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„Arbeit, die man selbst wirklich will“

Birgit Gebhardt ist Trendforscherin und beschäftigt sich mit New Work Themen. Mit SHEconomy spricht sie über die aktuellen Herausforderungen unserer Zeit, künstliche Intelligenz und wie die Arbeitswelt darauf antworten könnte. Weiters ist sie Vortragende bei der diesjährigen New Work Experience 2022 in Hamburg.

Frau Gebhardt, Sie sind Trendexpertin und forschen im Bereich “Zukunft der Arbeitswelt”. Welche Tätigkeiten kann ich mir unter dem Begriff Trendforscherin vorstellen?

Ich arbeite eigentlich wie eine Fachjournalistin, beschäftige mich viel mit Recherche, Lesen, Studien auswerten, etc. aber besuche auch Pioniere vor Ort, beobachte Auffälligkeiten oder stelle Fragen zu Veränderungen. Vor allem das Neue gilt es zu analysieren und dann Entwicklungsstränge zusammenzuführen. Meist unter einer gezielten Fragestellung, in meinem Fall vielfach zur Frage, wie und wo Menschen in Zukunft Wissensarbeit erledigen werden und wie das die Arbeitswelten verändern wird. 

Welche Projekte liegen bei Ihnen gerade am Tisch?

Gerade habe ich die letzten Korrekturen zur Studie „Die Macht des Raums” abgegeben, ein Dossier, das schon vor der Orgatec zur New Work Experience erscheinen wird. Im Auftrag des Industrieverbands Büro- und Arbeitswelt (IBA e.V.) habe ich darin untersucht, wie die hybride Zusammenarbeit unsere Präsenzkultur im Büro verändert und erforscht, wie sich unsere Performanz in physischen Räumen gegenüber virtuellen darstellt. Außerdem gibt es acht Vorträge, die ich im Juni noch halte und die ich kundenindividuell verfassen möchte.

„Arbeit, die man selbst wirklich, wirklich will“

Inflation, Pandemie, der Krieg in der Ukraine und die immer weiter steigenden Lebenshaltungskosten – gab es je eine Zeit, in der es mehr Veränderungen und Umbrüche gegeben hat, besonders in Hinblick auf die Arbeitswelt?

In der Trendforschung hat man früher von langen Wellenbewegungen nach dem Kondratieff-Modell gesprochen. Wo also auf die Dampfmaschine die Eisenbahn, dann die Petrochemie, das Auto und schließlich die Informationstechnologie folgten. Seither überschlagen sich die Wellen, Krisen befeuern die VUCA-Tendenz – die Herausforderungen, denen sich Unternehmen in einer zunehmend digitalisierten Welt stellen müssen – und überhaupt scheinen unsere linearen Strukturen weder zu den disruptiven Phänomenen, noch zu der neuen Kreislaufwirtschaft zu passen. Vernetzung hat eben kein Anfang oder Ende, oben oder unten und zeigt uns dennoch, wie abhängig alles von allem ist.

Seit wann ist das New Work Thema so brisant? Ist es bereits seit Corona in den Fokus gerückt oder vielleicht doch schon früher?

Nun die Zelle, die sich Ende der 1980 er um den Sozialphilosophen Frithjof Bergmann und dessen New-Work-Bewegung gruppierte, gilt heute als der Keim einer Bewegung, die für mein Empfinden erst Anfang der 2000er Jahre als digitaler Ruck durch die gesamte Wirtschaft ging. Mit der Automatisierung stellte sich die Frage nach der Arbeit, die beim Menschen verbleiben wird und wurde damit auch eine gesellschaftliche und volkswirtschaftliche. Vor allem der Wandel in der Kommunikation und die Teilhabe durch soziale Medien haben den New Work Trend beflügelt. Ich arbeite seit jetzt gut 10 Jahren an dem Trend, der sich immer weiterentwickelt, und habe gerade die fünfte Studie dazu verfasst. 

Für welche Art von Person bringen die Veränderungen – weg vom tradierten Arbeiten und hin zu New Work-Konzepten – etwas?

Frithjof Bergmann, der den Niedergang der Automotive Industrie in Detroit begleitete, dachte an alle Werktätigen. Er wollte das Arbeitsleben splitten in Anteile der Erwerbsarbeit, der sozialen Arbeit und der Arbeit, die man selbst ‘wirklich, wirklich will’. Sein Konzept implizierte ein sehr idealistisches aber grundlegendes Verständnis von New Work. Die Unternehmen, die von der Fish & Chips Kette bis zur IT-Consultancy gerade in England die 4-Tageswoche bei voller Lohnbeibehaltung erproben, adressiert auch alle, schlagen als New Work aber eigentlich nur ‘weniger Work’ vor, was – wenn es dann wieder für alle so fixiert werden soll – eigentlich keine New Work Errungenschaft ist. New Work meint neue Konzepte der freieren Zusammenarbeit, will Menschen zum Lernen und zur Entwicklung bewegen, fragt nach neuen Methoden, um komplexe Sachverhalte lösen zu können und soll Individuen selbst organisiert zu unternehmerischem Denken anleiten. Ehrlicherweise muss man sagen, dass sich viele der New-Work-Merkmale explizit an Angestellte oder Selbstständige in der Wissensarbeit richten und ich trotz oder auch mit New Work eine Spreizung des 2-Klassen-Arbeitsmarktes beobachte. Für viele der gesellschaftlichen Ideale gibt es ökonomisch noch keine überzeugende neue, tragfähige Lösung. 

„Wenn wir Arbeit richtig verstehen, werden Menschen arbeiten wollen“

Denken Sie, dass es vielen Unternehmen und Menschen schwerfallen wird, gewohntes beiseite zu legen und neue Wege auszuprobieren? Was können Sie diesen Menschen raten?

Der Mensch entwickelt sich nur weiter, wenn er Neues ausprobiert. Je mehr Einblicke ich gewinnen konnte, umso mehr verspreche ich mir von der Zukunft, dass sie sich nicht technisch anfühlen wird, sondern die vernetzte Intelligenz dem Menschen zuwendet. Die Algorithmen sind darauf programmiert uns kennenzulernen, – doch dafür sollten wir uns bei der Arbeit nicht länger wie Maschinen verhalten. Um 200 Jahre Industriekultur abzuschütteln, kann eine Pandemie helfen. Besser wäre, wir gewännen eine eigene Vorstellung von dem, wie eine humanzentrierte Arbeitswelt funktionieren sollte. 

Sie sagen, dass wir in Zukunft die natürliche Intelligenz neben der künstlichen darstellen werden. Das finde ich spannend – in welcher Hinsicht heben wir uns in betrieblichen/professionellen Prozessen von der künstlichen Intelligenz ab? Ist diese nicht – abgesehen auf emotionale Fähigkeiten – nicht leistungsfähiger, effizienter und letztendlich besser?

Ja, die Systeme sind leistungsfähiger, effizienter, sicher auch intelligenter aber nicht ‘letztendlich besser’, denn es geht ja um das Zusammenspiel mit uns. Und da bleibt der Mensch noch die Unbekannte. Selbst hochautomatisierte betriebliche Prozesse sind nicht frei von plötzlichen äußeren Einwirkungen, auf die notfalls im Trouble Shooting reagiert werden muss. Hinzu kommt, dass immer kundenindividueller ausgesteuert werden muss, was den Menschen in zweifacher Hinsicht ins Spiel bringt: Zum einen über die emotionalen Fähigkeiten, die für unsere Entscheidungsfindung und Arbeitsverfassung so bedeutend sind, dass wir sie nicht in einem Nebensatz abtun sollten. Zum anderen geht es aber auch um ethische Analysen, das Festlegen qualitativer Kriterien und rationale Rahmenbedingungen, in denen die Prozesse laufen sollen. Auch die sollten weiterhin Menschen gestalten. 

Der Mensch wird immer arbeiten müssen, doch wie denken Sie werden wir in Zukunft arbeiten? Wo werden die großen Veränderungen liegen, die Vorteile und die Nachteile?

Wenn wir Arbeit richtig verstehen, werden Menschen arbeiten wollen. Es ist schade, dass die Worte „arbeiten“ oder „lernen“ sofort mit Mühe oder Pflicht assoziiert werden und es zeigt, wie begrenzt wir sie bisher interpretiert haben. Doch im Zeitalter der intelligenten Vernetzung überbrückt die allgegenwärtige Kommunikation zwischen Menschen, Maschinen und Medien unsere säuberlich angelegten Grenzen. Übersetzt Sprachen und verbindet Wissen, beflügelt Geschäftsmodelle, die den Kunden in den Mittelpunkt stellen, entwickelt branchenübergreifende Plattformen für individuelle Services, lässt Kultur und Kommerz in der „Customer Journey“ zusammentreffen, erfordert von Wirtschaft und Wissenschaft die Anlage zu mehr gesellschaftlicher und nachhaltiger Innovationskraft.

„Arbeit ist nach wie vor existenziell wichtig, die Zugänge und Erlöse sind weltweit noch immer ungerecht verteilt“

Natürliche Intelligenz verbindet sich mit künstlicher, Inhalte verbinden sich mit Interessen, Talente mit Tätigkeiten. So erscheint es vollkommen natürlich, dass sich alte, vereinheitlichende Strukturen zugunsten von Agilität und Vielfalt auflösen, Organisationen sich als lernende Organismen neu verstehen und über ihre Köpfe und Kunden allmählich zu atmen beginnen. Die Arbeitswelt wird sich mit der Lebenswelt vernetzen und der Mensch sein Kompetenz- und Wirkungsspektrum für diese und alle erweiterten Realitäten neu ausrichten.

Die Nachteile sind alle schon bekannt, aber nicht die Schuld der Systeme. Sie resultieren aus dem Festhalten am Alten, obwohl es nicht mehr passt und aus Mangel an Vorstellung, Verständnis und Mut für das Neue. 

Arbeit ist nach wie vor existenziell wichtig, die Zugänge und Erlöse sind weltweit noch immer ungerecht verteilt, und jetzt stellen sich angesichts von Künstlicher Intelligenz und Überproduktion die System- wie auch die Sinnfrage. In diesem Wandel der Betrachtung kann die Chance liegen, die wir ergreifen sollten.


©Rebecca Hoppé

Zur Person: Birgit Gebhardt erforscht die Zukunft der Arbeitskultur. Seit 2012 publiziert der Industrieverband Büro und Arbeitswelt e.V. (IBA) ihre Erkenntnisse aus Experteninterviews, Beratungsprojekten und Reisen. Bereits 2016 formulierte sie in der New-Work-Order-Studie ‚Kreative Lernwelten’ die Chance der Lernwelt als neuen Auftrag für das Büro. Zur New Work Experience erscheint ihr Special „Die Macht des Raums“. Grundlage ihrer Beratungstätigkeit für Swisscom Immobilien, Xing oder Lufthansa bilden 12 Jahre Projektmanagement im Trendbüro, das sie vor ihrer eigenen Gründung auch als Geschäftsführerin leitete.

Birgit Gebhardt ist dieses Jahr Votragende auf der New Work Experience 2022 (NWX22), das größte Event zur Zukunft der Arbeit im deutschsprachigen Raum! Zum fünften Mal findet die erfolgreiche Konferenz mit rund 2.000 Teilnehmern einen ganzen Tag lang in der spektakulären Elbphilharmonie in Hamburg statt. Informationen zum Event erhalten Sie hier. Einige Inhalte der NWX werden auch via Livestream für alle XING-Mitglieder zur Verfügung stehen – nähere Infos zum Livestream-Programm und Co. gibt es hier.

 

 

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