Die Einstellung, wie man Wein macht, ändert sich. „Unsere Väter haben sich ganz stark an Zahlen, Daten und Analysen orientiert und Arbeitsschritte sowie ein striktes Rezept befolgt. Sie wollten bloß keine Fehler machen“, erzählt Christina Artner-Netzl. „Ich hingegen“, fährt sie fort, „überlege mir heute, ob dieses festgeschriebene Vorgehen wirklich notwendig ist. Denn es ist arm an Risiko – aber auch an Charme.“
Die 39-jährige Winzerin verlässt sich bei ihrer Arbeit zwischen Weinberg und -keller nicht nur auf ihre Intuition, sondern auch auf ihre Geschmacksknospen. Ein Novum, das offenbar damit zu tun hat, dass die Niederösterreicherin eine der „jungen Wilden“ der Region Carnuntum, eine der ältesten – schon die Römer bauten hier Wein an – und, mit knapp 1.000 Hektar Weinbergen, eine der kleinsten Weinregionen des Landes, ist. „Meine Generation hinterfragt viel mehr und kostet direkt“, bringt sie den Unterschied zu ihrem Vater, Franz Netzl, auf den Punkt.
„Ich spiele nicht immer nach traditionellen Regeln. Lieber prüfe ich frei, wie ich Weine variieren kann.“
Christina Artner-Netz
Die Sorten Zweigelt und Blaufränkisch sind die unumstrittenen, roten Stars in Carnuntum. Während erstere als recht junge Rebsorte, gezüchtet ab 1922, die Region groß gemacht hat, tat sich zweitere erst später, ab den 2000er-Jahren, groß hervor. Was die Weine so charakteristisch macht: Die geografische Lage zwischen zwei Gebirgszügen bedingt, dass Regentropfen und Nebel in den Weinbergen in sprichwörtlicher Windeseile abtrocknen.
Die Folge für die Weine: Den Top-Zweigelt macht eine straffe Kernigkeit aus, die von Jahrgang zu Jahrgang geschliffener wird. Der Blaufränkisch hat indes eine animierende Aromatik entwickelt, die ihm internationale Beachtung eingebracht hat und die Winzerinnen zum Weitertüfteln motiviert.
Wenngleich Carnuntum für Rotweine bekannt ist, ist auch der Weißwein sehr gut aufgestellt, der etwa die Hälftedes Anbaugebiets füllt. Wie in Niederösterreich üblich, dominiert auch hier der Grüne Veltliner. Wenn man über ihren Zweigelt Ried Haidacker in Göttlesbrunn spricht, huscht ein Lächeln über ihr Gesicht, und sie sagt: „Ich spiele nicht immer nach den traditionellen Regeln. Lieber treffe ich viele kleine Entscheidungen und prüfe so, wie ich Weine variieren kann.“ Das Ergebnis? Ein Rotwein, der sich durch seine Frische, Säure und seidige Tannin-Struktur charakterisiert. Ein Drittel hat die Winzerin in der Ton-Amphore ausgebaut statt im Stahltank.
Wein mit Schwein
Den Wein in Amphoren zu lagern, ist die älteste Art, den Rebensaft auszubauen. Was schon vor 8.000 Jahren funktioniert hat, macht die Carnuntum-Winzerinnen heute wieder neugierig. Derzeit laufen Experimente mit unterschiedlichen Gebinden. Das Beton-Ei scheint momentan besonders angesagt, gegenüber dem Ausbau im Fass nimmt das Ei dem Produkt etwas von seiner Säure. Und obwohl der Wein lebendig ist, hält er sich meist gesittet an den Spruch „Der Wein ist gut zu uns, wenn wir gut zu ihm sind“.
„Seit ich unseren Familienbetrieb übernommen habe, gibt es nur noch biologisches Wirtschaften.“
Karoline Taferner
Zum guten Umgang gehört für die Frauen nicht nur ein vielleicht etwas freundlicherer, offenerer Ton, als er früher beim Arbeiten gepflegt wurde, sondern auch eine zeitgemäße Form des Anbaus und Arbeitens im Weinberg. Karoline Taferner, deren Weingut keinen Kilometer von Christina Artner-Netzl entfernt und ebenfalls in Göttlesbrunn liegt, führt ihren Betrieb mit 20 Hektar Anbaufläche allein, die Familie hilft allerdings mit.
Erfahrung und Wissen hat die heute 35-Jährige auch im Ausland gesammelt, unter anderem in Neuseeland. Dort hat sie ihre Leidenschaft zum Weinkeller so richtig entdeckt. Was sie nach der Betriebsübernahme daheim als erstes umgestellt hat? „Ab diesem Moment gab es nur noch biologisches und nachhaltiges Wirtschaften“, sagt sie und betont, dass sie jeden Weinstock persönlich kennt. Taferner läutet mit acht Kolleginnen Hand in Hand ein neues Zeitalter in der Rotweinregion an der Donau ein: Seither leiten Frauen international relevante und erfolgreiche Betriebe in Carnuntum.
Sie alle haben es sich zum Ziel gesetzt, bis spätestens 2028 komplett auf biologische Landwirtschaft umzustellen. Dabei bleibt kein Stein auf dem anderen. Wein und Region sind im Wandel. Dicke Schweine, die zu den nahegelegenen Weinreben hinübergrunzen, und Zuckerrüben, die ihr üppiges Grün am Rande der besten Lagen aus dem Boden strecken – die Weinbauidylle aus den 1950er-Jahren gibt es in dieser Form heute nicht mehr oft. Die meisten Betriebe haben nämlich vor Jahrzehnten die gemischte Landwirtschaft aufgegeben und ihren Fokus auf den Weinbau gerichtet.
„Unsere Weine sind derart Terroir geprägt und so unverwechselbar von hier – das begeistert mich.“
Johanna Markowitsch
Ihr zweites Standbein zum Absichern des Einkommens haben sie damit abgeschnitten. Eine solche Trennung hat bei der Familie Markowitsch übrigens noch nicht stattgefunden. Tochter Johanna (28) zitiert mit einem lauten Lachen ihren Vater Gerhard, der gerne sagt: „Willst du Schwein und Wein, kaufst du beim Markowitsch ein!“ Und auch bei Victoria Gottschuly-Grassl laufen fröhlich die Duroc- und Mangalitza-Schweine durch den Familienbetrieb.
Doch wie sieht moderner Weinbau 2023 in Carnuntum aus? Nachhaltig und enkeltauglich soll das sein, was die Frauen anpacken. Dabei spielt ihnen in die Hände, was andernorts für viel Be- und Umdenken sorgt: der Klimawandel. In Carnuntum stellt dieser eine Chance dar, vor allem für den Rotwein. Gerade in diesem Jahr herrschen geradezu fantastische Bedingungen; in und um Göttlesbrunn ist ein ideales Klimafenster aufgegangen.
Es ermöglicht eine gute Reife der Trauben, die später nicht so mächtig im Alkohol sind, weil es eben so trocken ist. Die französische Spitzenweinregion Bordeaux hingegen leidet unter den sich verändernden Temperaturen und sieht sich mit gravierenden Veränderungen konfrontiert.
„Wein darf Spaß machen“
Apropos Bordeaux: Dort hat sich die international renommierte und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Winzerin Dorli Muhr – sie betreibt übrigens auch eine der erfolgreichsten Wein-PR-Agenturen Europas – einst in den Wein verliebt. Begleitet hat dieser sie und ihre Familie schon lange, wenn auch lediglich als Genussmittel.
Die 58-Jährige erinnert sich, dass ihre Eltern zum Arbeiten auf den Acker fuhren und immer eine erfrischende Mischung aus Wasser und Wein mit dabeihatten. „Das war der beste Durstlöscher für sie“, erzählt sie lachend. In Frankreich habe sie zuerst gelernt, über Weine zu sprechen, und sei dabei „so richtig in die Szene hineingekippt“. In Portugal, wo sie aus privaten Gründen einige Jahre lebte, habe sie einen neuen Blick auf Österreich gewonnen und beschlossen, in ihre Heimat zurückzukehren, um sich eigenhändig an den Wein heranzuwagen.
Alte Reben und eine neue Frische haben es ihr dabei besonders angetan. Wenn Muhr über Carnuntum spricht, verfällt die Winzerin und PR-Frau ins Schwärmen und betont: „Wir haben hier die Möglichkeit zur feinen Klinge. Die wollen wir auch nutzen.“ Während es für Muhr eine Reise in den Südwesten Frankreichs brauchte, um die Sprache des Weins zu erlernen, finden auch die Menschen hierzulande immer öfter Worte für das, was sie in den Gläsern riechen und schmecken.
Die Attribute werden vielfältiger. „Gut“ und „schlecht“ beziehungsweise „schmeckt mir“ und „schmeckt mir nicht“ sind längst nicht mehr die einzigen Beschreibungen, die es über den Inhalt von Weinflaschen abzugeben gibt. Die Ernsthaftigkeit, mit der Weintrinker:innen die Flüssigkeit im Glas schwenken, ihre Nase darin versenken und mit kritischem Blick den ersten Schluck nehmen, ist passé.
„Wein darf Spaß machen“, sagt Johanna Markowitsch. „Halligalli“ heißen zwei der Weine ihrer Marke „JoMa“; einer ist ein kreativer Muskateller, der andere ein spritziger Rosé. Ob sie in die großen Fußstapfen ihres Vaters treten möchte, sei ihr lange selbst nicht klar gewesen. Nach der Tourismusschule hat sie erst in Wien studiert, danach war sie im Ausland. Dem Wein hat sie sich als Marketing-Expertin angenähert.
„Wir haben hier in Carnuntum die Möglichkeit zur feinen Klinge. Die wollen wir auch nutzen.“
Dorli Muhr
Nach der Ausbildung zur Facharbeiterin für Weinbau war allerdings klar, dass sie ihr eigenes Ding machen möchte. „Unsere Weine sind derart Terroir-geprägt und so unverwechselbar von hier, dass es mich jedes Mal begeistert. Carnuntum ist ein besonderer Fleck.“ Dadurch, dass es hier deutlich kühler sei als im Burgenland, kämen Frische, Säure und Finesse in langlebige Weine.
Die Rebsorten – ihre Leidenschaft zum Pinot Noir kann und will sie nicht verbergen – beschreibt Markowitsch als „Instrumente, die uns helfen, diesen Ort in Flaschen zu bringen“. In dieselbe Kerbe schlägt Victoria Gottschuly-Grassl. „Leichte Weine und Easy Drinking liegen im Trend“, beantworte die 32-Jährige die Frage, wonach der heimische Markt verlange.
Instagram als Teil der Markenbildung
Bei all dem nachhaltigen Weinbau, den die Winzerinnen hier so konsequent betreiben, ist man in Österreich allerdings nicht mit allem glücklich, was die Frauen so aus ihren Trauben keltern. „Beim Naturwein lasse ich die Finger vom österreichischen Markt und exportiere gleich nach Amerika, Kanada, Australien oder China“, erzählt Christina Artner-Netzl. Dort würden diese sogenannten Orange-Weine nämlich viel besser aufgenommen.
Ähnliche Erfahrungen machte auch Michaela Riedmüller, seit sie den Familienbetrieb 2019 übernahm. Ihre Naturweine beschreibt die 33-Jährige als „sehr down to earth“. Sie seien spannend, eigenständig und schnell im Entwickeln eines eigenen Charakters. In Österreich bevorzugen die Menschen jedoch junge Weine, wenngleich die Gastronomie zunehmend auf den Zug aufspringt und ebenfalls damit beginnt, nach gereiften Weinen zu suchen.
Die sechs Frauen sind nicht nur findige und experimentierfreudige Winzerinnen, sie sind auch stark vernetzt. Dorli Muhr brennt für den international besetzten Magnum Wine Club, der regelmäßig Expert:innen zusammenbringt. Einige der Göttlesbrunnerinnen haben im Ausland studiert oder gearbeitet und dort an ihrem Netzwerk geknüpft, andere sind regelmäßig im Austausch mit Winzer:innen anderer Regionen oder Länder.
„Leichte Weine und Easy Drinking liegen im Trend. Das fragt der heimische Markt stark nach.“
Victoria Gottschuly-Grassl
Als wichtiges Werkzeug, ihre Marken und Produkte zu präsentieren, bezeichnen die Niederösterreicherinnen ganz klar Social Media und dabei vor allem Instagram. „Wir stehen immer häufiger auch bei 37 Grad im Weingarten oder bei Events, um unser Tun bekannter zu machen. Auf Social Media sehen wir noch mehr – etwa, wie andere arbeiten.
„Dabei werden wir oft dankbar, wenn wir auf das blicken, was bei uns möglich ist“, erklärt Johanna Markowitsch. Das Internet liefere die Chance, auf meist kostenlosem Weg an Informationen oder sogar Importeure heranzukommen. „Instagram ist nicht nur Teil der Markenbildung, sondern einfach auf der Höhe der Zeit, auf der wir mit unserer Arbeit generell sind.“
Die Spitzenfrau vom Spitzerberg – Top-Bewertungen und TV-Portrait:
Dorli Muhr rockt die internationale Weinwelt Dorli Muhr ist als erste und einzige Frau aus Österreich in die Liste der 100 besten Weingüter der Welt aufgenommen worden, und zwar vom renommierten US-Fachmagazin „Wine & Spirits“. Neben Dorli aus Carnuntum wurden aus Österreich die Weingüter Moric (Burgenland), Rudi Pichler (Wachau) und Wachter-Wiesler (Eisenberg) in das Ranking aufgenommen. Damit ist zum ersten Mal eine österreichische Frau dabei. Wichtig zu wissen ist auch, dass Österreich bis vor wenigen Jahren als Rotweinland unbedeutend war. Von Blaufränkisch wusste man wenig, und der Spitzerberg – Dorli Muhrs Top-Lage – war vollkommen unbekannt. Außerdem wird Dorli Muhr ab Mitte September als Winzerlegende im neuen Servus TV-Format „Winzerlegenden“ zu sehen sein. Dort wird sie als einzige Frau neben neun männlichen heimischen Winzerlegenden (Bründlmayer, Sattlerhof, F.X. Pichler, Hirtzberger etc.) zu sehen sein. Dorli wurde als „Winzerlegende“ ausgewählt, weil ihr Wein im Fachmagazin Wine Spectator die höchste Bewertung für österreichischen Rotwein bekommen hat. Für Dorli ist das wirklich etwas Besonderes, weil auch ihre Stilistik überhaupt nicht Mainstream ist. Es heißt ja immer: Ein Weingut zu gründen, ist gar nicht so schwierig, nur die ersten 200 Jahre sind schlimm. 20 Jahre hat Dorli schon geschafft.
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