Externe Anreize oder intrinsische Motivation?
Wann haben Sie das letzte Mal etwas zum ersten Mal getan? Ich musste tatsächlich eine Weile überlegen und – mir fiel nichts ein. Je älter wir werden, umso mehr schwindet die Begeisterung für Neues und das kindliche Staunen – dabei hat Letzteres einen positiven Einfluss auf unsere Selbstwahrnehmung. Die innere (kritische) Stimme wird leiser und das liegt vor allem daran, dass wir uns komplett dem Hier und Jetzt hingeben, sagt Psychologin Kaitlin Woolley, Associate Professor für Marketing, Cornell University. Unser präfrontaler Kortex steuert kognitive Prozesse, die im Laufe der Jahre immer automatisierter ablaufen. Aufstehen, Kaffeekochen. Handy checken. Denselben Weg zu Arbeit. Pasta al Gusto und Netflix und Co. Wir haben es uns in unserer Komfortzone ganz schön gemütlich gemacht – und sind damit nicht allein. Denn auch unser Gehirn liebt Routinen und wählt immer den Weg des geringsten Widerstands.
Dabei ist es in jedem Alter möglich, etwas Neues zu lernen. Das liegt an der Neuroplastizität, erklärt Prof. Dr. Claudia Voelcker-Rehage von der Universität Münster. Das Gehirn verändert sich ständig, ist sehr plastisch und ermöglicht so ein lebenslanges Lernen. Theoretisch.
In der Praxis klaffen Erwartungen und Realität oft auseinander. Rahmenbedingungen verändern sich, Ge- bzw. Erlerntes kann obsolet werden, wenn die Gewohnheiten nicht mehr die aktuelle Lebensrealität widerspiegeln. Erwachsene lernen sehr viel expliziter als Kinder. Wir durchdenken viel mehr und brauchen eine Sinnhaftigkeit, in dem was wir tun. Und werden häufig durch externe Faktoren motiviert – nahezu unser ganzes Wirtschaftssystem basiert auf (externen) Anreizen. Dabei ist es wichtig sich von der kognitiven Kontrolle zu lösen, um Neues entstehen zu lassen, erklärt Prof. Dr. Claudia Voelcker-Rehage.
„In der Komfortzone läuft das Gehirn auf Autopilot“
Unser Komfortzone hilft uns Grenzen zu wahren, gibt uns Sicherheit und schafft ein gewisses Maß an emotionaler Stabilität. Wir fühlen uns wohl, aufgehoben und das Gehirn funktioniert im Autopilot. Gerade deshalb dürfen wir hin- und wieder einen Blick über den Tellerrand werfen. Denn nur wer sich neuen Herausforderungen stellt und in anfänglichem Unbehagen etwas Positives sieht, wächst über sich hinaus – und dabei sind persönliches und wirtschaftliches Wachstum untrennbar miteinander verbunden.
Gemessen mit dem Maß an Selbstwirksamkeit, dass das Erreichen von selbstgesteckten Zielen mit sich bringt, versetzt Glaube tatsächlich Berge. Und zwar der Glaube an sich selbst und seine Fähigkeiten. Studien zum Thema intrinsische Motivation beweisen eindrucksvoll, dass eigener Antrieb ungeahntes Potenzial freisetzt, das sowohl auf individueller als auch kollektiver Ebene nachhaltig wirkt. Oder anders gesagt: das Team ist immer nur so gut wie das schwächste Glied. Insbesondere in Organisationen wird es in Zukunft entscheidend sein, Individuen zu stärken, um als Team zu profitieren. Vielfältige Talente und Besonderheiten führen zu außergewöhnlichen Ergebnissen. Und diese sind vielleicht nicht direkt auf den ersten Blick erkennbar. Soweit die Theorie.
Identität kommt von innen
Die Frage, wie das zu erreichen ist, darf gestellt werden. Die erste Antwort muss jedoch lauten: mit einem Blick nach innen. Mit einem selbst. Klingt trivial, ist es in den meisten Fällen aber nicht. Oft sehen wir nur die Spitze des Eisbergs, obwohl wir wissen, dass sich unter der Oberfläche ein immenses Potpourri befindet. Und dessen Unkenntnis auch ins Unbehagen führen kann – man denke hier nur mal kurz an Titanic. Wissen hilft. Die Kenntnis und ein Bewusstsein für die weniger offensichtlichen Dinge allemal. Kulturforscher Prof. Geert Hofstede entwickelte bereits in den 1980-er Jahren eine Systematik zur Messung kultureller Dimensionen. Eine davon ist Individualität. Auf einer Skala von 0-100 ist in Deutschland dieser Wert mit 67 relativ stark ausgeprägt. Zum Vergleich: die Vereinigten Staaten kommen auf 91 und Südkorea auf 18.
Doch das Zeitalter des Individualismus bringt auch einen Konformismus hervor, wenn wir alle gleich individuell sind. Dann schwimmen wir bald in einem Meer aus immer gleich geformten Eisbergspitzen. Allein schon deshalb lohnt sich der Blick unter die Oberfläche. Denn dort, außerhalb der Comfort Zone ist nicht nur der Ort, wo die Magic passiert, sondern hier liegt auch die wahre Essenz verborgen, die uns wirklich einzigartig macht.
Weniger Perfektion und mehr Mut
Unsere Identität wird nicht nur von unserem sozialen Umfeld geprägt, sondern auch bereits verinnerlichtes Wissen, Erfahrungen und subjektiv Erlebtes beeinflussen die eigene Selbstwahrnehmung und -verwirklichung maßgeblich. Identität bildet sich prozesshaft und ist nicht in Stein gemeißelt. Veränderungen im Außen dürfen zu Reallokation innerer Bedürfnisse führen. Und umgekehrt.
Wir dürfen also öfters mal die Perspektive wechseln und mehr Authentizität wagen. Mehr Ecken und Kanten zeigen – denn genau die sind es doch, die uns von anderen unterscheiden. Weniger Perfektion und mehr Mut. Zu Schwächen und allgemein. Chancen entstehen, wenn wir die Dinge im Hinblick auf unsere Ziele betrachten. Das heißt wir müssen sie benennen und erkennen, wie wir bestehende Verhältnisse im Sinne dieser Ziele gestalten können. Dazu gehört, sich selbst zu hinterfragen, ein bisschen genauer hinzuhören und ein Gespür dafür entwickeln: Wer bin? Was kann ich? Wo will ich hin? Erst wenn darüber Klarheit herrscht, kann im Außen klar kommuniziert werden. Im Grunde ist das die Basis eines jeden Brandings. Dabei ist es grundsätzlich egal, ob es sich um Corporate, Employer oder Personal Branding handelt – Marken entstehen immer von innen nach außen. Selbst beim Etablieren einer nachhaltig wirksamen Unternehmenskultur – was sich in Anbetracht wandelnder Rahmenbedingungen und Herausforderungen zu einem der wichtigsten Themen für die Arbeitswelt der Zukunft entwickelt hat, sehe ich in meinen Beratungen immer wieder. Unternehmen, die das bereits begriffen haben und frühzeitig antizipieren, werden für aufkommende Schwankungen bestens gewappnet sein – und nicht bereits an der Spitze des Eisbergs kentern.
Die Spitze des Eisbergs
Den diese macht nur 20 Prozent aus – das können Logo, Design, Stellenanzeigen oder auf persönlicher Ebene bestimmte Verhaltensweisen sein. Der unsichtbare Teil bildet den Löwenanteil und macht den Unterschied: Identität, Werte, Vision und Mission. Branding ist mehr als Design, Farben oder Logos. Gutes Branding macht die inhärenten Werte sichtbar. Greift Visionen auf, motiviert und vereint – und vor allem schafft es Vertrauen. Eine Währung, die für kein Geld der Welt zu erwerben ist. Wichtig dabei ist: sich diese Dinge auf die Homepage zu schreiben reicht leider nicht – gemessen wird immer an tatsächlichen Handlungen.
Und diese Handlungen können wir jeder Zeit ändern oder anpassen. Individualität äußert sich auch in Originalität. Wir müssen uns darüber im Klaren sein und aktiv aus gewohnten Strukturen herausbrechen. Die Neuroplastizität unseres Gehirns ausnutzen und neue Dinge lernen, auch wenn sie außerhalb unserer Komfortzone sind. Identität schafft Identifikation. Und Identität setzt Arbeit am eigenen Ich voraus. Mit einem Blick nach innen können wir Ziele und Werte definieren und über uns selbst hinauswachsen. Persönlich. Wirtschaftlich. Gemeinschaftlich.
Über die Autorin
Julia Heinz ist Volkswirtin, Kommunikationsexpertin und Gründerin der Strategieberatung communique. Sie berät Unternehmen, Personen und NGO´s hinsichtlich ihrer strategischen Positionierung, relevanter Zielgruppenanalyse und der ganzheitlichen Kommunikation. Mit ihrem wertebasierten Ansatz baut sie Brücken und setzt nachhaltige Impulse, um Haltung medienübergreifend sichtbar zu machen.
Zudem setzt sie sich für mehr Diversität ein und spricht u.a. auf den Medientagen München darüber, wie Meinungen mit Bildern beeinflusst werden und welche gesellschaftliche Verantwortung wir alle tragen.
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