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Was Europa jetzt braucht

Wir können weltpolitische und wirtschaftliche Krisen nur mit Unabhängigkeit und Solidarität überstehen – sagen die Aktivistinnen Kristina Lunz und Monika Froehler. Welches Konzept dahinter steckt, erklären sie im Interview.

In einer zunehmend fragmentierten Welt wird der Ruf nach internationaler Zusammenarbeit lauter. Wie schätzen Sie die Bereitschaft europäischer Staaten ein, tatsächlich in multilaterale Formate zu investieren?

Kristina Lunz: Trotz aller geopolitischen Spannungen sehe ich bei vielen europäischen Staaten ein klares – wenn auch oft nur rhetorisches – Bekenntnis zum Multilateralismus. Die meisten europäischen Länder engagieren sich weiterhin in multilateralen Institutionen. Doch nationale Interessen und kurzfristiges geopolitisches Kalkül gewinnen immer häufiger die Oberhand. Gerade angesichts globaler Herausforderungen wie Klimakrise, wachsendem Autoritarismus und sozialer Ungleichheit brauchen wir jetzt einen wertebasierten Multilateralismus. Was fehlt, ist nicht das Wissen um seine Bedeutung, sondern der politische Wille, ihn auch in unbequemen Momenten zu stärken.

Monika Froehler: Die Bereitschaft in multilaterale Formate zu investieren ist in Europa vorhanden – besonders in Bereichen wie Sicherheit, Klimaschutz und Handel. Multilaterales Handeln rückt wieder stärker ins Zentrum europäischer Außenpolitik. Dabei muss sich Europa aber auch strategisch emanzipieren – von Abhängigkeiten in Industrie, Energie oder Sicherheit. Entscheidend wird sein, dass die EU geschlossen und kohärent auftritt. Dafür braucht es nicht nur politischen Willen, sondern auch eine klare Kommunikation – nach innen wie nach außen. Multilateralismus bedeutet Verantwortung mit Weitsicht.

„Multilateralismus bedeutet Verantwortung mit Weitsicht.“
Monika Froehler

Multilateralismus und feministische Außenpolitik – wie lässt sich das verbinden, gerade angesichts des Backlashs gegen Frauenrechte?

K.L: Wir erleben aktuell eine Welle des Antifeminismus, die eng mit rechtsextremen Bewegungen verknüpft ist. Umso wichtiger ist es, im multilateralen Kontext dagegenzuhalten. Multilaterale Foren bieten zentrale Räume, um feministische Außenpoli- tik zu verankern. Ob UN, EU oder AU (Afrikanische Union, Anm.d.Red.) – sie ermöglichen Austausch, gegenseitige Unterstützung und gemeinsame Normsetzung.

Gerade in Zeiten, in denen Rechte von Frauen, LGBTQI-Personen und marginalisierten Gruppen zurückgedrängt werden, sind Allianzen wie die Feminist Foreign Policy + Group bei den UN oder das Generation Equality Forum wichtiger denn je. Sie schaffen Schutzräume und bringen feministische Stimmen aus Regierungen, Zivilgesellschaft und Jugend zusammen. Multilateralismus ist kein Garant für Fortschritt – aber er bietet Hebel und Bühnen für transnationale Solidarität.

M.F.: Ich bin eine glühende Anhängerin des Multilateralismus – weil er Brücken schafft, wo andere Mauern errichten. Globale Herausforderungen lassen sich nur gemeinsam lösen. Reformen wie sie mit dem „Pact for the Future“ bei der UN angestoßen wurden, sind essenziell, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden.

Beate Meinl-Reisinger ist neue Außenministerin Österreichs. Welche Impulse erwarten Sie von ihr?

M.F.: Ich sehe in Beate Meinl-Reisinger eine proaktive und engagierte Politikerin. Ihr frühes außenpolitisches Engagement ist vielversprechend. Besonders ihr Bekenntnis zur Agenda 2030 und zur Verantwortung gegenüber künftigen Generationen finde ich bemerkenswert. Nachhaltigkeit, Gendergerechtigkeit und Jugendbeteiligung gehören ganz oben auf die Prioritätenliste. Auch Österreichs Kandidatur für den UN-Sicherheitsrat 2027/28 ist ein klares Signal für mehr multilaterales Engagement – vorausgesetzt, wir gewinnen starke Partner innerhalb und außerhalb der EU. Ein strategisches Ziel sollte zudem der Ausbau von Dialogformaten mit dem Globalem Süden sein – gerade auch am UN-Standort Wien.

„Multilateralismus bietet Hebel und Bühnen für transnationale Solidarität.“
Kristina Lunz

Österreich hat als UNO-Standort und neutraler Staat traditionell eine starke Rolle im Multilateralismus. Sehen Sie Chancen, diese Position unter der neuen Außenministerin auszubauen?

K.L.: Absolut. Österreich kann seine Brückenfunktion weiter stärken – gerade als neutraler Staat mit internationalem Vertrauen. Wien bietet strategische Vorteile, die es stärker zu nutzen gilt – etwa durch gezielte Angebote für internationale Organisationen und innovative Dialogformate.

M.F.: Der Multilateralismus braucht verschiedenste Akteure. Das Ban Ki- moon Centre – geleitet von Ban Ki- moon und Heinz Fischer – ist ein gutes Beispiel dafür, wie klassische Diplomatie mit zukunftsgerichteter, inklusiver Zusammenarbeit verknüpft werden kann. In Zeiten globaler Umbrüche ist das wichtiger denn je. Wie Ban Ki- moon immer sagt: „Es gibt keinen Plan B, weil es keinen Planeten B gibt.“

Was waren für Sie die wichtigsten Meilensteine feministischer Außenpolitik der letzten Jahre?

K.L.: Der Höhepunkt feministischer Außenpolitik lag vor etwa zwei bis drei Jahren: Damals bekannten sich mehr als 15 Staaten offiziell zu diesem Ansatz – ein bemerkenswerter Fortschritt in einem weiterhin patriarchal geprägten internationalen Staatensystem. Möglich wurde dies auch durch ein starkes zivilgesellschaftliches Ökosystem aus Organisationen, die weltweit zu feministischer Außenpolitik arbeiten – darunter meine eigene Organisation, das Centre for Feminist Foreign Policy, als ein zentraler Akteur. Auf staatlicher Ebene zeigen Initiativen wie die Feminist Foreign Policy+ Group bei den UN, dass dieser politische Rahmen international an Bedeutung gewonnen hat.

M.F.: Ich sehe die Perspektive des Aufstiegs feministischer Außenpolitik auch als Ausdruck eines größeren Kulturwandels. Es geht darum, globale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt zu stellen – über Geschlechtergrenzen hinweg. Multilateralismus und Feminismus sind hier keine Gegensätze, sondern bedingen einander. Denn ohne Vielfalt und Perspektivwechsel wird es keine nachhaltigen Lösungen geben.


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