Elisabeth Wagner ist Beraterin bei der international tätigen Unternehmensberatung McKinsey, Doktorandin und Mutter einer Tochter. Im Interview hat sie uns erzählt, wie sich die Unternehmensberatung verändert hat, welche gesellschaftlichen Hürden unbedingt noch abgebaut werden müssen und wie sie Erfolg definiert.
Sie sind 2014 bei McKinsey eingestiegen. Wie hat sich die Unternehmensberatung seit damals verändert?
Die Unternehmensberatung war immer schon ein spannender und fordernder Bereich und ist es auch heute noch. Die Tätigkeit ist aber definitiv noch vielseitiger geworden. Als ich 2014 bei McKinsey eingestiegen bin, gab es hauptsächlich GeneralistInnen, also Beraterinnen und Berater, die über ein sehr breites Wissen verfügten und übergreifende strategische Fragen beantworten. Heute ist die Beratung um ein Vielfaches diverser aufgestellt, thematisch, aber auch in der Belegschaft. Nur etwa die Hälfte unserer Consultants hat Wirtschaftswissenschaften studiert. Dadurch kommt automatisch eine viel größere Bandbreite an Ideen zustande.
Wenn wir schon über Diversität sprechen, würde mich auch interessieren, wie es in puncto Gender Equality bei McKinsey aussieht?
Das ist für uns ein ganz wichtiges Thema. Es ist in dieser Hinsicht schon viel passiert und McKinsey steckt sich diesbezüglich auch weiterhin hohe Ziele. Bei unseren Praktikantinnen und Praktikanten haben wir mittlerweile ein ausgeglichenes Verhältnis erreicht. Es ist unser erklärtes Ziel, das auch bei Neueinstellungen zu schaffen und mittelfristig auf allen Unternehmensebenen hinzukriegen. Wir wissen, dass Frauen bei uns genauso erfolgreich sind wie Männer, müssen sie aber noch stärker für die Beratung begeistern und dazu bewegen, sich auch zu bewerben. Ich denke, da gibt es noch einige Hürden.
Wie könnten diese Hürden aussehen? Welche Rolle spielt es dabei, dass die Unternehmensberatung eine sehr arbeitsintensive Branche ist?
Wir wissen aus der Wissenschaft, dass sich Frauen häufig erst dann bewerben, wenn sie sehr hohe Erfolgschancen sehen. Männer hingegen neigen eher dazu, es einfach darauf ankommen zu lassen. Wir merken, dass wir Männer bereits sehr gut erreichen – bei den Frauen gibt es aber noch Verbesserungspotenzial und daran arbeiten wir ganz intensiv. Im Laufe der Karriere spielt dann das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine immer größere Rolle. McKinsey bietet an dieser Stelle verschiedene unterstützende Programme für Eltern. Wichtig ist uns hierbei, dass das Thema Familie Frauen wie Männer gleichermaßen betrifft. Aus Umfragen wissen wir, dass es auch den meisten Vätern wichtig ist, ausreichend Zeit mit der Familie zu verbringen. Mit unserer »All-In-Initiative« zur besseren Vereinbarkeit wollen wir ganz bewusst sowohl Mütter als auch Väter ansprechen. Ich kann auch aus Erfahrung berichten, dass viele meiner männlichen Kollegen für längere Zeit in Elternkarenz gehen. Das ist der große Vorteil am Projektgeschäft – man kann sich für eine Weile zurückziehen und fehlt nicht in einer Linienfunktion.
Welche Erfahrungen haben Sie in dieser Hinsicht gemacht?
Als ich Mama geworden bin, habe ich mich zuerst auch gefragt, wie das alles funktionieren soll. Da verändern sich einfach alle Prioritäten und plötzlich ist da dieses kleine Kind, das der neue Mittelpunkt des Lebens ist. Ich wurde dann aber sehr gut von meinen KollegInnen aufgefangen und abgeholt – Eltern bei McKinsey sind sehr gut vernetzt. Nach der Elternzeit gibt es bei McKinsey viele verschiedene Optionen, wie man wieder in den Job zurückkehren kann: von Teilzeit über Jobsharing bis hin zu Wechsel auf eine interne Position ist alles dabei. Hier bietet die Beratung vermutlich deutlich mehr Flexibilität als andere Berufsbilder.
Was finden Sie an der Unternehmensberatung heute besonders reizvoll und wie hat sich das im Laufe Ihrer Karriere verändert?
Mich reizt an meiner Arbeit, dass wir mit unseren Klientinnen und Klienten an den großen, aktuellen Herausforderungen unserer Zeit arbeiten dürfen. Außerdem lerne ich jeden Tag dazu und entwickle mich weiter. Das ist mir sehr wichtig. Anfangs fand ich auch das Reisen sehr spannend, inzwischen freue ich mich auch über Wochen, die ich in Wien verbringen darf. Aber gemeinsam mit KollegInnen und KlientInnen an den spannendsten Themen arbeiten zu dürfen, das ist wirklich ein Privileg und bringt auch eine Verantwortung mit sich, derer ich mir natürlich bewusst bin.
Wie haben sich während dieser Zeit die Herausforderungen verändert?
Wir merken ganz klar, dass die Herausforderungen viel globaler geworden sind. Digitalisierung, Klimawandel und aktuell auch Corona bestimmen alle Branchen und werden immer relevanter. Diesen Herausforderungen kann sich kein Unternehmen entziehen. Zu meiner Anfangszeit gab es solch große Themen, die sich quer durch alle Branchen ziehen, noch nicht in diesem Ausmaß.
Sie sind nicht nur Mutter einer kleinen Tochter, sondern absolvieren gerade auch ein Doktoratsstudium. Wir bekommen Sie das alles unter einen Hut?
Im Moment bin ich von McKinsey für mein Doktorat im Rahmen des Educational Leave von der Projektarbeit freigestellt. Dieses Angebot richtet sich an Beraterinnen und Berater, die als Diplom- oder Master-Absolventen im Rahmen des so genannten Fellow-Programms bei McKinsey eingestiegen sind. Sie können sich nach zwei Jahren als Consultant freistellen lassen, um einen weiteren akademischen Abschluss zu erwerben. Das Gehalt wird angehenden Doktoranden oder MBA-Studierenden bis zu einem Jahr lang voll weitergezahlt. In dieser Zeit habe ich auch meine kleine Tochter bekommen. Derzeit genieße ich die Flexibilität, die mir dieses Modell bietet sehr, freue mich aber auch schon wieder auf den Wiedereinstieg in die Projektarbeit.
Wie definieren Sie Erfolg?
Für mich hat Erfolg sehr viel mit dem Erreichen von selbstgesetzten Zielen zu tun, die im Einklang mit den eigenen Werten stehen. Für mich persönlich bedeutet das zum Beispiel an der nachhaltigen Entwicklung der Welt mitzuwirken. Außerdem möchte ich möglichst viele Menschen um mich herum fördern, inspirieren und motivieren. Gemeinsam Erfolge zu erreichen ist immer besonders schön.
»Vor zehn Jahren ging beruflicher Erfolg noch stark mit Statussymbolen, Titeln und beruflichen Positionen einher. Das hat sich in letzter Zeit auf jeden Fall verändert.«
Glauben Sie, dass sich in unserer Gesellschaft die Definition von Erfolg in den vergangenen Jahren verändert hat?
Vor zehn Jahren ging beruflicher Erfolg noch stark mit Statussymbolen, Titeln und beruflichen Positionen einher. Das hat sich in letzter Zeit auf jeden Fall verändert. Auch bei unseren BewerberInnen merken wir das ganz stark – die nächste Generation hat andere Prioritäten. Die Frage, wie man bei McKinsey mithelfen kann, die Welt nachhaltiger zu gestalten, hören wir sehr oft. Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie spielt eine größere Rolle als früher. Flexibilität und Impact sind die neuen Statussymbole. Die Menschen möchten sich in ihrer Tätigkeit wiederfinden und einen positiven Einfluss haben.
Hatten Sie schon einmal das Gefühl, dass Sie sich in größerem Ausmaß beweisen oder durchsetzen mussten als Ihre männlichen Kollegen?
Ja, definitiv, das ist aber nicht nur in der Beratung so. Ich denke, dass die meisten Frauen in Berufen, die mit viel Verantwortung einhergehen, solche Situationen schon erlebt haben. Meiner Erfahrung nach muss man als Frau oft anfangs die eigenen Kompetenzen stärker unter Beweis stellen, als viele männliche Kollegen. Bei diesen wird einfach von vornherein angenommen, dass sie kompetent sind. Sobald man sich als Frau aber diese Stellung erarbeitet hat, empfinde ich es teilweise sogar als Vorteil, weil man als junge Frau eben auffällt und jedem bewusst ist, dass es mehr Frauen in ganz vielen Bereichen braucht. Das ist eine Chance!
Wie geht McKinsey mit diesem Thema um?
McKinsey befasst sich als Unternehmen sehr aktiv mit diesem Thema. Es gibt bei uns zahlreiche Schulungen und Kampagnen, die alle MitarbeiterInnen auf unbewusste Vorurteile und geschlechterspezifische Zuschreibungen sensibilisieren. Dadurch sind alle auf einem Wissensstand und es kann bewusst gegengesteuert werden, wenn sich unfaire Dynamiken ergeben – man als Frau beispielsweise immer wieder unterbrochen wird. Darüber hinaus unterstützt McKinsey alle Mitarbeiterinnen im Rahmen von spezifischen Angeboten und Netzwerken sich beruflich und persönlich weiterzuentwickeln. Der Zusammenhalt unter den weiblichen Beraterinnen ist sehr stark und wir tauschen uns regelmäßig aus. Ich denke gerade für Frauen ist es unheimlich wichtig, sich untereinander zu vernetzen und zu unterstützen. Also zum Beispiel einander vorzuschlagen und mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
Welche Rolle spielen Role Models in Ihrem Leben?
Eine große Rolle – und dabei finde ich es besonders wichtig, auch weibliche Vorbilder zu haben. Mein Einstieg bei McKinsey war auch von einer jungen Partnerin motiviert, die ich unglaublich inspirierend fand. Ich durfte dann auch viel von ihr lernen. Junge Menschen brauchen einfach Menschen, mit denen sie sich identifizieren können. Wenn man darüber nachdenkt, wie viel Talent verloren geht, weil Menschen nicht ausreichend repräsentiert sind und sichtbar gemacht werden, ist das schon erschreckend. Deshalb müssen unbedingt auch die Führungsgremien diverser werden – erst dann erneuert sich das System.
Was würden Sie jungen Absolventinnen gerne mit auf den Weg geben?
Ich würde jungen Frauen raten, ihre Karriere und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und aktiv zu steuern. Dafür muss man wissen, was man möchte und das auch offen kommunizieren – nur so können Menschen um einen herum einen dabei auch unterstützen. Man darf sich ruhig trauen, mutig zu sein! Auch wichtig: Egal, wo einen der Karriereweg hinführt – man wird immer mit Menschen zu tun haben. Diese persönliche, menschliche Ebene muss man gut pflegen – selbst fair und verlässlich sein, um Rat fragen und um Hilfe bitten, Probleme offen ansprechen. Und bei allem Fokus auf die Karriere darf man außerdem das Privatleben nicht vergessen. Im Beruf ist man immer ersetzbar – für Familie und Freunde nicht. Das sollte man nie vergessen.