Steckt der Feminismus in der Krise? Nur 16 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie mit dem Titel „Wie solidarisch ist Österreich am Arbeitsplatz“ bezeichnen sich als Feministinnen oder Feministen. Jede zweite Frau und acht von zehn Männern sehen sich sogar dezidiert nicht als Feministin oder Feminist.
Vielmehr distanzieren sie sich von diesem Begriff, wird er doch oftmals noch negativ behaftet – etwa mit der Unterdrückung von Männern (daran denken acht Prozent), der Abneigung gegen Männer (elf Prozent) oder der Bevorzugung von Frauen (17 Prozent). Immerhin: Für 49 Prozent bedeutet Feminismus, sich für die Selbstbestimmung von Frauen einzusetzen. „Dass sich nur ein knappes Viertel (23 Prozent) der Frauen offen für eigene Rechte einsetzt, schockiert mich. Demnach steckt der Feminismus tatsächlich in der Krise“, sagt Manisha Joshi, Business Director und Head of Diversity, Equity and Inclusion bei der Wiener Kommunikationsberatung Ketchum.
Und diese Krise wirkt sich auf das gesamte Arbeitsleben aus. Wie es um die Unterstützung der Geschlechter im Job steht, hat die repräsentative Studie, bei der 1.000 Menschen zwischen 14 und 49 Jahren vom Marketagent-Institut befragt wurden, ebenfalls erhoben. Was muss passieren, damit Männer an ihrem Arbeitsplatz tätig werden und auf Grenzüberschreitungen Frauen gegenüber aufmerksam machen?
Frauen schreiten öfter ein als Männer
Rund die Hälfte der Männer schreitet ein, wenn Kollegen sexistische Witze machen. Vorausgesetzt, eine Kollegin ist im Raum. Ist allerdings keine Frau anwesend, halbiert sich die Solidarität. „Echte Allyship würde bedeuten, mit einer Minderheit stark solidarisch zu sein – egal, ob sie gerade am Ort des Geschehens ist, oder nicht“, erklärt Hermann Sporrer, Geschäftsführer von sheconomy und Auftraggeber der Studie.
Frauen gaben an, bei Diskriminierungsfällen wesentlich öfter einzuschreiten als ihre männlichen Kollegen. Bei homophoben Äußerungen würden 72 Prozent der Frauen und 65 Prozent der Männer einschreiten. Bei rassistischen Witzen oder der Verwendung des „N-Wortes“ würden sich 57 Prozent der Frauen und 45 Prozent der Männer einschalten.
„Dabei ist das Angehen gegen Diskriminierung absolut kein Frauen-, sondern ein Menschenrechtsthema.“
„Dabei ist das Angehen gegen Diskriminierung absolut kein Frauen-, sondern ein Menschenrechtsthema“, bringt es Manisha Joshi auf den Punkt, und erklärt, dass sich längst nicht alle zutrauen, das Wort zu ergreifen. Zwölf Prozent der Befragten würden sogar überhaupt nicht aktiv, wenn sich eine Managerin oder ein Manager gegenüber Mitarbeitenden übergriffig verhält.
Dabei wollen 79 Prozent mehr Solidarität am Arbeitsplatz und wünschen sich, dass es jemand anspricht, wenn es zur ungleichen Behandlung kommt. Diskriminierende Bezeichnungen, vernommener Sexismus und Begrifflichkeiten werden zu oft und von zu vielen Menschen toleriert.
Es braucht männliche Verbündete
Das wirkt sich auf das Stimmungsbarometer im Job merklich aus. Mehr als die Hälfte der Befragten kennt das Gefühl, sich am Arbeitsplatz unfair behandelt zu fühlen. Diese Menschen wünschen sich, dass ihnen dabei geholfen wird, sich sicher zu fühlen. Neun von zehn Personen ist wichtig, ihre Meinung frei äußern zu können. Um dieses Ziel zu erreichen und Diversität, Gleichbehandlung sowie Inklusion in einem Unternehmen zu verankern, braucht es (männliche) Verbündete.
Doch wie steht es um die internationale Studienlage, welche vergleichbaren Erhebungen gibt es? Zu strukturellen Problemen wie dem Gender Pay Gap finden sich etliche Analysen; Studien, die den Feminismus nachdrücklich hinterfragen und dazu Allyship in den Fokus nehmen, sind hingegen rar.
„Männer sind schlechtere Verbündete, als sie denken.“
„Männer sind schlechtere Verbündete, als sie denken“, titelt etwa das US-amerikanische Management-Magazin „Harvard Business Review“ im Oktober 2022 und widmet sich einer Studie der Integrating Women Leaders Foundation. Diese zeigt die anhaltende Diskrepanz zwischen Männern und Frauen in der Wahrnehmung, wie sich Männer am Arbeitsplatz wirklich zeigen – oder eben nicht.
Zu vielen wichtigen Mikro-Verhaltensweisen rund um Verbündetenschaft für Geschlechtergerechtigkeit befragt, sehen sich Männer eher als aktive Fürsprecher an als Frauen. Dabei hat Allyship einen großen Einfluss auf die Außenwirkung des Unternehmens oder Konzerns: Frauen bezeichnen ihren Arbeitsplatz in so einem Fall als großartig und geben an, längerfristig bleiben zu wollen, wenn sie Fortschritte bei der Förderung von Frauen und unterrepräsentierten Gruppen sehen. Vorausgesetzt, das Unternehmen lässt sich beim Datensammeln und -messen in die Karten schauen.
Allyship-Programme wirken, wenn Männer teilnehmen
Die Studienergebnisse lassen außerdem darauf schließen, dass Programme zur Förderung von Allyship etwas bewirken können, wenn Männer daran teilnehmen. Unterm Strich werden so echte Fortschritte bei der Gleichstellung von Frauen sichtbar. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Erhebung, die Studierende der Penn Carey Law-School an der Universität von Pennsylvania gemeinsam mit dem kanadischen Medienkonzern Thomson Reuters im Jahr 2020 durchgeführt haben.
Sie haben untersucht, wie aufstrebende männliche Führungskräfte im Rechtswesen ihre Vorstellung davon entwickeln, was es bedeutet, ein Verbündeter von Frauen, insbesondere von farbigen Frauen, zu sein. Schnell wird klar, dass es bei Allyship in erster Linie um aktive Taten geht – sei es in Sachen Gleichberechtigung am Arbeitsplatz oder dabei, die Meinung von Frauen einzuholen und auch zu hören.
Zur Sprache kam in der Studie auch, dass die #MeToo-Bewegung wesentliche Veränderungen vorangetrieben und begonnen hat, sexistische Verhaltensweisen aufzulösen. Die Studie ruft die nächste Generation von Juristen dazu auf, als Verbündete zu fungieren, um Veränderungen zu steuern.
Welche Schritte daraus folgen sollen? Die Förderung von Frauen in Führungspositionen, die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern sowie eine faire Politik. Und zwar für alle intersektionalen Identitäten.
Selbst an Unis herrschen Vorurteile
Mit Blick auf die europäischen Hochschulen scheint Allyship noch längst nicht überall angekommen zu sein. Drei Vorreiter: An der Freien Universität Berlin rücken die Verantwortlichen die Kombination aus Trans-Feindlichkeit und dem Verbünden gegen Angriffe auf Trans-, Inter- oder nichtbinäre Personen in den Fokus. Betroffene berichten auf der Webseite von ihren Erlebnissen und betonen, dass sie es bereits hilfreich fänden, wenn Dozierende und Studierende gemeinsam darauf achteten, dass alle Menschen mit ihren korrekten Pronomen angesprochen werden.
In Österreich sticht die Leopold-Franzens-Universität Innsbruck hervor; das Büro für Gleichstellung und Gender Studies hat kürzlich einen umfassenden Folder mit dem Titel „Allyship in Action. Eine Ressourcensammlung für weiße Verbündete“ ins Netz geladen. Kernaussage: Es gibt nicht „den einen Rassismus“, sondern etliche Rassismen; sie stehen stets in Zusammenhang mit Schlagworten wie Privilegien, Vorurteile und Macht. Allyship und das bewusste Auftreten gegen Ungleichbehandlung können darauf aufmerksam machen, dass Aussagen oder Zustände absolut nicht vertretbar sind.
Es gibt nicht „DEN EINEN RASSISMUS“ – sondern etliche Rassismen.
Die Universität zu Köln sieht das Verbündetsein ebenfalls stark im Zusammenhang mit Rassismus und liefert Antworten auf die Frage, was Studierende, Lehrende und Angestellte gegen Diskriminierung unternehmen können. Apropos Randgruppe: Auch in der langen Tradition alternativer Medien spielt Allyship eine konstante Rolle, in Österreich ebenso wie international.
Wer schon einmal ein (feministisches) Zine, also ein selbstgemachtes, selbstproduziertes Magazin, in Händen gehalten hat, kennt Storys von Verbündeten wohl. Meist stecken junge Frauen hinter den Zines, ihr Antrieb ist die Kritik an Geschlechterrollen und an der Gesellschaft an sich.
Ein Exemplar zu erhaschen, gestaltet sich oft als schwierig; denn so schnell ein Zine auftaucht, so schnell ist es auch schon wieder weg. Kommerzielle Strukturen und kapitalistische Industrien? Fehlanzeige. Die meisten Ausgaben werden in sehr kleinen Auflagen kopiert, in Heften zusammengestellt, an Freundinnen und Freude weitergereicht oder bei Konzerten verteilt. Da sie frei von Kontrolle, Zensur und einer Redaktion sind, berichten sie ganz unverblümt von Rassismus, Gender-Feindlichkeit oder Mobbing. Es gibt nicht „DEN EINEN RASSISMUS“ – sondern etliche Rassismen.