Es hat uns von einer fast schon krankmachenden Selbstoptimierung befreit – denn mit Zoom, Teams& Co kam der Blick in ungeschminkte Gesichter und Wohnzimmer. Es hat uns alle ein bisschen gleicher gemacht, mit unseren gleichen Sorgen, Arbeit und Alltag miteinander zu kombinieren, technologische Learnings nachzuholen oder zu adjustieren, am Ball zu bleiben und im wahrsten Sinne des Wortes, nicht von der Bildfläche zu verschwinden. Außerdem wird es einen verantwortungsvolleren Umgang mit den Ressourcen (Stichwort Arbeitsfahrten und -reisen) hinterlassen. Und am Ende zu einer ausgewogeneren Arbeitsform führen, bei der Remote Work mit Büroarbeit gleichgesetzt wird. So lässt sich auch die Vorstellung von „Flexibilität“ positiv befeuern.
Die vergangenen 12 Monate haben uns vor allem einen wertvollen Lernprozess aufgezwungen: Nämlich, dass wir uns wieder stärker jener Eigenschaften besinnen, die unser Zusammenleben ausmachen. Und Technologie nicht als Allheilmittel anbeten, sondern sie dort einsetzen, wo sie das Leben tatsächlich erleichtert. „Die richtige Mischung aus menschlicher und digitaler Arbeit“ sei jedem Computer „noch immer um Längen überlegen“, schrieben die Digitalisierungs-Koryphäen und MIT-Wissenschafter Erik Brynjolfsson und Andrew McAffee in ihrem Bestseller „The Second Machine Age“ 2013. Aber erst das vergangene Jahr hat unter Beweis gestellt, wie recht sie haben.
Von Michaela Ernst stammt auch das Buch „Error 404. Wie man im digitalen Dschungel die Nerven behält“ (Ecowin, 2020). Darin setzt sie sich mit den Fallstricken und positiven Entwicklungen der Digitalisierung auseinander und zeigt auf wie man inmitten modernster Technologien kühlen Kopf bewahrt.
Zur South by Southwest (SXSW), die bis Samstag, den 20. März dauert, kann man sich nach wie vor anmelden: https://www.sxsw.com